Mitbestimmung gegen Widerstände: Mitarbeitervertretung in der Kirche
Während der Corona-Krise gibt es für viele kirchliche Mitarbeiter viel zu tun – vor allem in den sozialen Einrichtungen. Damit dabei auch die Arbeitsbedingungen stimmen, bestimmen Mitarbeitervertreter mit: Beim Dienstplan, beim Gesundheitsschutz und beim Arbeitsschutz und bei vielen anderen Themen. Dafür braucht es engagierte Mitarbeitervertreter. In diesem Jahr stehen in vielen Bistümern wieder Wahlen an. Die Vorsitzende der Diözesanen Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen (DiAG MAV) im Erzbistum Köln, Renate Müller, sieht die betriebliche Mitbestimmung vor großen Herausforderungen – die Düsseldorferin beklagt vor allem mangelnde Ausstattung der Mitarbeitervertretungen.
Frage: Frau Müller, das letzte Jahr hat die ganze Gesellschaft vor besondere Herausforderungen gestellt. Wie ist die betriebliche Mitbestimmung in der Kirche durch die Corona-Krise gekommen?
Müller: Sehr unterschiedlich. Es gibt Einrichtungen, in denen es sehr sehr gut klappt, in anderen wurden die Mitarbeitervertretungen übergangen. Inhaltlich gab es viele Herausforderungen, besonders in den Bereichen Arbeits- und Gesundheitsschutz.
Frage: Vor einiger Zeit hat die DiAG MAV die Mitarbeitervertretungen zum "Mut zur Klage" aufgerufen. Gab es den? Konnten Fehlentwicklungen bei der Mitbestimmung durch die kirchlichen Gerichte korrigiert werden?
Müller: Das ist nach wie vor ein schwieriger Prozess, und es bräuchte immer noch mehr Mut, die Beteiligungsrechte auch gerichtlich durchzusetzen. Es ist oft auch der Belastung der Kollegen geschuldet, dass nicht geklagt wird. In Zeiten, in denen ohnehin alle unter hohem Druck stehen, gibt es noch weniger Ressourcen, um Klagen zur Verbesserung der Situation der Mitarbeiter voranzubringen.
Frage: Würden Sie sich auch neue rechtliche Instrumente in der Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) wünschen, um in der Krisensituation bessere Beteiligung zu ermöglichen?
Müller: Das größte Problem ist die Ausstattung der MAVen, etwa um Videokonferenzen zu ermöglichen. Problematisch ist auch die Freistellung für die MAV-Arbeit. Vieles scheitert daran, dass nicht genügend Zeit zur Verfügung steht, weil sonst die eigentliche Arbeit liegen bleiben würde. Wenn sich die MAV in einem Krankenhaus für eine bessere Ausstattung der Kollegen mit FFP2-Masken und persönlicher Schutzausrüstung einsetzt, hilft das den Kollegen – aber erst einmal kostet das Zeit, die von den anderen überbrückt werden muss. Da wären bessere Vertretungsregelungen und Freistellungen hilfreich. Das Problem fehlender Freistellungen haben wir bereits mit einer Protestaktion bei Kardinal Woelki angemahnt.
Frage: Wie hat er darauf reagiert?
Müller: Gar nicht, da war Stillschweigen. Und geändert hat sich leider auch noch nichts.
Frage: Woran liegt es, dass das nicht klappt? Fehlt den Dienstgebern das Geld für Vertretungen oder der Wille, die MAV arbeiten zu lassen?
Müller: Das wissen im einzelnen nur die jeweiligen Dienstgeber. Ich glaube sowohl als auch. Sicher gibt es Einrichtungen, in denen das Geld knapp ist. Aber es gibt auch Dienstgeber, die nicht begriffen haben, was MAV-Arbeit ist und betriebliche Mitbestimmung nur lästig finden.
Frage: Wie machen Sie einem Dienstgeber schmackhaft, dass er sich dieser aus seiner Sicht lästigen Bürokratie einer betrieblichen Mitbestimmung aussetzt?
Müller: Betriebliche Mitbestimmung ist gemeinsame Sorge für die gute Gestaltung der Arbeitsplätze. Ein gutes Arbeitsklima und gute Arbeitsbedingungen sind auch ein Gewinn für den Dienstgeber. Aber bis das überall ankommt, müssen wir noch dicke Bretter bohren.
Frage: In der Corona-Krise wurde erstmals das Instrument der Kurzarbeit bei kirchlichen Trägern eingeführt. Haben Sie einen Überblick über die Nutzung?
Müller: Es wird zum Glück relativ sparsam genutzt. Einige Bereiche sind trotz der Krise weiterhin durchfinanziert, etwa die Kindertagesstätten. So kommt es nur punktuell zu Kurzarbeitsvereinbarungen. Wir hatten am Anfang mit mehr gerechnet. Die Krise hat kirchliche Einrichtungen nicht in der Breite getroffen, wie wir das befürchtet haben, auch wenn die Situation beispielsweise für Bildungshäuser sehr schwierig ist.
Frage: Die Kurzarbeit ist eine von drei MAVO-Änderungen in der Krise. Außerdem wurden Videokonferenzen für die MAV-Arbeit ermöglicht, zudem wurde die Nutzung von Briefwahl in kleineren Einrichtungen vereinfacht. Genügt das?
Müller: Nein. Die Mitarbeitervertretungen sehen umfassenden Änderungsbedarf. Auf Bundesebene haben wir knappe 100 Einwendungen, wo wir uns Änderungen wünschen. Es gibt einen enormen Änderungsbedarf im kirchlichen Mitbestimmungsrecht.
Frage: Was sind Ihre wichtigsten Forderungen?
Müller: Oft wird erst mit der MAV geredet, wenn Entscheidungen schon gefallen sind. MAVen gehören frühzeitig umfassend an den Tisch, müssen zeitnah und in allen Dingen informiert werden – da müssen Beteiligungs- und Informationsrechte besser geregelt werden. Der nächste große Bereich ist die Frage der wirtschaftlichen Mitbestimmung. Vor fünf Jahren gab es bereits eine Änderung, die aber nicht weit genug ging. Wir wollen hin zu einer wirklichen Mitbestimmung in wirtschaftlichen Fragen, und nicht nur eine bloße Unterrichtung über den Wirtschaftsausschuss, die wir jetzt haben. Schließlich muss endlich die Ausstattung der MAV verbindlich geregelt werden. Das betrifft Arbeitsmittel wie Telefone und Videokonferenzsysteme, aber auch den Zugang zu rechtlicher Vertretung, der jetzt noch oft umständlich eingeklagt werden muss.
Frage: Eine Besonderheit im kirchlichen Bereich ist der relativ geringe gewerkschaftliche Organisationsgrad. Würde mehr Engagement in den Gewerkschaften auch der MAV helfen?
Müller: Im Bereich der Tariffindung würde das helfen, nicht so sehr im Bereich der kollektiven Mitbestimmung. Die Kommissionen, die die Tarife bei uns festlegen – die arbeitsrechtliche Kommission in der Caritas und die KODA im verfasst-kirchlichen Bereich – legen die kirchlichen Ordnungen sehr eng an den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst an. Wenn der öffentliche Dienst um Tarifänderungen kämpft, wäre es gut, wenn kirchliche Mitarbeiter über ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft das unterstützen könnten. Im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung selbst sehe ich keine besonderen Vorteile eines höheren Organisationsgrads – hier würde es genügen, wenn die Mitarbeitervertretungsordnung konsequent umgesetzt würde.
Frage: 2021 stehen in einigen Bistümern, auch in der Erzdiözese Köln, MAV-Wahlen an. Wir haben viel über Probleme geredet – warum sollten kirchliche Mitarbeiter sich das antun und für die MAV kandidieren?
Müller: Als Mitarbeitervertreter hat man gute Möglichkeiten, das eigene Arbeitsumfeld mitzugestalten und die Arbeitsbedingungen für die Kollegen zu verbessern. Wenn man als MAV-Mitglied den Finger in Wunden legt, beschwert man sich nicht nur, sondern kann auch etwas ändern. Und natürlich macht es auch Spaß, Einfluss zu nehmen, sich zu engagieren und die eigene Kreativität für die Gemeinschaft einzubringen.
Frage: Was wird in den nächsten Jahren die MAV-Arbeit prägen? Was sind die großen Themen?
Müller: Die wirtschaftliche Situation der Einrichtungen, denn die Corona-Krise hat hier große finanzielle Auswirkungen. Ich denke dabei beispielsweise an die Projektfinanzierungen im Caritas-Bereich, an freiwillige soziale Leistungen, die unter Umständen Gefahr laufen, als erstes von Kommunen gestrichen zu werden. Da braucht es die MAVen für sozialverträgliche Lösungen. Hier in Köln ist für die Gemeinden auch der pastorale Zukunftsweg ein großes Thema: Die Reform der Kirchengemeinden muss auch von den MAVen begleitet werden.
Frage: Sind die MAVen angemessen an diesen Zukunftsfragen der Kirche beteiligt? Auf Bundesbene klagen die Dienstnehmervertreter, dass sie beim Synodalen Weg nicht beteiligt sind.
Müller: Die Kritik ist groß – und in der Tat sind wir sind nicht ausreichend beteiligt. Wir haben bei der Bistumsleitung vielfach angemahnt, dass auch wir Dienstnehmervertreter in den Prozess eingebunden werden müssen. Das soll erst passieren, wenn es an die Umsetzung geht. Das ist aber aus unserer Sicht zu spät. Die Bildung von Großpfarreien, die mögliche Umstrukturierung von Einrichtungen wie Kindertagesstätten hat auch Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen und die Aufgaben von Hauptamtlichen, die momentan eher nicht im Blick sind. Da sind wir wieder bei unserem größten Kritikpunkt: Mitarbeitervertreter werden meistens erst beteiligt, wenn alles schon entschieden ist.
MAV-Wahlen 2021
2021 finden in einigen Bistümern – darunter alle NRW-Diözesen, Berlin und München und Freising – Wahlen zu den Mitarbeitervertretungen statt. Eine MAV kann eingerichtet werden, wenn eine kirchliche Stelle mindestens fünf Mitarbeiter hat. Die Aufgaben der MAV entsprechen grundsätzlich denen eines Betriebsrats. Die kirchliche Mitarbeitervertretungsordnung gibt den MAVen jedoch weniger Rechte als das Betriebsverfassungsgesetz.