Influencerin: Habe Angst, dass die Kirche an sich selber kaputtgeht
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Kira Beer ist Theologiestudentin und Influencerin für die Diözese Rottenburg-Stuttgart. Im Interview erzählt die junge Frau von ihrem Glauben und ihren Wünschen für die Kirche.
Frage: Junge Christin zu sein, Katholikin zu sein – warum erzählst du davon im Internet?
Beer: Ich glaube, dass ich mich nie so ganz bewusst dafür entschieden habe. Ich war lange, ich sag mal, gegen soziale Medien. Ich habe vor allem Instagram als sehr oberflächlich und schlechten Einfluss für junge Menschen empfunden. Und erst mit 18, glaube ich, hab ich mich auf die Plattform gewagt und dann beschlossen, ich konsumiere und teile nur die Inhalte, die ich da irgendwie für wertvoll halte. Und das ist in meinem Leben vor allem der Glaube. Ich habe das aber eigentlich so privat, aus Spaß, angefangen, mal so ein bisschen was darüber zu erzählen, dass ich jetzt gerade im Kirchengemeinderat war oder so etwas ... Das entwickelte sich von selbst weiter, ohne dass ich mir jemals fest vorgenommen hätte, dass ich jetzt hier die bin, die groß über ihren christlichen Glauben oder über das katholisch Sein redet. Aber manche Dinge fügen sich dann irgendwie von selbst. Und heute mache ich es mega, mega gern!
Frage: Gibt es da auch Grenzen oder wie persönlich wirst du?
Beer: Ja, für mich ist schon die Grenze immer da, wo es andere Menschen in meinem Leben beträfe. Ich spreche schon sehr viel, sehr Persönliches über mich und über mein Glaubensleben. Aber ich tue mich zum Beispiel schwer damit, Details über meine Beziehung oder so etwas zu teilen, wenn ich weiß, dass mir viele Leute zugucken, die meinen Partner kennen. Dann finde ich das ein bisschen seltsam. Es ist meine Entscheidung, was über mich teile. Aber ich muss nicht über Leute, die mir nahestehen, irgendwie so viele Dinge teilen. Und da sind manchmal Grenzen, über die ich auch ein bisschen traurig bin, weil ich gerne mehr berichten würde, weil ich glaube, dass es wichtig ist, da nahbar zu sein. Aber das ist mir wichtig, da die Leute, die sich selbst nicht in eine solche Öffentlichkeit stellen, herauszuhalten.
Frage: Das machst du jetzt seit ein paar Jahren. Inzwischen gibt es das Format "ned gelabert" ("nicht gelabert") in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, wo du eine Vorbildfunktion hast, eine Influencerin geworden bist.
Beer: Das kann man so sagen, ja. Die Diözese verwendet diesen Begriff sehr gerne. Ich tue mich damit manchmal schwer, weil Influencerin zu sein, heißt immer irgendwo Werbung für etwas zu machen, ein Produkt anzuwerben oder in dem Fall der "Christ-Fluencer und -fluencerinnen" Gott anzuwerben. Meine Philosophie ist das nicht so ganz, weil ich niemanden vom christlichen Glauben überzeugen möchte. Ich möchte nur zeigen, wie ich ihn lebe. Und ich glaube, den Rest kann Gott bewirken. Deswegen bin ich mir manchmal nicht so ganz sicher, ob ich mich als Influencerin bezeichnen möchte, sage selber lieber Bloggerin. Aber es ist für mich auch voll in Ordnung, wenn ich so genannt werde. Ich sage dann manchmal gerne dazu, welche Absicht dahintersteckt.
Frage: Du willst also nicht missionieren, aber du lebst ja trotzdem vor. Was bedeutet für dich denn, katholisch zu sein in dieser Zeit, zu der wir leben, also im 21. Jahrhundert?
Beer: Für mich bedeutet das, dass ich schon seit meiner Kindheit an in der Kirche, die eben katholisch war, Heimat gefunden habe und begleitet wurde von wunderbaren Menschen, die sehr authentisch von Gott erzählt haben, die keine Unterschiede gemacht haben zwischen Menschen, zwischen Geschlechtern oder sexuellen Identitäten. Das habe ich mein Leben lang, meine Jugend durch, auch in der Jugendarbeit erlebt und mega schätzen gelernt. Und ich wünsche mir, dass die Kirche überall so ein Ort ist. Also ganz utopisch gesagt, dass wir quasi irgendwann gar keine kirchenpolitischen Diskussionen mehr hätten und uns voll und ganz darauf konzentrieren könnten, gemeinsam irgendwo Gott zu suchen, das Leben zu feiern, Trauer zu teilen. Das wäre mein Traum, auch wenn der natürlich jetzt irgendwie nicht in den nächsten Jahren zu realisieren ist. Aber das hab ich im Kleinen erlebt und es trägt mich. Und deswegen mache ich das, was ich mache, unglaublich gerne.
„Ich tue mich damit manchmal schwer, weil Influencerin zu sein, heißt immer irgendwo Werbung für etwas zu machen, ein Produkt anzuwerben oder in dem Fall der "Christ-Fluencer und -fluencerinnen" Gott anzuwerben. Meine Philosophie ist das nicht so ganz, weil ich niemanden vom christlichen Glauben überzeugen möchte. Ich möchte nur zeigen, wie ich ihn lebe. Und ich glaube, den Rest kann Gott bewirken.“
Frage: ... eine kleine Berufung vielleicht sogar. Und das, während sich ja auch viele Menschen von der Kirche abwenden, sich nicht mehr ins Gemeindeleben einbringen, vielleicht auch ans Austreten denken oder schon ausgetreten sind und sagen: Mit der Institution kann ich persönlich nichts anfangen.
Beer: Ja, und das kann ich absolut nachvollziehen. Von außen sagt man das ja auch gerne immer noch ein bisschen salopper: "Das sind alles Vergewaltiger. Wie kannst du das unterstützen?" Und auch wenn ich das so harsch nicht sagen würde, kann ich die Bedenken oder die große Kritik nachvollziehen und würde es niemandem zum Vorwurf machen, der oder die das nicht mehr mittragen kann. Dennoch ist meine Entscheidung, zu bleiben und mich dafür einzusetzen, dass es ein besserer Ort wird.
Frage: Wenn man deinen Instagram-Account anguckt, dann sieht man viele Fotos von einer fröhlichen jungen Frau, von deinem Leben, von deiner Familie, auch Videos, die du nutzt, um von deinem Glauben zu erzählen. Du bist überzeugte Influencerin für deine Diözese, vielleicht auch ein Vorbild für junge Christen. Du bist Theologiestudentin. Soll das auch weiterhin dein Leben bestimmen, zum Beispiel als Ordensschwester oder anders beruflich? Kannst du dir das vorstellen?
Beer: Also, die Berufung zur Ordensschwester habe ich bisher noch nicht verspürt, auch wenn ich da immer sagen würde: Keine Ahnung, was Gott noch vorhat! Ich meine, ich habe gerade erst angefangen zu studieren, ich bin 20 Jahre alt. Und ich merke, dass ich ganz arg an einem Punkt in meinem Leben bin, an dem noch sehr, sehr viel unklar ist, weil der Weg eigentlich erst begonnen hat und weil die Fragen gerade erst aufkommen. Ich kann momentan nicht sagen, es wird in die Richtung gehen oder das ist meine Berufung. Ich kann nur sagen, ich stelle mir in sehr viele Richtungen Fragen. Da ändern sich Dinge, manche sind mal mehr im Vordergrund, mal mehr im Hintergrund. Aber ich wage, die These aufzustellen, dass es noch spannend sein könnte, meinen Weg weiterzuverfolgen. Das habe ich auf jeden Fall im Gespür. Aber wohin es geht, das muss ich noch ein bisschen Gott überlassen.
Frage: Was könnten die Menschen, ob Christen oder nicht, jetzt gerade in der Corona-Krise gut gebrauchen?
Beer: Das ist eine gute Frage, an der ich, glaube ich, selber auch vor allem jetzt sehr hänge, weil wir hier jetzt schon seit fast einem Jahr im Ausnahmezustand sind und ich selber bemerke, dass es immer schwieriger wird. Also, ich finde, im ersten Lockdown hatte ich noch viel Motivation. Und wir haben jetzt digitale Formate und es ist toll. Langsam setzt aber eine große Trägheit ein, weil es schon so lange geht und weil ich mich selber immer wieder frage: Wie lange halte ich das noch aus? Oder wie lange müssen wir das noch aushalten? Ich weiß es nicht. Also, ich habe natürlich immer die letzte Hoffnung, dass es weitergeht und dass uns der Glaube auch da durchtragen kann. Aber ich stelle schon fest, dass es immer herausfordernder wird, je länger es geht.
Frage: Zum Glauben, der uns da durchtragen soll, gehört ja auch eigentlich viel Gemeindeleben oder Gemeinschaft. Wo erlebst du eigentlich deinen Glauben, wenn nicht gerade Pandemie ist?
Beer: Wenn nicht Pandemie ist, dann ist es, glaube ich, sowohl sehr gemeinschaftlich: Mir persönlich ist es vor allem in den letzten ein bis eineinhalb Jahren was sehr Wichtiges geworden, in Gottesdienste zu gehen. Gerade seitdem ich in Tübingen bin, ist es für mich eigentlich normal, auch mehrmals die Woche im Gottesdienst zu sein. Das gibt mir wahnsinnig viel. Als auch alles Persönliche: Also, sowohl Gebetszeit für mich selber, als auch viele unverhoffte Begegnungen, die irgendwo Gottesbegegnungen sind, mit denen man gar nicht gerechnet hat. Glaube passiert auch ganz oft dann, wenn man gerade gar nicht darauf wartet oder gerade gar nicht geplant hat.
Frage: Wie erlebst du das, ändert sich das durch die Pandemie-Zeit?
Beer: Auf jeden Fall. Und ich glaube, das ist das, was mich gerade vor die Herausforderung stellt, dass ich aus dem eigentlich so viel Kraft ziehe und es auf jeden Fall weniger wird, weil ich jetzt gerade nicht in Gottesdienste gehe oder so. Natürlich gibt es da andere Momente, die schön sind, intensive Momente an dem Ort, an dem man lebt, auch wunderschöne, wertvolle digitale Begegnungen. Das will ich gar nicht leugnen. Aber es ist auf jeden Fall eingeschränkt, das ist schon so.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Frage: Diese digitalen Angebote wie zum Beispiel auch dein Format "ned gelabert" oder ebenfalls durch die Pandemie entstanden der Live-Talk auf Facebook, den du dort regelmäßig in Kooperation mit der Diözese anbietest – denkst du, es bräuchte mehr von diesem Austausch oder Dialog auf digitaler Ebene oder solchen Angeboten der Kirche?
Beer: Ich glaube, dass es momentan nicht mehr braucht, weil ich ehrlich gesagt eher das Gefühl habe, dass wir fast an einem Punkt von Überflutung sind. Im ersten Lockdown fand ich das noch viel krasser, weil auf einmal jede und jeder irgendwas digital anbieten musste. Ich glaube, dass wir das eher besser brauchen. Also, ich meine, wahrzunehmen, dass es viel gibt, viele Streams. Aber dass vieles auch ausbaufähig ist, sodass es trotz des Digitalen irgendwie ein noch näheres, intensiveres Erlebnis wird und nicht einfach nur die Kamera in die Kirche gestellt, wenn ich das mal so salopp ausdrücken darf.
Frage: Welche Themen besprecht ihr beim Live-Talk mit Weihbischof Thomas-Maria Renz, damit es intensiv wird?
Beer: Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben ja noch nicht so viele gemacht. Ich hab jetzt am Mittwoch, am 3. Februar, um 19 Uhr erst den dritten, wo wir über Beichte sprechen werden. Die letzten zwei gingen über Sterbehilfe und jetzt vergangenen Monat über das Thema LGBTQ+ und Kirche. Mir ist es wichtig, eine Ausgewogenheit zu haben aus Dingen, die irgendwo die eigene Spiritualität betreffen, also so etwas wie das Sakrament der Beichte. Was bedeutet das für mich, oder auch nicht? Aber auch, ich sag mal, die heißen Eisen in der Kirchenpolitik wie eben dieses Thema LGBTQ+, wie geht unsere Kirche damit um und was muss sich da verändern? Für mich ist wichtig, da ein Gleichgewicht aus diesen beiden Gebieten zu haben.
Frage: Denkst du, dass es da kirchenpolitisch gesehen ein Gleichgewicht geben kann? Du hast vorhin von der Utopie gesprochen, dass du da einmal hinkommen möchtest. Wie denkst du, kann man das erreichen?
Beer: Oh, das ist eine gute Frage. Ich glaube, das ist was, was ich nur im Traum als Ziel habe und wo es mir sehr schwerfällt, mir zu überlegen, wie wir da hinkommen. Weil ich natürlich auch unsere Strukturen kenne und die – ich will nicht sagen, die Unbeweglichkeit, weil es sich schon etwas bewegt, aber in einem viel zu langsamen Tempo. Ich habe auch die große Angst, dass wir es nicht schaffen, zeitnah zu verändern und dass die Kirche doch an sich selber irgendwo kaputtgehen wird. Ich weiß es nicht. Ich tue mich auch sehr schwer damit, wirklich Prognosen aufzustellen, weil ich das nicht überblicken kann. Wer kann das überblicken? Aber natürlich, wenn ich jetzt selber irgendwo Machtträgerin wäre, dann würde ich erst einmal ganz viele Strukturen und lehramtliche Aussagen – das, was lehramtlich oder kirchenrechtlich festgesetzt ist – ändern, die Menschen auf verschiedene Stufen setzen, und würde mich da für mehr Gleichberechtigung einsetzen. Aber das hört sich so utopisch an. Das ist irgendwie so ein Traum! Aber das wird halt nicht passieren.
Frage: Wenn man von seinem Glauben überzeugt ist und darüber spricht, gibt es sicherlich auch die kritischen Stimmen, die du zu hören bekommst. Sollte man den Glauben besser für sich selbst leben?
Beer: Nee, das auf keinen Fall. Also, der Glaube setzt Gemeinschaft voraus, würde ich behaupten. Man kann immer – oder man sollte auch in gewissen Teilen – den Glauben für sich alleine leben. Und es bleibt immer ein Rest Geheimnis Gottes, das man nur irgendwie selber zwischen sich und Gott hat. Aber was wüsste ich über meinen Glauben und über diese Religion, wenn es mir nicht jemand nähergebracht hätte? Und ich schätze es. Und wenn ich nur still mit anderen Menschen zusammensitze oder mit anderen Menschen singen kann, das würde ich nicht missen wollen. Diese beiden Dinge gehören unweigerlich zusammen, finde ich.
Frage: Was ja leider jetzt in Pandemie-Zeiten total schwierig ist oder gar nicht geht. Was gibt dir da gerade Hoffnung?
Beer: Auch wenn ich immer wieder – ist, glaube ich, vorhin schon angeklungen – momentan eher Phasen habe, wo es mir sehr schwerfällt, noch die Hoffnung zu behalten, ist es doch so, dass ich mein Leben lang beobachtet habe, dass es immer irgendwie weiterging und weitergeht mit Gott und das lese ich natürlich auch aus allem heraus, was ich irgendwie in der Bibel an Geschichten entdecken kann und das hoffe ich. Es ist manchmal sehr anstrengend, sich immer wieder bewusst zu machen, dass das die Hoffnung ist. Aber das ist das, was tief im Inneren weiter schlummert und trägt.