Pastoraltheologe: So harmonieren Pfarrei und Geistliche Gemeinschaften
Pfarreien und Gemeinden werden immer größer – und damit auch oft anonymer. Die Ansiedlung von neuen Geistlichen Gemeinschaften gilt da vielen als Lösung. Doch das führt auch zu Auseinandersetzungen. Andreas Geßmann ist Pfarrer von Sankt Laurentius in Essen und hat über dieses Thema im Fach Pastoraltheologie promoviert. Seine Dissertation trägt den Titel "Chance oder Störfaktor? Die Beziehung zwischen neuen geistlichen Bewegungen und Pfarrei". Darin hat er dieses Spannungsfeld mit zehn Fallstudien in acht deutschen Diözesen untersucht und dabei nach Problemen und Lösungsansätzen gefragt. Im Interview spricht er über seine Forschung zu Neuen geistlichen Gemeinschaften, die er auch als kommunikative Glaubensmilieus subsumiert.
Frage: Herr Geßmann, sind Neue Geistliche Gemeinschaften für Pfarreien eher Chance oder Störfaktor?
Geßmann: Das lässt sich nicht eindimensional beantworten. Ich konnte durch meine Studie aufzeigen, dass es von unterschiedlichsten Faktoren abhängt, ob es zur Chance wird oder ein Störfaktor ist.
Faktoren: Welche Reibungspunkte gibt es denn?
Geßmann: Einige dieser von mir sogenannten kommunikativen Glaubensmilieus erheben einen hohen Anspruch an die Pfarrei, sie fordern teilweise einen strukturellen Wandel oder Paradigmenwechsel in der pfarrlichen Identität. Das führt natürlich zu massiven Konflikten. Wenn die Gemeinschaften oder Bewegungen eher einen moderat-appellierenden Anspruch haben, sind die Beziehungen in der Regel konfliktärmer.
Frage: Was für eine Art Paradigmenwechsel streben gewisse Gemeinschaften denn an?
Geßmann: Es geht um einen anderen Pastoralstil. Ich hatte in meiner Studie einen Fall, in dem eine Gemeinschaft eine ganz andere Pastoral sowie einen anderen Liturgie- und Aktionsstil als bisher wollte. Dort stoßen dann unterschiedliche Kulturen aufeinander.
Frage: Wollen Gemeinschaften dann einen charismatischeren, konservativeren oder frommeren Stil?
Geßmann: Man muss differenzieren, Verallgemeinerungen sind bei dieser Thematik äußerst schwierig. Es war die Erkenntnis meiner Studien, dass man nicht polarisieren darf. Natürlich kann ein konservativerer Stil eine Rolle spielen, es gibt aber noch viele andere Faktoren.
Frage: Konnten Sie bei den Gemeinschaften den ihnen oft vorgeworfenen Alleingeltungsanspruch beobachten?
Geßmann: Diese Bewegungen sind verschiedenen Phasen unterworfen und gerade am Anfang erleben sie oft eine sehr euphorische Zeit, wo man denkt, man kann die ganze Welt verändern. In dieser Phase gibt es viel Leidenschaft, man neigt auch zur Glorifizierung oder Verabsolutierung des eigenen Gründungscharismas. Das ist natürlich sehr konfliktträchtig. Aber das verändert sich dann im Verlauf der weiteren Phasen. Es entsteht oft eine Phase, die sogenannte Ernüchterungsphase, in der man sich selbst hinterfragt. Es kann auch zu einer Selbstaggressionsphase kommen. Wichtig ist, von diesen nach Benedikt XVI. so bezeichneten "Kinderkrankheiten" der Gemeinschaften zu wissen und das einordnen zu können.
Frage: Hat es denn zwischen Gemeinschaften und Pfarreien eher gut funktioniert oder ist es häufig auch zu schweren Konflikten gekommen?
Geßmann: Nach meiner Wahrnehmung gab es vor allem am Anfang ein großes Konfliktpotential, das hing aber ganz zentral von den Leiterinnen und Leitern vor Ort ab. Im Laufe der Zeit hat sich das entweder entschärft und es kam zu guten Beziehungen oder die Konflikte haben sich als so schwer herausgestellt, so dass vom Bistum etwa mit Moderatoren oder Mediatoren eingeschritten werden musste.
Frage: Was muss auf der Leitungsebene geschehen, damit es nicht zu Konflikten kommt?
Geßmann: Zunächst ist entscheidend, dass die Leitung der Pfarrei ihre Einstellung zu den Bewegungen nicht von persönlichen Sympathien oder Antipathien abhängig macht. Es sollte versucht werden, den Gemeinschaften vorurteilsfrei zu begegnen. Dann ist wichtig, um die Phasen der Bewegungen zu wissen, je nachdem muss den Gemeinschaften unterschiedlich begegnet werden. Es ist wichtig, erst einmal offen und wertschätzend zu sein, damit sie sich nicht verschließen und abschotten. Sie sollen die Möglichkeit zur Entfaltung haben, aber unter – auch geistlicher – Begleitung. Das ist ein geistlicher Prozess, in dem das Leitungsamt herausgefordert ist, aber auch die Gemeinschaften. Sie müssen sich auf diesen Prozess einlassen und ebenfalls um ihre Phasen wissen. Leiterinnen und Leiter der kommunikativen Glaubensmilieus müssen auch für die Weite des Katholischen geschult werden.
Frage: Was muss angesichts dieser Konflikte besser werden? Müssen sich die Gemeinschaften bewegen – oder die Pfarreien?
Geßmann: Beide Seiten. Die Pfarreien sollten das Potential der Bewegungen entdecken, weil jede einzelne ein spezielles Charisma besitzt. Davon können sich Pfarreien bereichern lassen, denn dort gibt es immer wieder die Gefahr geistlich zu erstarren. Auf der anderen Seite sollten die Gemeinschaften um das Potential der Pfarreien wissen. Sie können etwa die räumliche Infrastruktur nutzen und erhalten einen Zugang zu personellen Ressourcen. Zudem begegnen sie der normativen Tradition des christlichen Glaubens und können von den Pfarreien ein erprobtes und bewährtes Erfahrungswissen erhalten. Die Pfarreien können auch eine Art Brückenfunktion für die Bewegungen darstellen, damit diese gesellschaftswirksam werden. Außerdem können sie Gravitationsfelder sein, damit die kommunikativen Glaubensmilieus einen Weg in einen nüchternen Lebensalltag finden und helfen, Bodenhaftung zu erlangen.
Buchtipp
Andreas Geßmann: "Chance oder Störfaktor? Die Beziehung zwischen neuen geistlichen Bewegungen und Pfarrei" Regensburg 2015