Geschichte, Motive und Liturgie: Die Fastenzeit auf einen Blick
Geschichte
Die Fastenzeit oder, wie sie richtigerweise heißt, die österliche Bußzeit ist die Vorbereitungszeit auf das Osterfest. Bis ins 4. Jahrhundert hinein hatte die österliche Bußzeit eine andere Form, als wir sie heute kennen: Es gab das sogenannte "Pascha-Fasten", das in den Osterfestbriefen des heiligen Athanasius erwähnt wird und das wohl sechs Tage lang begangen wurde. Freilich war dies von Kirche zu Kirche verschieden: Mancherorts hatte das Pascha-Fasten eine Dauer von zwei bis drei Tagen, anderorts wurde es bis zu einer ganzen Woche verlängert.
Im 4. Jahrhundert jedenfalls setzte ein neuer Prozess ein und die Vorbereitungszeit auf das Osterfest wurde insgesamt länger. Auch hier ist zunächst keine eindeutige Tendenz zu beobachten, die Ausdehnung geschah vielmehr in kleinen Schritten: Von der Einführung des österlichen Triduums führte der Weg über eine Woche der Vorbereitung (Karwoche) bis hin zur heutigen vierzigtägigen Fastenzeit, der Quadragesima. Doch die Länge der österlichen Bußzeit blieb über einen Zeitraum hinweg uneinheitlich und konnte sechs bis acht Wochen umfassen. In Rom wurde noch bis zum 6. Jahrhundert der sechste Sonntag vor Ostern als Beginn der Vorbereitungszeit betrachtet, erst in dieser Zeit wurde der Aschermittwoch als Anfangspunkt der Bußzeit festgelegt.
Wer übrigens die Tage der Fastenzeit vom Aschermittwoch bis zum Karsamstag einmal nachzählt, der wird feststellen, dass es sich keinesfalls um vierzig Tage handelt, wie der Name "Quadragesima" vermuten lässt. Vielmehr hat sich im 6. oder 7. Jahrhundert der Brauch entwickelt, nur die Werktage zu zählen; an den Sonntagen wird der Auferstehung Jesu gedacht, weshalb sie als Festtage vom Fasten ausgenommen sind. Mit dieser Zählung ergibt sich dann eben auch der Aschermittwoch als Beginn der österlichen Bußzeit, die mit dem Karsamstag endet.
Theologische Motive
Von großer Bedeutung ist natürlich die Zahl vierzig: Sie besitzt eine so große Symbolik, dass sie gewissermaßen als Leitgröße für die österliche Bußzeit hergenommen wurde. Die Fastenzeit wird deshalb häufig auch als "Quadragesima" bezeichnet, was abgeleitet von einem lateinischen Wort ("quadraginta") nichts anderes als vierzig bedeutet.
Zunächst begegnet die vierzig prominent im Alten Testament: Vierzig Jahre lang muss das Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten durch die Wüste wandern, bevor es ins Gelobte Land einziehen darf. Es ist eine Zeit, in der sich Israel einerseits auf sich selbst, andererseits auf die Beziehung zu JHWH neu besinnen muss. Die Wüstenzeit ist die Zeit, in der sich Israel als Volk Gottes konstituiert und bewährt. Israel erhält von Gott am Sinai die Tora, aber das ist eben nicht alles: Die Gesetze und Rechtsvorschriften müssen auch im konkreten Zusammenleben umgesetzt und realisiert werden. Der bloße Buchstabe reicht nicht aus. Vierzig Jahre hat Israel Zeit, sich in diese neue Lebensordnung einzuleben, die schließlich für das Zusammenleben im Gelobten Land konstitutiv sein wird. Doch die Beziehung zum Nächsten schließt auch die Gottesbeziehung mit ein: Das Volk Israel scheitert an seinem Gott und wendet sich einem goldenen Kalb zu. Die Erfahrung der scheinbaren Gottesferne wächst sich für das Volk zum Problem aus. Immer neu muss die Gottesbeziehung ausgelotet werden. Dass das alles kein Prozess ist, der von heute auf morgen geschieht, zeigt das Alte Testament: Ganze vierzig Jahre, also eine ganze Generation lang hat das Volk Zeit, die neue Lebensordnung der Tora einzuüben.
Schließlich gibt es auch im Neuen Testament ein sehr bekanntes Beispiel für eine vierzigtätige Zeit: Es ist das Fasten Jesu. Die Evangelien berichten davon, dass sich Jesus vor seinem öffentlichen Wirken unter Fasten und Gebet in die Wüste zurückzieht. Erst danach kann er in der Öffentlichkeit das Evangelium verkünden. Die Fastenzeit Jesu ist also eine Zeit der Besinnung, der Neuorientierung, aber auch der Prüfung und Versuchung. Immer neu muss sich Jesus für Gott seinen Vater entscheiden und sich dabei gegen die Versuchungen, die in dieser Welt lauern, entscheiden.
Gerade das Vorbild Jesu scheint für die christliche Fastenzeit konstitutiv zu sein: Jedes Jahr am ersten Fastensonntag wird das Evangelium vom Rückzug Jesu in die Einsamkeit der Wüste gelesen. Aber auch die Wüstenzeit des Volkes Israel darf nicht vergessen werden: In beiden Erzählungen geht es schließlich um die gleichen Erfahrung und um das immer neue Bestreben, sich im Verhältnis zum Nächsten und zu Gott zu bewähren. Und das ist schließlich auch heute noch der grundlegende Gedanke der österlichen Bußzeit.
Theologische Bergründung
In der Konstitution über die heilige Liturgie des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt es: "Die vierzigtägige Fastenzeit hat die doppelte Aufgabe, vor allem einerseits durch Tauferinnerung oder Taufvorbereitung, andererseits durch Buße die Gläubigen, die in dieser Zeit mit größerem Eifer das Wort Gottes hören und dem Gebet obliegen sollen, auf die Feier des Pascha-Mysteriums vorzubereiten" (SC 109). Damit reißt das Konzil einen Gedanken an, der über einen langen Zeitraum die Quadragesima geprägt hat: Die österliche Bußzeit war die intensive Zeit für die Taufbewerber, die in der Osternacht das Sakrament der Taufe empfingen und so in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen wurden.
Die Tauferinnerung kann in der Quadragesima für alle Gläubigen eine wichtige Rolle spielen: Es geht darum, sich neu daran zu erinnern, dass man in eine besondere Beziehung mit Gott berufen ist, die im Leben einen entsprechenden Ausdruck finden muss. Das Hören auf das Gotteswort und das Gebet sollen daher Hilfen sein, die eigene Gottesbeziehung neu auszuloten, um in rechter Weise das Pascha-Mysterium zu begehen. So stehen Umkehr und Versöhnung im Fokus der österlichen Bußzeit, "damit man so hochgestimmten und aufgeschlossenen Herzens zu den Freuden der Auferstehung des Herrn gelange" (SC 110).
Gegenwärtige Gestalt
Die Liturgie der Quadragesima ist vor allem von großer Nüchternheit bestimmt: Die liturgische Farbe der Paramente ist violett; ausgenommen der vierte Fastensonntag "Laetare", der mit der Farbe rosa auf das bevorstehende Osterfest hinweist. Die freudigen Gesänge des Gloria und Halleluja entfallen, in der Tagzeitenliturgie wird auf das Te Deum verzichtet. Orgelspiel soll nur zur Begleitung der Gesänge erfolgen, auf Blumenschmuck wird in den Kirchen verzichtet. Mancherorts werden auch Kreuz und Bilder verhüllt. Das alles zeigt: Die Quadragesima ist auch eine Zeit des Fastens für die Ohren und die Augen. Die Gläubigen sind eingeladen, sich neu auf das Wesentliche zu besinnen und nicht durch äußere Eindrücke abgelenkt zu werden. Stille und bewusste Nüchternheit sind auch Hilfen, sich neu auf das auszurichten, was wirklich wichtig ist.
Die private Frömmigkeit ist seit ältester Zeit vom Verzicht und Fasten geprägt. Bis heute ist die Fastenzeit für viele Menschen eine Einübung in eine bestimmte Form der Askese, die mehr oder weniger intensiv gestaltet sein kann. Außerdem steht neben dem eigenen Verzicht die Gabe für die Armen und Notleidenden. Hilfswerke wie Misereor laden alljährlich in der Fastenzeit ein, die Solidarität für den Nächsten in einer milden Gabe auszudrücken.
Schließlich ist die Quadragesima von verschiedenen privaten Andachtsformen bestimmt: Besonders die Kreuzwegandachten laden ein, den Leidensweg Jesu vom Haus des Pilatus bis zum Tod auf Golgotha betend nachzugehen. In der Karwoche werden Ölbergandachten gehalten oder man betrachtet im schmerzhaften Rosenkranz das Leiden Christi. In der Karwoche gibt es bis heute mancherorts noch die Tradition der Heiligen Gräber oder der Passionskrippen. Sie laden dazu ein, das Gedenken an das Leiden und Sterben Jesu nicht nur in den biblischen Texten zu hören, sondern es auch anzuschauen und so in einer intensiveren Weise mitzuvollziehen.