Missbrauch: Kirche darf nicht zum Sündenbock der Gesellschaft werden
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Die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs verläuft innerhalb der katholischen Kirche mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. In einigen Teilen der Weltkirche steht das Thema seit den Neunzigerjahren auf der Tagesordnung, in anderen beginnt man jetzt erst, sich der Realität zu stellen. In ähnlicher Weise zeigte jüngst eine Umfrage der Deutschen Ordensoberenkonferenz (DOK), dass einige Orden in der Behandlung der dunklen Seiten ihrer Geschichte schon sehr weit sind, während andere gar nicht willens oder in der Lage sind, sich damit zu befassen. Auch unter den deutschen Bistümern gibt es deutliche Unterschiede – sowohl was den jeweiligen Stand der Aufarbeitung betrifft, als auch, was die Ansprüche betrifft, die dafür gelten sollen.
Die historische, juristische, moralische und institutionelle Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch ist kein triviales Vorhaben. Wer hier ambitionierte Ziele nennt, geht ein Risiko ein: Er wird an diesen Zielen gemessen und läuft Gefahr, an ihnen zu scheitern. Das hat einen perversen Effekt: PR-strategisch kann es sinnvoller erscheinen, vorläufig keine allzu anspruchsvollen Ziele zu formulieren. Der kirchliche Akteur, auf den sich die ganze Aufmerksamkeit richtet, weil er an seinen Ansprüchen zu scheitern droht, erfüllt dann eine Stellvertreterfunktion für die Institution als Ganze. Dann kann es sogar passieren, dass andere Akteure, die wissen, was in ihrem eigenen Verantwortungsbereich im Argen liegt, mit den Fingern auf diesen Stellvertreter zeigen, während sie selbst an ihren Ansprüchen nicht scheitern können, weil sie keine benannt haben.
Das gilt auch gesamtgesellschaftlich. Ob im Sport, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder in der Universität: Sexualisierte Gewalt existiert überall. "Keine Institution in Deutschland" stelle sich indes dem Thema "seit Jahren so umfassend wie die katholische Kirche", hieß es unlängst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Es darf nicht dabei bleiben, dass sie dies stellvetretend für den Rest der Gesellschaft tut.
Würde, wie gelegentlich gefordert wird, in Sachen Aufarbeitung der Staat das Heft in die Hand nehmen, und dabei alle Teile der Kirche wie der Gesellschaft gleichermaßen in den Blick nehmen, hätte diese Ungleichverteilung der Aufmerksamkeit, die dem Phänomen nicht gerecht wird, ein Ende.