Der SWR-Journalist Uwe Bork über die Klartext-Sprache von Papst Franziskus

Der Stil des Fischers

Veröffentlicht am 02.12.2013 um 00:00 Uhr – Von Uwe Bork – Lesedauer: 
Papst

Bonn ‐ Fast hat es in diesen Tagen den Anschein, als wäre Papst Franziskus plötzlich zum Lutheraner geworden. Theologisch besteht zwar selbst nach der Einschätzung konservativster Kritiker absolut keine Gefahr, dass er von der römischen auf die wittenbergische Seite überwechselt, was die Deutlichkeit seiner Sprache angeht, könnte man aber sehr wohl eine gewisse Orientierung an Martin Luther ausmachen.

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Was der nämlich schon 1530 in seinem "Sendbrief vom Dolmetschen" forderte, scheint jetzt endlich auch im Vatikan beherzigt zu werden. Folgt das neue Apostolische Schreiben "Evangelii Gaudium" doch in geradezu beispielhafter Weise der lutherschen Losung, dass dem Volk aufs Maul schauen müsse, wer von ihm verstanden werden wolle. Wer den aktuellen päpstlichen Text liest, stellt schnell fest, dass dieser Heilige Vater dieselbe Sprache spricht wie seine geistlichen Kinder.

Dozierte Benedikt XVI. in seiner letzten Neujahrsansprache noch in professoraler Volksferne, die Kirche sei "von Anfang an kat’holon ausgerichtet", so drückt sich sein Nachfolger um einiges verständlicher aus. Wenn er seine Vorstellung von Kirche beschreibt, benutzt er Bilder, die jedem vertraut sind: "Die Kirche ist keine Zollstation, sie ist das Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben."

"Lebensart wie eine Fastenzeit ohne Ostern"

Mit seiner einladenden Beschreibung verbindet er allerdings deutliche Erwartungen an die Profis wie die Amateure im Volk Gottes: Traurige Hörer für die Frohe Botschaft will er um sich herum nicht mehr sehen und findet auch dafür plastische Worte. Zunächst hält er sich an die kleinmütige Fraktion auf den Kirchenbänken dieser Welt, "deren Lebensart wie eine Fastenzeit ohne Ostern erscheint", um sich dann die hauptamtlichen Mitarbeiter im Weinberg des Herrn zur Brust zu nehmen: "Die Priester erinnere ich daran, dass der Beichtstuhl keine Folterkammer sein darf, sondern ein Ort der Barmherzigkeit des Herrn, die uns anregt, das mögliche Gute zu tun."

„Das Geld muss dienen und nicht regieren!“

—  Zitat: Papst Franziskus

Auf nahezu jeder der rund 250 Seiten der päpstlichen Prosa wird deutlich, dass dieser Papst ein Menschenfischer ist, der in Jahrzehnten der Seelsorge einen ganz eigenen Stil dafür gefunden hat, seine Netze auszuwerfen. Das bezieht sich nicht nur auf die im Getriebe des Vatikan immer wieder überraschende Menschlichkeit im Umgang mit seinem Gegenüber, dieser Papst ist auch ein Medienpapst, dem in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheint, wie er mit seinen Taten und Worten eine möglichst große Wirkung erzielen kann.

Gespür für Gesten - ohne PR-Strategen

Wenn er seine erste Reise zu den Bootsflüchtlingen auf Lampedusa unternimmt, wenn er am Gründonnerstag in ein römisches Jugendgefängnis geht, um dort den Häftlingen die Füße zu waschen oder wenn ihm anscheinend kein Auto klein genug sein kann, um sich darin ablichten zu lassen: Franziskus besitzt ein untrügliches Gespür für Gesten und Symbole. Er setzt sie allerdings nicht berechnend ein, und offenbar ist er auch kein Opfer irgendwelcher finsterer PR-Strategen im Hintergrund. Es scheint vielmehr der Wunsch nach Nähe zu seiner Herde zu sein, der ihn antreibt, und ganz von selbst führt das dazu, dass er ihren Geruch annimmt und sie den seinen.

Mit seiner offenen Art und seiner ungekünstelten Sprache ist dieser Papst zum Wunschpartner gerade jener Medien geworden, die sonst eher ein negatives Bild der katholischen Kirche zu zeichnen pflegen. So ging seine Formulierung von der "verbeulten" Kirche in allen Sprachen ebenso um die Welt wie seine kapitalismuskritische Forderung "Das Geld muss dienen und nicht regieren!" das Zeug zum jederzeit zitierbaren Klassiker mitbringt.

Bisher war solche unmittelbar eingängige Bildkraft in kirchlichen Texten eher die Ausnahme, aber von Franziskus haben wir es jetzt schwarz auf weiß: Es kommt nicht darauf an, an alten Formulierungen zu kleben, sondern wir sollen die Substanz des Glaubens vermitteln.

Dem Menschenfischer in Rom gelingt das. Er hat sich auf den Weg gemacht, die "Grabespsychologie" zu zerstören, "die die Christen allmählich in Mumien für das Museum verwandelt." Freuen wir uns also auf neue Lebendigkeit!

Zur Person

Uwe Bork ist Leiter der Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks (SWR).
Von Uwe Bork