Bode: Kommende fünf Jahre werden die schwierigsten meiner Bischofszeit
Mit der Altersgrenze von 75 Jahren sind Bischöfe verpflichtet, dem Papst ihren Rücktritt anzubieten. In fünf Jahren steht das auch Bischof Franz-Josef Bode bevor. Heute wird der Osnabrücker Oberhirte 70 Jahre alt. Im Interview spricht er über die Missbrauchsaufarbeitung in der katholischen Kirche und darüber, welche Ziele er bis zu seinem altersbedingten Rücktritt noch erreichen will.
Frage: Bischof Bode, Sie sind jetzt seit über 25 Jahren Bischof von Osnabrück und nun 70 Jahre alt. Wie geht es Ihnen momentan?
Bode: Gesundheitlich geht es mir gut. Vor drei Jahren fing ein großer Leidensweg für mich mit dem Rücken an, aber davon habe ich mich erholt und bin gut bei Kräften. Manchmal sage ich: Wenn es der Kirche so gut ginge wie mir, dann wäre ich ganz zufrieden. Ich finde die aktuelle Situation sehr bedrückend – in vielerlei Hinsicht: Das hat mit Corona, aber auch mit den Fragen um die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs zu tun, mit denen wir uns befassen müssen. Die nächsten fünf Jahre, die jetzt noch vor mir liegen, werden sicher die schwierigsten von den 30, die ich dann in Osnabrück bin.
Frage: Sie haben die Missbrauchsaufarbeitung bereits angesprochen, die aktuell in vielen deutschen Bistümern ein Thema ist. 2010 haben Sie sich in einer Demutsgeste im Osnabrücker Dom auf den Boden geworfen. Wäre es heute in vielen Bistümern nicht auch wieder an der Zeit, sich in den Staub zu werfen?
Bode: Ich weiß nicht, ob diese Gesten noch ausreichen. Was die Leute jetzt erwarten ist eine sehr objektive, unabhängige und transparente Aufarbeitung. Also nicht viele Entschuldigungsgesten oder Vergebungsbitten. Die sind zwar auch wichtig und man sollte zu dem stehen, was man falsch gemacht hat, aber jetzt geht es um einen sehr praktischen und zügigen Angang dieser Fragen.
Frage: Wie beurteilen Sie denn grundsätzlich die Aufarbeitung in den Bistümern seit 2010?
Bode: Ich denke, dass schon eine Menge geschehen ist. Man hat ja zunächst Konzepte für Prävention und Intervention entwickelt und aufgebaut, auch bei uns im Bistum. Die historische und theologische Aufarbeitung muss jetzt systematisch gemacht werden. Viele sind da schon relativ weit, einige haben ihre Ergebnisse sogar schon präsentiert. Wir sind gerade davor, damit zu beginnen. Corona hat das etwas verzögert, weil man dafür persönliche Treffen braucht. Es ist komplizierter und komplexer, als wir uns das vorgestellt haben.
Frage: Zusammen mit dem Erzbistum Hamburg und dem Bistum Hildesheim haben Sie eine Kommission zur Aufarbeitung gegründet, die in wenigen Wochen ihre Arbeit aufnehmen soll. Was erhoffen Sie sich davon?
Bode: Die Akten müssen nochmal insgesamt gesichtet werden. Wir haben hier die besondere Situation, dass wir bis 1995 größtenteils ein Bistum waren: Da gehörte Hamburg noch zu Osnabrück. Wir können also gar nicht anders, als zusammenzuarbeiten. Ich glaube nicht, dass viele neue Dinge von den Fällen ans Licht kommen. Aber es wird wahrscheinlich nochmal deutlicher, wie im Einzelnen mit den Fällen umgegangen worden ist. Es geht also nicht nur um die Fälle selbst, sondern auch um die Vorgänge und was generell zum Missbrauch geführt hat. Es sind also historische und systemische Fragen zu stellen.
Frage: Sie haben 2018 in einem Interview gesagt, Sie seien dagegen, dass die Namen aller Kirchenpersonen, die für die Vertuschung von Missbrauchsfällen verantwortlich sind, veröffentlicht werden. Ende des vergangenen Jahres haben Sie angekündigt, bei der Missbrauchsaufarbeitung in Ihrem Bistum alle Namen nennen zu wollen. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?
Bode: Ich habe damals wörtlich gesagt, dass die Verantwortungen differenziert benannt werden müssen. Wenn Sie die Verantwortungen benennen, kommt man gar nicht umhin, auch von Namen zu sprechen. Die Namen derer, die die Verantwortung getragen haben, sind ja meistens bekannt. Bischöfe, Generalvikare und auch Personalreferenten sind ja in gewisser Weise öffentliche Personen. Natürlich gibt es Persönlichkeitsrechte, die man beachten muss, wenn man etwa von Tätern und Beschuldigten spricht. Aber ich bin der Meinung, dass man die persönliche Verantwortung von Entscheidungsträgern klar und so offen wie möglich benennen muss – aber auch differenziert. Es hat nicht jeder die gleiche Verantwortung.
Frage: Sie selbst haben in der Vergangenheit auch Versäumnisse beim Umgang mit Missbrauchsfällen in Ihrem Bistum eingeräumt. Haben Sie zu dieser Zeit selbst über einen Rücktritt nachgedacht?
Bode: Nein. Ich habe den betreffenden Fall sehr offen angesprochen und auch dazu gestanden. Aber ich meinte, dass es doch wichtig wäre, die Zukunft und den weiteren Weg so mitzugestalten, dass es dann auch richtig und besser gemacht werden kann. Insofern habe ich nicht ernsthaft an einen Rücktritt gedacht.
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Frage: Um nach dem Missbrauchsskandal in der Kirche Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, ist vor mehr als einem Jahr der Synodale Weg gestartet. Sie selbst sind Vorsitzender des Synodalforums "Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche". Wie gut funktioniert da die Arbeit aktuell in der Corona-Pandemie?
Bode: Mir tut es sehr weh, dass wir im Forum nicht so gut weiterarbeiten können, wie das eigentlich vorgesehen war. Wir sind vor Corona gut gestartet, haben sogar einen ersten Textabschnitt vorgelegt, der bei den Regionalkonferenzen auch gut angenommen worden ist. Es hat dann aber leider nur noch Videobegegnungen gegeben. Die sind wichtig, damit wir im Gespräch bleiben. Aber es erschwert die Dinge, weil sie gerade in unserem Forum von der Atmosphäre abhängen. Es gibt eine große Bandbreite von zum Teil auch gegensätzlichen Meinungen, sodass ein Konsens oft nur schwer zu erreichen ist. Wir arbeiten jetzt konsequent an Handlungsoptionen, die entweder die Diözesen, die Bischofskonferenz oder Rom betreffen. Es geht darum, wie das Miteinander von Männern und Frauen auf allen Ebenen der Kirche gestärkt werden kann: in der Liturgie, der Verkündigung und im karitativen Bereich. Dabei geht es ganz stark um den Diakonat der Frau und darum, die Diskussion wachzuhalten, wie Christus-Repräsentation heute sakramental gesehen werden muss.
Frage: Machen Sie sich grundsätzlich Sorgen, dass der Synodale Weg am Ende im Sande verlaufen könnte, weil man aktuell aufgrund der Pandemie nur online diskutieren kann?
Bode: Nein. Alle haben weitergearbeitet und sind dabei. Es muss nur auch zur Abstimmung kommen und die Debatten müssen in der Synodalversammlung geführt werden. Gruppen, die sich abspalten oder kritisch sind, bekommt man bei einer analogen Versammlung besser in den Blick als im Video. Um den Synodalen Weg zusammenzuhalten, braucht es unbedingt möglichst bald auch physische Treffen. Davon lebt das Ganze. So gut man in Videokonferenzen vieles besprechen, regeln und auf den Punkt bringen kann – das hat ja die große Online-Synodalversammlung am 4. und 5. Februar gezeigt: Es geht aber nicht bei diesen atmosphärischen Dingen oder dem Dialog mit Rom. Und der müsste ja längst beginnen. Auch da kommen wir nur sehr schlecht voran über einige Videokonferenzen. Aber das ist nicht das, was wir gerade brauchen.
Frage: Was brauchen Sie denn?
Bode: Der Synodale Weg kann nur auch in synodaler Beziehung zu Rom geschehen. Wir können nicht hinterher einfach fertige Produkte abliefern und schicken sie nach Rom, um sie dort dann bewerten zu lassen. Das muss in einem Dialog schon vorher geschehen. Und dafür brauchen wir unbedingt eine andere Situation. Wir müssen dranbleiben, um so bald wie möglich den Weg weitergehen zu können. Aber wir brauchen mehr Zeit. Das sieht man schon jetzt.
„Ich wünsche mir, dass es dann eine Art Regionalsynode für Deutschland oder für Westeuropa gibt, wie wir das mit Amazonien schon hatten.“
Frage: Bei dem Reformprozess sind auch Menschen beteiligt, die zum Beispiel die Weihe von Frauen zu Priesterinnen oder die Abschaffung des Zölibats für Priester fordern. Spüren Sie da auch Druck bei Ihren Beratungen, dass das am Ende herauskommen muss?
Bode: Es gibt Menschen, die sagen: Wenn diese Ergebnisse nicht erzielt werden, dann ist der ganze Weg unsinnig gewesen. Andere haben durchaus auch diese Ziele, aber gehen schrittweise darauf zu und wollen den Raum dafür mehr öffnen. Zu dieser zweiten Gruppe zähle ich mich. Ich glaube, dass wir nur weiterkommen, indem wir immer mehr den Raum für Diskussionen eröffnen und daran mitwirken, dass es in der Kirche eine Entwicklung gibt. Veränderung ist in der Geschichte der Kirche fast immer so geschehen und nicht durch Forderungen, die dann schnell erfüllt worden sind. Es muss ein gemeinsames Suchen sein und nicht die Forderungen des einen vom anderen. Das macht die Schwierigkeit aus, weil viele diese Geduld nicht haben. Wir haben uns schon sehr lange damit befasst, aber es gibt keinen anderen als diesen sehr geduldigen Weg.
Frage: Haben Sie Sorge, dass am Ende des Synodalen Wegs auch Gläubige enttäuscht werden könnten?
Bode: Das wird immer so sein bei einem solchen Vorgang. Das hat es beim Zweiten Vatikanischen Konzil gegeben und das gibt es immer, wenn Entscheidungen gefällt werden, wenn Dinge vielleicht auch mit Minderheiten-Voten versehen sind. Es wird nicht immer Konsens geben und das wird auch zu Enttäuschungen führen. Die kommen aus unterschiedlichen Richtungen: Den einen geht es zu schnell, den anderen zu langsam. Man muss das, was man als richtig erkannt hat, konsequent und schrittweise weiterverfolgen. Das habe ich in meiner Zeit als Bischof gelernt.
Frage: Sie haben gerade den Dialog mit Rom angesprochen. Haben Sie die Sorge, dass eventuelle Voten oder Beschlüsse des Synodalen Wegs dort ausgebremst werden könnten – so wie das beispielsweise mit der Vatikan-Instruktion zur Pfarreienreform geschehen ist?
Bode: Diese Weise des Ausbremsens, wie Sie sagen, darf in Kirche so nicht sein. Es müsste auf unseren synodalen Vorgang auch eine synodale Antwort geben. Ich wünsche mir, dass es dann eine Art Regionalsynode für Deutschland oder für Westeuropa gibt, wie wir das mit Amazonien schon hatten. Dass es dann immer noch Entscheidungen geben wird, die nicht alle annehmen, das ist richtig. Aber dann sind sie wenigstens in großer Beteiligung und im Sinne eines Synodalen Weges, wie der Papst sich das auch vorstellt, entstanden. Wenn auf synodale Vorgänge von Rom aus nur mit einer Bewertung geantwortet würde, fände ich das enttäuschend, weil man dann die Gelegenheit eines wirklichen Dialogs nach vorne verpasst hat.
Frage: Sie haben noch mindestens fünf weitere Jahre als Bischof von Osnabrück vor sich. Was wollen Sie in dieser Zeit in Hinblick auf die drängenden Fragen der Kirche wie beispielsweise Frauenordination oder die Segnung homosexueller Menschen erreichen?
Bode: Das sind Fragen, mit denen wir uns auch beim Synodalen Weg beschäftigen. Dazu befassen wir uns parallel auch in unserem Bistum mit Regelungen und Kriterien für diese systemischen Fragen. Mindestens ebenso wichtig ist mir aber, dass wir diese fünf Jahre nutzen, um danach zu suchen, wie Christen in einer künftig säkulareren Welt ihren Glauben leben können. Das halte ich für die entscheidende Frage, denn wir kommen in eine Situation, in der Christen in der Gesellschaft in der Minderheit sein werden. Dabei spielen dann auch alle diese Fragen eine Rolle. Und wenn man Ziele wie ein wirkliches Miteinander von Männern und Frauen, eine gute Beziehungsethik und eine Wertschätzung aller Dienste und Ämter in der Kirche erreichen will, dann kann man das nur in einem Gesamtprozess machen. Den möchten wir im Bistum möglichst gut voranbringen. Wenn mir das in diesen fünf Jahren noch gelingen würde, wäre ich sehr zufrieden.