Die Botschaft verständlich machen
"Gute Texte auf Weltliteraturniveau werden länger, wenn man sie in leichte Sprache überträgt, weil ich eine verdichtete Aussage in mehrere Sätze aufbrechen muss, um sie verständlich zu machen", erklärt Dieter Bauer vom Katholischen Bibelwerk. Bei schlechten Texten sei es umgekehrt und das entlarve so manches Parteiprogramm, schmunzelt er. Der Theologe ist Teil eines Übersetzerteams, das seit 2013 Woche für Woche das Evangelium in leichte Sprache übersetzt und die Texte ins Internet stellt.
Den Anfang hatte vor einigen Jahren die Franziskanerin Paulis Mels gemacht. Eine Ordensschwester und Heilerziehungspflegerin, die regelmäßig Gottesdienste mit geistig behinderten Menschen feiert und ihnen das Wort Gottes auf diese Weise näher bringen will. Während einer Fortbildung im Nürnberger Caritas-Pirckheimer-Haus regte sie an, die Übersetzungen für alle zugänglich zu machen. Seither arbeiten bis zu acht Menschen an einer Bibelstelle: Schwester Paulis liefert die erste Übersetzung und diese wird von Theologen und Mitarbeitern mit Down-Syndrom unter die Lupe genommen und so lange bearbeitet, bis alle zufrieden sind.
Warum so viele Menschen an der Übersetzung beteiligt sind? "Die Texte sehen einfach aus, aber es ist schwierig, die Botschaft verständlich zu machen, ohne sie zu verfälschen", erklärt Bauer. Zum Teil seien massive Änderungen notwendig: Da werden Fremdwörter übersetzt, Texte in kurze Sinneinheiten gegliedert und die inhaltliche Reihenfolge so verändert, dass sie sich gedanklich gut nachvollziehen lässt.
Für die Theologen eine Gratwanderung, sagt Bauer: "Jede Übersetzung ist angreifbar und die Übertragung in leichte Sprache noch viel mehr." Das betreffe vor allem Texte, die selbst für Experten auf den ersten Blick schwer verständlich seien, wie etwa die Paulusbriefe. "Wenn ich so etwas übersetze, muss ich interpretieren, obwohl ich selbst unsicher bin, wie es gemeint ist." Die Gefahr dabei sei, dass der Reichtum und die Offenheit der Schrift nicht mehr voll zum Tragen kommen.
Wie viele Gedanken und fachliche Diskussionen in einem Satz stecken können, zeigt Bauer anhand eines Beispiels: "In der Einheitsübersetzung steht: Der Heilige Geist kam herab, wie eine Taube. Schwester Paulis übersetzt: Der heilige Geist sah aus wie eine Taube. So steht es aber nicht da, sondern es geht um die Form des Herabkommens. Und wofür steht die Taube? Geht es um das sanfte Herabgleiten oder um die Taube als Symbol für Gottes Liebe. Von wo kommt der Heilige Geist herab? Was ist der Himmel? Ist das eine Wolke oder ein anderer Begriff für Gott? Solche Bilder aufzulösen ist schwierig."
Gerne angenommen und vielfach verwendet
Auch wenn es mehrere Wahrheiten gibt, kommen die Theologen des Bibelwerks nicht darum herum, sich für eine Interpretation zu entscheiden. "Wir versuchen von der Zielgruppe her zu denken, den Menschen mit geistiger Behinderung oder mit Lernbehinderung. Ihr Verständnis zu gewinnen ist das A und O. Dafür müssen wir einiges opfern, was exegetisch, dogmatisch oder kirchlich wichtig wäre." Zugleich soll sich die Übersetzung von Kinderbibeln abheben. "Das wird demnächst besonders wichtig, weil wir die Textstellen bebildern wollen. Die Darstellungen dürfen nicht zu kindlich wirken."
Die Nachfrage nach den Texten ist groß. Froh über das Angebot ist zum Beispiel Bernd Grünauer aus Hilpoltstein. Der Klimaschutzmanager im Erzbistum Bamberg arbeitet im Nebenberuf als Diakon in Behinderteneinrichtungen. "Ich finde die unkomplizierte Sprache mit den vielen Wiederholungen sehr hilfreich im Gottesdienst mit geistig behinderten Menschen", sagt er und damit ist er nicht allein. "Sogar mein evangelischer Kollege nutzt die Übersetzungen."
Auch die katechetischen Erläuterungen, die das Bibelwerk dazu liefert, werden gerne angenommen. "Wir legen unsere Übersetzungs-Entscheidungen offen und geben Anregungen, wie man über den Text sprechen kann", so Bauer. Denn wer einen Gottesdienst mit behinderten Menschen feiert, muss viele Antworten haben. "Sie stellen genau die Fragen, die wir uns nicht mehr stellen. Gerade, wenn es um grausame Szenen in der Bibel geht. Wir sind es von klein auf gewöhnt. Sie aber fragen: Wie kann man sich sowas anschauen? Wie kann man das jemandem antun? Auch wenn die Texte so wirken, als wären alle Fragen beantwortet, sind sie es eben nicht."
„Es reicht nicht aus, eine coole Formulierung zu finden. Wichtig ist, was dahinter steckt. Und das sollte vermittelt werden.“
Wie wichtig es ist, die Botschaft der Bibel verständlich zu übersetzen, zeigen auch die vielen Prediger, die das Evangelium in leichter Sprache für den Sonntagsgottesdienst in der Gemeinde verwenden. "Sie laden die Texte bei uns herunter, weil sie sie verstehen wollen", erklärt Dieter Bauer. Wie seine Kollegin aus der Schweiz, die das Evangelium in der Einheitsübersetzung vorliest, aber für die Predigt den Text in leichter Sprache nutzt. "Sie erzählt, dass es dann mucksmäuschenstill im Gottesdienst wird, weil die Leute plötzlich ein Aha-Erlebnis haben."
Bauer begrüßt jedes Projekt, das versucht, die Bibel in die heutige Sprache zu übersetzen. Allerdings gehöre eine fachliche Begleitung dazu. "Es reicht nicht aus, eine coole Formulierung zu finden. Wichtig ist, was dahinter steckt. Und das sollte vermittelt werden." Problematisch findet er Übersetzungen mit ideologischem Einschlag, etwa die Bibel der Zeugen Jehovas sowie reine Gag-Übersetzungen, wie 'Die Bibel für Integrationswillige'. "Das Cover zeigt Jesus am Kreuz und daneben steht: 'Was hängßu Kreuz, Alder?' Sowas finde ich dann nicht so gelungen. "
Die Übersetzer des Evangeliums in leichter Sprache arbeiten indes weiter - und das überwiegend ehrenamtlich in ihrer Freizeit. "Es ist das tollste Projekt, das ich jemals hatte und eines der sinnvollsten. Es bringt den Menschen die Botschaft näher und hilft, die Tür zum Wort Gottes zu öffnen", freut sich Bauer. In Zukunft werde es noch spannender. "Eine Wundergeschichte können wir übertragen, aber was ist mit einem Gleichnis, einem Hymnus, einem Psalm oder gar dem Johannesprolog: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Das muss man erst einmal übersetzen."