Neues Messangebot der Frankfurter Kapuziner richtet sich an breite Zielgruppe

Verständlich, aber nicht banal: Gottesdienste in Leichter Sprache

Veröffentlicht am 26.01.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Frankfurt ‐ Nicht nur für Kinder kann die liturgische Sprache im Gottesdienst eine Überforderung sein. Pater Stefan Maria Huppertz will deshalb zukünftig Gottesdienste "in Leichter Sprache" feiern. Im katholisch.de-Interview erklärt er, was es mit dem Angebot auf sich hat.

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Einfache Sätze, ausdrucksvolle Zeichen und dazu viel Musik. So wollen die Frankfurter Kapuziner künftig jeweils am letzten Sonntag im Monat einen Gottesdienst in Leichter Sprache feiern. Pater Stefan Maria Huppertz ist seit 2019 Rektor an der Liebfrauenkirche mitten in der Frankfurter Innenstadt. Im Interview mit katholisch.de erklärt er, wie es zu der Idee kam und warum sich das Angebot keineswegs nur an Familien mit Kindern richtet.

Frage: Pater Stefan, Sie wollen zukünftig einmal im Monat die Sonntagsmesse in Leichter Sprache feiern. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass unsere Gottesdienstsprache im Normalfall "schwierige Sprache" ist?

Pater Stefan: Die deutsche Sprache ist ja an sich eine schwierige Sprache und die Sprache im Gottesdienst ist nochmal mit Spezialvokabular gefüllt. Wir versuchen zwar grundsätzlich, das Phrasenschwein im Stall zu lassen und das "Gleichsam-Geschwurbel" zu vermeiden. Trotzdem ist der Glaube an sich ja eine komplizierte Sache und braucht eigentlich auch eine komplizierte Sprache. Und dadurch ist Gottesdienst feiern in Leichter Sprache eine wirkliche Herausforderung.

Frage: Wie ist diese Idee entstanden und welche Zielgruppe hatten Sie dabei vor Augen?

Pater Stefan: Die Idee kam eigentlich durch eine ganz interessante Konstellation zustande: In der Frankfurter Innenstadt gibt es mit Sankt Ignatius bereits einen Gottesdienstort, wo wir außerhalb von Pandemie-Zeiten jede Woche ein sehr breites Angebot für Kinder und Familien haben. Und da war es mir ein Anliegen, die Idee der Großpfarrei ernst zu nehmen und an der Liebfrauenkirche nicht auch noch ein Konkurrenzangebot in diese Richtung zu machen. Aber es gab hier engagierte Leute, die mir gesagt haben: Lass uns trotzdem mal überlegen, was für einen Gottesdienst wir anbieten können, der irgendwie zugänglicher ist. Und da kamen wir im Gespräch darauf: Leichte Sprache könnte doch etwas sein, das Familien und Kinder anspricht, das aber gleichzeitig auch Menschen – im wahrsten Sinne des Wortes – anspricht, die eine Behinderung haben, und das an einem international geprägten Ort wie Frankfurt vielleicht auch Menschen anspricht, die in der deutschen Sprache nicht zuhause sind. Wir dachten also ein bisschen an die "eierlegende Wollmilchsau", die hoffentlich für die Bedürfnisse und Belange von ganz vielen Schwestern und Brüdern hilfreich ist.

Frage: Wie unterscheidet sich nun ein Gottesdienst in Leichter Sprache von der vielerorts bekannten Praxis, dass die Kinder beispielsweise parallel zum normalen Wortgottesdienst eine biblische Geschichte nacherzählt bekommen oder in der Gruppe nachspielen?

Pater Stefan: Uns geht es darum, dass all die Menschen, denen die Leichte Sprache hilft, vom Anfang bis zum Ende die Messe richtig mitfeiern können und nicht nur für zehn von sechzig Minuten eingebunden werden. Die Kinder und die Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen oder mit einem kleinen deutschen Wortschatz sollen sich die ganze Zeit aktive am Gottesdienst beteiligen können. Das ist der Anspruch, der dahintersteckt. Und ich habe die leise Hoffnung, dass das Ganze auch für Menschen, die darauf nicht unbedingt angewiesen sind, sinnvoll ist. Von Leuten, die damit Erfahrung haben, habe ich schon mitbekommen, dass sich die Leichte Sprache die ersten fünf Minuten vielleicht komisch anhört, aber dann ist man wohl auch drin. Das bedeutet: Die, die es nicht brauchen, merken im besten Fall gar nicht, dass es sich um eine andere Sprachform handelt, aber die, die es brauchen, merken plötzlich: Wow, ich bekomme auf einmal richtig was mit.

Frage: Gibt es Vorlagen, auf die Sie bei der Gottesdienstvorbereitung zurückgreifen können?

Pater Stefan: Es gibt vom katholischen Bibelwerk ja schon alle Sonntagsevangelien in Leichte Sprache übersetzt. Bei den anderen Texten bastele ich gerade noch selber etwas herum. Es ist zum Beispiel ganz spannend, mal einen Abschnitt aus dem Korintherbrief in Drei- bis Vier-Wort-Sätze zu übertragen. Gleichzeitig merke ich schon jetzt, dass gerade die Vorbereitung einer Predigt in Leichter Sprache mindestens fünf Mal so viel Zeit braucht wie eine Predigt in komplizierter Sprache. Deswegen starten wir auch erstmal im monatlichen Rhythmus.

Leichte Sprache

Beispiel: Neutestamentliche Lesung am Vierten Sonntag im Lesejahr B

1 Kor 7,32–35

Der Apostel Paulus ist viel unterwegs.
Überall will er das Wort Gottes verkünden.
Er hat viele Gemeinden gegründet.
Denen schreibt er Briefe.

Jetzt hören wir aus einem Brief.
Der Brief geht an die Christen in der Stadt Korinth.

Paulus schreibt:

Liebe Schwestern und Brüder,
ich denke oft an euch.
Oft müssen wir an viele Sachen gleichzeitig denken.
Das ist anstrengend.
Manchmal ist zu viel in unseren Herzen und unseren Gedanken.
Dann ist es schwer, sich zu konzentrieren.
Wer verheiratet ist, denkt viel an seine Familie.
Das ist gut.
Es ist aber weniger Zeit, an Gott zu denken.
Ich möchte, dass ihr frei seid.
Ich möchte, dass ihr viel Zeit für Gott habt.
Ich glaube, das ist sehr gut für euch.

(Übertragung: Stefan Maria Huppertz)

Frage: Nun sind der sprachlichen Anpassung bestimmt auch Grenzen gesetzt. Wie sieht es etwa bei den Gebetstexten aus, wie weit darf man da gehen?

Pater Stefan: Ein ganz heikler, weil ganz heiliger Bereich ist natürlich das Hochgebet. Gestern in der Abendmesse habe ich beim Zweiten Hochgebet mal genauer darauf geachtet und mir gedacht: Wenn man hier und da eine längere Sprechpause macht, hat man es in dem Bereich eigentlich schon. Da bin ich aber auch noch etwas auf Hilfe von erfahreneren Leuten angewiesen, um es am Ende so hinzubekommen, dass es für alle verständlich, das Ganze aber gleichzeitig auch noch die Liturgie der Kirche ist. Wir wollen ja keine Veranstaltung, die im Gemeindesaal oder irgendwo im Keller stattfindet, sondern in einer der normalen Sonntagsmesse.

Frage: Welche Auswirkungen hat der Anspruch der leichten Sprache auf der musikalischen und rituellen Ebene?

Pater Stefan: Also auf die Musik wirken sich im Augenblick ja schon die Corona-Bestimmungen umfangreich aus. Wir haben an Liebfrauen das Glück, dass es hier ganz hervorragende haupt- und ehrenamtliche Leute in der Kirchenmusik gibt. Die sorgen sehr kreativ dafür, dass die Gemeinde auch unter den aktuellen Voraussetzungen gut mitgenommen wird. Das hilft auch bei den Gottesdiensten in Leichter Sprache. Da werden wir natürlich viel mit Wiederholungen arbeiten, also leichte Melodien oder Kanongesänge mit einfachen Texten verwenden. Auch werden wir viel instrumental machen, um einfach eine Atmosphäre zu erzeugen, die hilft, den Gottesdienst gut mitfeiern zu können. Auf der rituellen Ebene steht schon mal fest: Wir feiern natürlich die Liturgie der Kirche und schauen gerade, was man nochmal besonders visualisieren kann. Wenn man ordentlich die Liturgie feiert, wird ja eh schon ganz viel sichtbar. Schwierig wird es immer, wenn man dort herumfuhrwerkt. Wir wollen einfach versuchen, das, was sowieso schon da ist, zu unterstreichen. Ich denke jetzt spontan etwa an den Weihwasserritus und die Tauferneuerung.

Frage: Wie sieht das konkrete gottesdienstliche Setting aus, findet das Ganze in einem kleineren Rahmen innerhalb der Kirche statt?

Pater Stefan: Nein, geplant ist eine ganz normale Sonntagsmesse. Da werden auch nicht zusätzlich noch bestimmte Leute nach vorne geholt. Das würde unter Pandemie-Bedingungen ja sowieso nicht gehen. Bei uns ist die Kirche voll, gerade sonntags um elf Uhr. Und der Versuch ist, ganz verschiedene Gruppen und Bedürfnisse aufzunehmen. Die Gottesdienste sind eben nicht explizit für Kinder oder für Menschen mit Behinderung. Sondern das Angebot ist für diese Personengruppen – so hoffen wir – zwar besonders hilfreich, aber für alle anderen genauso. Und ansonsten haben wir in Liebfrauen fünf Sonntagsgottesdienste. Das heißt, wenn jemand sagt: Ne, da hab' ich kein Bock drauf, dann findet der auch eine vernünftige Alternative.

Das Innere der Frankfurter Liebfrauenkirche
Bild: ©DXR/own work/CC BY-SA 4.0

Die Liebfrauenkirche in der Frankfurter Innenstadt ist die Klosterkirche der Kapuziner. Die Gemeinschaft will hier zukünftig einmal im Monat eine Sonntagsmesse in Leichter Sprache feiern und damit Familien mit Kindern sowie Menschen mit Behinderung oder eingeschränktem Wortschatz ansprechen. Der erste Gottesdienst findet am 31. Januar um elf Uhr statt.

Frage: Hat, wer sich die Welt der Bibel und des christlichen Gottesdienstes bildhaft aneignet, sogar einen Vorteil gegenüber denen, die alles möglichst genau festklopfen und verstehen wollen?

Pater Stefan: Das ist jetzt ökumenisch nicht besonders sensibel formuliert, aber der Vorteil der katholischen Liturgie ist gerade, dass sie versucht, alle Sinne zu erreichen: es gibt etwas zu sehen, es gibt etwas zu riechen, es gibt verschiedene Körperhaltungen. Und dazu kommt dann auch die Schrift und eine vernünftig vorbereitete Predigt. Aber erstmal werden verschiedene sinnliche Eindrücke gegeben, an die wir anknüpfen können. Etwa kann man mit Weihrauch eine besondere Stimmung erzeugen, die ein gewisses mystisches Erlebnis ermöglicht. Aber auch auf der sprachlichen Ebene kann man sich mit Bildern besonders gut in biblische Welten und religiöse Vorstellungen hineinversetzen.

Frage: Verspielt die Kirche durch ihre oft anspruchsvolle Sprache Ihrer Meinung nach also Kommunikationspotential?

Pater Stefan: Es ist natürlich so, dass wir als Kirche wie jede andere Gruppe, wie jeder Verein, wie jede Berufsgruppe über ein eigenes Vokabular, eine eigene Sprachwelt verfügen. Mir ist das zum ersten Mal sehr bewusst geworden, als ich noch Pfarrer in München war und zu einem Fußballspiel in der Allianz-Arena mitgenommen wurde. Da habe ich gemerkt, die singen Gesänge, die mir unbekannt sind, die haben einen eigenen Sprachstil, die haben einen eigenen Kleidungskodex und so weiter. Ich war total raus. Und ich vermute, so geht es vielen Leuten, die nur selten in den Gottesdienst kommen. Die fragen sich: Was geht hier eigentlich ab? Das muss man auf jeden Fall abfedern. Auf der anderen Seite ist die Kunst in der Liturgie und in der Predigt ja, dass es nicht banal wird. Und das wird auch die Herausforderung bei diesen Gottesdiensten: Die Sprache soll einfach sein, aber das, was damit ausgedrückt wird, ist ja hoch komplex. Es darf nicht nur "Jesus mein guter Freund" übrigbleiben. Da bekomme ich oft den Eindruck: Dieser Jesus ist zwar ganz lieb, aber hat auch irgendwie einen an der Mütze. Was wir da feiern, ist etwas, das den Alltag übersteigt. Nicht banal und trotzdem verständlich, das ist, glaube ich, die große Herausforderung. Man sieht das manchmal bei Wissenschaftlern: Ich finde die besonders guten sind die, die etwas Kompliziertes ziemlich einfach formulieren können, ohne der Sache die Komplexität zu nehmen.

Frage: Sind die Gottesdienste auch eine Art Prüfstein, um Ihre eigene Sprache stärker zu hinterfragen?

Pater Stefan: Ja. Seit ich mich mit dem Thema Leichte Sprache beschäftige – und das ist ehrlich gesagt erst seit ein paar Monaten –, höre ich mir selber natürlich auch anders zu. Ich arbeite seit Jahren mit Sprache und freue mich, wenn ich etwas mit einer schönen Formulierung auf den Punkt bringe. Aber gerade, wenn man selber immer der Typ mit dem Mikrofon ist, kann man sich auch leicht an der eigenen Sprache berauschen und übersieht dann manchmal die Frage: Für wen sage ich das eigentlich? Ist das klar genug? Und da glaube ich, dass einem die einfache Sprache helfen kann, in eine demütige Haltung gegenüber dem großen Geheimnis des Glaubens zu kommen.

Von Moritz Findeisen