Theologe: Jesus zuerst Mensch und erst in zweiter Linie Mann geworden
Die gesellschaftlichen Ideen von Geschlecht entscheiden nach Einschätzung des evangelischen Kirchenhistorikers Anselm Schubert darüber, "ob und wie wir uns Christus als Mann vorstellen". Die Alte Kirche sei davon ausgegangen, dass Christus die "allgemeine menschliche Natur" angenommen habe, erklärt Schubert in einem Leserbrief an die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Freitag). Erst in der Person des Sohnes sei er demnach zu einem konkreten Menschen geworden. "Von daher ist es doch zutreffend zu sagen, Christus sei zunächst Mensch und erst in zweiter Linie Mann geworden."
Die Frage des Geschlechts sei lange als sekundär betrachtet worden, fügt der Wissenschaftler hinzu. Die Frage, ob Christus nicht auch eine Frau hätte sein können, sei gleichbedeutend mit der Überlegung gewesen, "ob er nicht auch hätte sündigen können. Frausein war ein Mangel an Menschsein, so wie Sünde ein Mangel an Gutem war."
Vorstellungen erst in Neuzeit geändert
Dies habe sich erst mit neuzeitlichen medizinischen Vorstellungen verändert, denen zufolge Männer und Frauen zwei "grundverschiedene Geschlechter" seien. Damit stelle sich die Frage, warum Christus sich für eine Inkarnation als Mann "entschieden" habe - und darüber hinaus: "Gibt es eine ewige Schöpfungsordnung zweier Geschlechter? Oder sind die zwei Geschlechter nur Endpunkte eines Kontinuums mit unendlichen Zwischenstufen? Je nachdem wird man das Mannsein Christi sehr unterschiedlich beurteilen."
Historisch betrachtet ließen sich verschiedene Lesarten ausmachen, "die sowohl den Befürwortern als auch den Gegnern der Frauenordination zu denken geben könnten". Schubert verweist etwa auf den Universalgelehrten Agrippa von Nettesheim (1486-1535): Nach ihm bedeute Priester zu sein, "wie Christus die Strafe dafür zu tragen, ein Mann zu sein".
Immer wieder war zuletzt über die Frage diskutiert worden, ob Jesus auch als Frau hätte geboren werden können. Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode sagte im Februar, Christus sei "für uns Mensch, nicht Mann geworden". Die Münsteraner Theologin Dorothea Sattler betonte, aus theologischer Sicht hätte Gott auch als Frau Mensch werden können. Allerdings sei es angesichts der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vor rund 2.000 Jahren von Gott klug gewesen, als Mann Mensch zu werden. Dies bedeute aber etwas ganz anderes als die Behauptung, es wäre nicht anders möglich gewesen, so Sattler. (tmg/KNA)