Queere Jugendpastoral: "Wir wollen alle Menschen mitnehmen"
Der Duden bezeichnet Menschen als "queer", die "in ihrer Geschlechtsidentität von einer gesellschaftlich verbreiteten heterosexuellen Norm abweichen". Gerade sie haben es in der Kirche oft schwer – auch pastorale Angebote für sie gibt es bislang kaum. Um dies zu ändern, hat sich im Bistum Limburg aus verschiedenen kirchlichen Einrichtungen ein Arbeitskreis queere Jugendarbeit gebildet, der entsprechende Formate entwickelt – unter anderem einen queeren Gottesdienst, der an diesem Sonntag erstmals stattfindet. Einer der Motoren des Arbeitskreises ist die Jugendkirche KANA in Wiesbaden, die sich bereits seit geraumer Zeit dem Thema verschrieben hat. Jugendbildungsreferent Eric Tilch (26), einer der KANA-Mitarbeiter, stellt den Arbeitskreis und seine Anliegen vor.
Frage: Herr Tilch, die Jugendkirche KANA ist Teil des Arbeitskreises queere Jugendarbeit im Bistum Limburg. Was hat denn so ein Arbeitskreis in einer Diözese überhaupt "verloren"?
Tilch: Vor gut eineinhalb Jahren haben wir uns als Jugendkirche KANA in Wiesbaden die Frage gestellt, wie wir Menschen begegnen wollen. Daraus entstand schließlich ein neues Leitbild. Wir fragen uns immer wieder, wo das Leben pulsiert, wo Menschen in Bewegung kommen, aber auch, wo Menschen – auch von Kirche – allein gelassen werden. So kamen wir Schritt für Schritt zur queeren Jugendarbeit. Zum damaligen Zeitpunkt gab es keine queeren Angebote seitens der katholischen Stadtkirche, dabei ist die queere Community in Wiesbaden sehr stark. Daher war unser Anliegen klar: Wir wollen nicht nur zuschauen, sondern die Menschen in der queeren Community aktiv unterstützen. Schrittweise haben wir uns dann mit kirchlichen Stellen im Bistum vernetzt, die ebenfalls im Bereich queere Jugendarbeit aktiv sind, etwa mit der Kolpingjugend. Wir haben also erstmal praktisch mit der Arbeit losgelegt und mit der zunehmenden Vernetzung der Akteurinnen und Akteure hat sich allmählich der queere Arbeitskreis geformt.
Frage: Ein Arbeitskreis, der ein in der Kirche heikles Thema behandelt, könnte ohne Unterstützung von "oben" gewiss nicht existieren. Spüren Sie Rückendeckung von der Bistumsleitung?
Tilch: Wir haben natürlich verfolgt, welche Resonanz von der Bistumsleitung kam – und da gab es immer wieder sehr gute Rückmeldungen. Ich spüre da insgesamt eine enorme Offenheit gegenüber dem Thema Pastoral für queere Menschen. Wir vernetzen uns momentan auch mit anderen diözesanen Einrichtungen, mit den Fachstellen des Bistums und den Verbänden. Sogar der Diözesanjugendpfarrer ist Teil unserer Arbeitsgruppe. Wir sind auch dankbar, dass uns der Beauftragte des Bistums in der Bundeskonferenz LSBTI*Pastoral mit Fragen zur kirchlichen Lehrmeinung zur Seite steht und uns gerade dann, wenn es etwa in der Formulierung von Flyern oder Online-Texten schwierig wird, gut mit dem richtigen Vokabular berät. Zudem werden auf der Bistums-Website Beiträge über uns veröffentlicht. Das würde man ja verhindern, wenn die Bistumsleitung etwas gegen unsere Arbeit hätte (lacht). Es gibt also den Rückhalt von Seiten der Diözese – und wir freuen uns, dass wir etwas bewegen können.
Frage: Welche pastoralen Angebote macht der Arbeitskreis?
Tilch: Wir haben im Moment einen Dreiklang: Das eine ist der queere Gottesdienst, den wir jetzt erstmals – digital – anbieten und danach regelmäßig an verschiedenen Orten im Bistum veranstalten wollen. Uns ist wichtig, queere Menschen nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land zu erreichen. Vor allem dort ist es für sexuelle Minderheiten oft schwer, weil es meist keine entsprechenden Angebote gibt. Das zweite Angebot ist "Kirche im Queerformat", also Filmabende mit anschließender Podiumsdiskussion überall im Bistum. Vergangenes Jahr hatten wir bereits das Thema Konversionstherapien, dieses Jahr steht Transsexualität auf dem Plan. Dabei stellen wir immer den Bezug zur Lehrmeinung der Kirche her. Als drittes kommt noch ein Stammtisch immer am 19. eines Monats hinzu, bei dem immer ein bestimmtes Thema im Mittelpunkt steht – derzeit noch digital, aber auch dieses Format soll im Laufe des Jahres an verschiedenen Orten des Bistums veranstaltet werden. Eine kleine Gruppe von Interessierten hat sich bereits gebildet.
Frage: Der erste queere Gottesdienst findet am Sonntag statt. Was muss man sich darunter vorstellen?
Tilch: Es wird bei jedem der Gottesdienste um das Thema Vielfalt gehen – natürlich unter dem Zeichen des Regenbogens. Wir wollen bewusst queere Menschen ansprechen und ein positives Zeichen gegen Ausgrenzung setzen. Aufgrund der digitalen Form ist es beim ersten Mal keine Eucharistiefeier, aber in Zukunft planen wir mit der Messform. Wir haben ganz bewusst die Hochform gewählt. Und wir wollen die Menschen selbst in den Blick nehmen. Das heißt, wir wollen nicht vorbeten und keine großen Predigten, sondern Leute zu Wort kommen lassen.
Frage: Queere Menschen, die die Kirche nicht von Grund auf ablehnen, sind eine verschwindend kleine Gruppe. Lohnt sich der ganze Aufwand überhaupt?
Tilch: Ob das wirklich nur eine kleine Gruppe ist, weiß ich nicht. Wenn ich mich umschaue, gibt es viele Menschen, auch unter den Ehrenamtlichen, die selbst queer sind und Kirche trotz – oder gerade wegen – vieler negativer Erfahrungen mittragen und mitgestalten wollen. Viele queere Menschen haben ein gewisses Gespür für Spiritualität, für soziale Fragen – schon allein deshalb, weil sie oft Diskriminierung ausgesetzt sind. Sie haben vielleicht auch eher die Bereitschaft, sich mit sich selbst intensiv auseinanderzusetzen, weil sie die eigene Sexualität besonders thematisieren müssen. Auch die Frage nach der eigenen Persönlichkeit steht viel stärker im Raum. Ich merke da eine sehr große Sensibilität für die Themen, die auch die Kirche anspricht.
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Frage: Was ist Ihr Eindruck: Fühlen sich queere Menschen in der Kirche gut aufgehoben?
Tilch: Ich kann natürlich nicht für alle sprechen. Einerseits sehe ich vielerorts in der Kirche Verständnis und Offenheit für das Thema Sexualität. Manchmal erhalten queere Menschen sogar große Unterstützung von Hauptamtlichen und Gläubigen in den Pfarreien. Andererseits wird mir in manchen Gesprächen deutlich, dass viele verletzt worden sind oder gar aus der Kirche hinausgedrängt wurden, weil sie sich nicht mehr in ihr verorten konnten.
Frage: Als kirchliches Gremium müssen Sie sich immer zu lehramtlichen Positionen und Äußerungen verhalten – gerade bei diesem Themenfeld ist das schwierig. Wie gelingt Ihnen das?
Tilch: Wir wollen mit unseren Angeboten bewusst Lehrtexte der Kirche in die Diskussion bringen. Dabei beziehen wir keine Position und sagen, was die Kirche lehrt, lehnen wir ab, sondern wir wollen in offener Weise darüber sprechen. Das ist unser Anspruch. Wir haben vergangenes Jahr im Rahmen des "Christopher Street Day" in Wiesbaden ein großes Regenbogenbanner an unsere Jugendkirche gehängt und wollten damit ein wenig provozieren. Es gab aber keine Empörung – die Zuständigen vor Ort hier haben das sogar eher bejaht und es als Aufhänger zur Beschäftigung mit dem Thema genommen. Wir haben gemerkt, dass es eine sehr gute Diskussionsgrundlage und -offenheit gibt. Das ist auch essenziell – bei aller Emotionalität, die in dieser Angelegenheit immer eine Rolle spielt.
Frage: Wenn aus bestimmten Kreisen mal wieder abwertende Äußerungen oder Kritik an Projekten wie Ihrem kommt – ist das nicht jedes Mal ein herber Rückschlag?
Tilch: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Wir haben so viel Rückhalt, dass wir solchen Äußerungen angemessen begegnen können. Aber andererseits zeigt das auch, dass wir mit unseren Themen anecken. Dadurch haben wir für unsere Anliegen Öffentlichkeit geschaffen und somit schon ein großes Ziel erreicht.
Frage: Sie sagen, Ihr Ziel besteht zunächst darin, eine breite Diskussion in der Kirche über queere Themen zu entfachen. Gibt es auch konkrete Hoffnungen, dass es auf lehramtlicher Ebene zu einem Umdenken kommt?
Tilch: Die Hoffnungen haben wir natürlich schon – im Bewusstsein, dass das vermutlich ein sehr langer Weg wird. Unser Wunsch ist, dass sich in der ganzen Kirche irgendwann die Erkenntnis durchsetzt, dass alles auf der Erde von Gott geschaffen und in seiner Vielfalt anzuerkennen ist – aber nicht eine Anerkennung im Sinne von "Wir respektieren die Menschen und sind barmherzig mit ihnen". Sexualität ist etwas Persönliches, etwas von Gott Geschenktes – und keine kirchliche Institution sollte darüber richten. Außerdem hat die sexuelle Orientierung keinen Einfluss auf die persönliche Glaubensausübung.
„Wir haben so viel Rückhalt, dass wir solchen Äußerungen angemessen begegnen können. Aber andererseits zeigt das auch, dass wir mit unseren Themen anecken. Damit haben wir für unsere Anliegen Öffentlichkeit geschaffen und dadurch schon ein großes Ziel erreicht.“
Frage: Was nährt Ihre Hoffnung?
Tilch: Gerade beim Synodalen Weg merkt man, dass sich bei diesem Thema etwas in der Kirche tut. Ich bin gespannt, was am Ende dabei rauskommt. Ich sehe aber hier im Bistum Limburg schon deutliche Schritte bei der Auseinandersetzung. Auch queere Gläubige selbst sind dabei, sich zu vernetzen. Da ist schon einiges in Bewegung – und das wird in den nächsten Jahren noch intensiver.
Frage: Wie schätzen Sie die Position von Papst Franziskus etwa beim Thema Homosexualität ein? Seine bisherigen Aussagen dazu sind ja nicht so leicht auf einen Nenner zu bringen…
Tilch: Da bin ich mir ehrlich gesagt auch nicht sicher, wie er genau darüber denkt. Einerseits nehme ich ihn als Papst wahr, der sich ergreifen lässt von Menschen. Man sieht ja auch an seinen Äußerungen, dass er den Wunsch vieler queerer Menschen nach Anerkennung wahrnimmt. Andererseits hat er bisher keine vollständige Öffnung forciert. Es gibt ja auch noch andere Kräfte, die in Rom wirken – und sich den Wünschen queerer Katholiken eindeutig entgegenstellen. Es ist natürlich auch für den Synodalen Weg schwierig, denn manche Fragen lassen sich im kleinen Deutschland nicht klären. Aber trotzdem ist es wichtig, diesen Weg zu gehen, um die Angelegenheit weiterhin in der Weltkirche zu thematisieren.
Frage: Planen Sie schon die ersten Segnungsgottesdienste für homosexuelle Paare?
Tilch: Noch nicht (lacht). Das ist selbstverständlich ein Thema, das wir verfolgen. Aber wir sind längst noch nicht soweit. Uns ist wichtig, das zu tun, was gerade möglich ist. Wir merken gerade, dass es ohne Schwierigkeiten möglich ist, queere Gottesdienste zu feiern. Das Thema Segensfeiern für homosexuelle Paare wird an anderer Stelle in der Kirche thematisiert. Ich nehme diese Impulse als bestärkenden Faktor im gesamten Diskurs über die Rolle queerer Menschen in der Kirche, aber auch für unsere Arbeit vor Ort wahr. Doch für uns als Arbeitskreis geht es in erster Linie darum, alle Menschen auf dem Weg zur Gleichberechtigung mitzunehmen.