Kolumne: Unterwegs zur Seele

Was heißt Hingabe?

Veröffentlicht am 18.02.2021 um 16:50 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Hingabe ist ein wohlklingendes, aber eher altmodisches Wort. Brigitte Haertel geht der Frage nach, was es heutzutage noch bedeutet – und findet unter anderem bei den großen christlichen Mystikern Antworten.

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Wir gehen auf Ostern zu, dem religiös motivierten Menschen kommt vielleicht Maria Magdalena in den Sinn, jene Frau, die, wie die Bibel berichtet, die erste Zeugin der Auferstehung war.

Ein geheimnisvolles Vorleben soll sie gehabt haben, bei der Annahme eines neuen Glaubens jedoch eine ungewöhnliche Hingabe gezeigt haben, eine, die in der gegenwärtigen Welt kaum noch denkbar ist.

Was bedeutet es heute noch, das wohlklingende, beinahe altmodische Wort Hingabe? Die erste Assoziation gilt natürlich der Erotik: Hier ist die Hingabe bis heute weiblich konnotiert, womöglich aus rein biologischer Sicht. Die Frau als passives, sich hingebendes Wesen ohne eigenes Wollen und eigenes Verlangen ist im 21. Jahrhundert jedoch kaum mehr relevant.

Keine Weltflucht

Hingabe als Weltvergessenheit, wie Kinder sie beim Spielen erfahren, schöpferische Menschen bei der Arbeit, diese Art der Hingabe feiert die ewige Gegenwart und hat nichts zu tun mit Weltflucht.

Hingeben kann der Mensch sich einem Partner, einem Kind, der Kunst in all ihren Ausdrucksformen, der Wissenschaft und natürlich Gott. Märtyrer und Mystiker waren und sind ein Beispiel für die diese bedingungslose Hingabe, so wie Christus selbst in seiner Hingabe am Kreuz.

Die englische Entsprechung für den Begriff Hingabe, "devotion", also Demut und Unterwerfung, erklärt ihn nur ungenügend, weckt zudem Unbehagen: In dieser Definition bedeutet Hingabe die eigene Macht abzugeben an etwas, das größer ist als man selbst. Für Narzissten und Allmachtsfantasten unvorstellbar, für gläubige Christen zumindest eine Herausforderung. Wenn es im Vaterunser heißt: "Dein Wille geschehe", ist das nichts anderes als die Hingabe an den Willen Gottes!

Bild: ©stock.adobe.com/zwiebackesser (Symbolbild)

"Märtyrer und Mystiker waren und sind ein Beispiel für die diese bedingungslose Hingabe, so wie Christus selbst in seiner Hingabe am Kreuz", schreibt Brigitte Haertel.

Der Philosoph und Historiker Martin Scherer versucht in seinem gleichnamigen Buch der "Hingabe" auf die Spur zu kommen, beschreibt sie als absichtslose Verschwendung, die im Gegensatz zur Liebe nicht auf Erwiderung aus ist. "Hingabe ist keine Befindlichkeit, kein inneres Brodeln, sie ist nur als Tat, als Vollzug beschreibbar."

Die zeitgenössische Soziologie sieht erste Anzeichen dafür, dass Leidenschaft und Hingabe im Verschwinden begriffen seien, heute regiere auf den digitalen Liebesmärkten das freie Spiel von Angebot und Nachfrage.

Martin Scherer hingegen sieht in der Hingabe ein unsterbliches Phänomen: "Der Hingabe geht keine Entscheidung voraus, kein Abwägen von Für und Wider. Uns hingebend verlieren wir uns womöglich, aber wir gewinnen uns gleichsam als aufgeladenes Erlebnisbündel zurück. Der Mensch in der Hingabe erfährt so etwas wie das reine Jetzt. Die mystische Weltliteratur weiß nur zu gut um diese Epiphanie."

Große Mystiker als Narren der Liebe

Narren der Liebe heißen die großen Mystiker, jene, die ganz in der Selbstvergessenheit aufgingen: Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz, Franz von Assisi und andere.

Ein sich hingebender Mensch scheint verloren für die Verlockungen der Welt. Er erlangt eine Souveränität, die Kraft und Energie aus sich selbst heraus entfesselt, schreibt Martin Scherer.

Unentbehrlich auf dem Weg der Hingabe ist wohl Vertrauen: ins Leben, ins Selbst, in Gott.

Spätestens im Augenblick des Sterbens werden wir Menschen uns hingeben müssen. Im Leben die Hingabe zu üben könnte ein Anfang sein. So, wie Maria Magdalena es vorgemacht hat.

Von Brigitte Haertel

Die Autorin

Brigitte Haertel ist Redaktionsleiterin von "theo – Das Katholische Magazin".

Hinweis: Der Artikel erschien zuerst im "theo"-Magazin.