Schwester Birgit Stollhoff über das Sonntagsevangelium

Die Jungfrauengeburt oder: Als Gott ein Beziehungsnetz knüpfte

Veröffentlicht am 19.12.2020 um 17:45 Uhr – Lesedauer: 
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Hannover ‐ Viele Menschen müssen aktuell schwere Telefonate führen: Es geht um Vertrauen und Verantwortung, manchmal sogar um Leben und Tod. Wie gut, dass unser Gott sich mit Kommunikation auskennt, ist Schwester Birgitt Stollhoff überzeugt. Sie findet neue Ermutigung in einem altbekannten Sonntagsevangelium.

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Impuls von Schwester Birgit Stollhoff

An der Würzburger Marienkapelle gibt es eine sehr lustige Darstellung dieser Szene: Der Engel steht vor Maria, darüber thront Gott. Während dem Engel ein beschriebenes Pergament aus dem Mund sprudelt, hat Gott eine Art Seil oder Tuch am Mund. Und auf diesem Seil rutscht das Jesus-Baby in Marias linkes Ohr. Bei anderen Darstellungen wird das Jesus-Baby mit einem Lichtstrahl wie mit einem Pfeil in Richtung Marias Bauch geschossen.

So berühmt die Szene ist, so sehr stören wir uns inzwischen an der "Jungfrauengeburt". Das klingt doch sehr verklemmt. In der Antike war es aber keine biologische Aussage über Maria, sondern vor allem eine Art philosophisches Denkmodell als Antwort auf die Frage: "Wie kann ein Gott Mensch werden? Wie kann eine Person ganz Mensch und ganz Gott sein?"

Insofern ist in dieser Szene der Verkündigung zunächst eine Aussage über Jesu Wesen versteckt. Jesus war ein einzigartiger Mensch, deswegen sind seine Menschwerdung und Geburt auch einzigartig.

Viel interessanter und sehr modern finde ich in der Szene etwas anderes: Vor der Menschwerdung steht das Wort! "Gott sprach: Es werde … Und es wurde..." – so beginnt die Erschaffung der Welt im Buch Genesis. Hier entstehen durch das bloße Wort schrittweise und behutsam Realitäten. Mit dem Wort beginnt der Evangelist Johannes seinen Bericht über Jesus. Hier schafft das Wort Beziehung, ist es Ausdruck einer einzigartigen Kommunikation Gottes mit uns durch Jesus Christus.

Und auch hier findet sich schon das, was Paulus später als "er erniedrigte sich selbst" besingt: Gott verzichtet auf Macht, auf Autorität und Souveränität zugunsten der Freiheit der Menschen. Wahre Liebe braucht die volle Freiheit. Deswegen beginnt Jesu Erdenleben nicht damit, dass Gott einer Frau seinen Willen aufzwingt und andere Beteiligten ohne Erklärung vor vollendete Tatsachen stellt.

Im Gegenteil: Gott beginnt sehr vorsichtig. Bei Lukas wird zunächst ein Engel zum Priester Zacharias, den Vater von Johannes dem Täufer geschickt, und ihm werden Vorbote und der neue Messias angekündigt. Dann kommt der Engel zu Maria. Beide, Zacharias und Maria, haben ihre Nachfragen, auf die Gott sich einlässt.

Ein Engel ist es auch, der die Geburt den Hirten erklärt. Bei Matthäus wird auch Josef im Traum von einem Engel informiert. Und für die Sterndeuter hat sich Gott gar eine verzwickte astronomische Auffälligkeit einfallen lassen als Zeichen.

Ganz schön viel individuelle Kommunikation, die da stattfindet rund um die Geburt Jesu! Jedes Kind wächst in ein Beziehungsnetz hinein auf und so baut auch Gott eines für seinen Sohn – und mit dem Sohn für sich selbst. Maßgeblich für Beziehungen ist das Gespräch, der Austausch, das Teilen von Fragen, Sorgen, Gedanken und Beobachtungen. Gott nimmt hier alle ernst – die Eltern und deren Freunde, die Priester, die Waisen und auch die einfachen Hirten. Und nur so gelingt dieses große Wagnis, nur so kann ein Gott als hilfloses Baby geboren werden.

Rund um Corona ist an Weihnachten ein direkter Kontakt mit Verwandten nur eingeschränkt möglich. Aber ich erlebe inzwischen viele existenzielle Gespräche am Telefon oder über Zoom um die Frage: "Wie soll das gehen?" Etwa: „Wer kümmert sich um die Eltern oder Kinder, wenn einer von uns erkrankt?“ Inzwischen geht es in unseren Gesprächen um Leben und Tod. Wie gut, dass Gott weiß, wie sich das anfühlt und immer zum Gespräch bereit ist!

Von Sr. Birgit Stollhoff CJ

Evangelium nach Lukas (Lk 1,26–38)

Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria.

Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe.

Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben.

Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben.

Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Der Engel antwortete ihr: Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.

Siehe, auch Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen; obwohl sie als unfruchtbar gilt, ist sie schon im sechsten Monat. Denn für Gott ist nichts unmöglich.

Da sagte Maria: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel.

Die Autorin

Sr. Birgit Stollhoff CJ gehört dem Orden Congregatio Jesu (auch bekannt als Mary-Ward-Schwestern) an, arbeitet im Jugendpastoralen Zentrum "Tabor" in Hannover, studiert Theologie im Fernstudium an der Universität Luzern und ist mitverantwortlich für die Öffentlichkeits- und Medienarbeit ihres Ordens.

Ausgelegt!

Wie für jeden Tag gibt es in der Kirche auch für jeden Sonntagsgottesdienst ein spezielles Evangelium. Um sich auf die Messe vorzubereiten oder zur Nachbereitung bietet katholisch.de "Ausgelegt!" an. Darin können Sie die jeweilige Textstelle aus dem Leben Jesu und einen Impuls lesen. Diese kurzen Sonntagsimpulse schreibt ein Pool aus Ordensleuten und Priestern für uns.