Caritas-Mitarbeitervertreter zum Flächentarif: "Die Chance ist vertan"
Ein bundesweiter allgemein verbindlicher Tarifvertrag in der Altenpflege ist gescheitert – ausgerechnet an der Caritas. Die arbeitsrechtliche Kommission des Sozialverbands, in der Vertreter von Dienstgebern und Dienstnehmern über die Rahmenbedingungen der Arbeitsverträge entscheiden, hat in der vergangenen Woche die Zustimmung verweigert. Ohne die Kirche ist der Flächentarif nicht zu machen. Gescheitert ist die Zustimmung an den Stimmen der Dienstgeber – sie befürchten, dass ein Flächentarif dazu führen könnte, dass künftig von Kostenträgern wie Kommunen nur noch das Niveau des Flächentarifs finanziert würde. "Das würde massiv der Caritas mit ihren höheren Tarifen schaden", erklärte die Dienstgeberseite nach der Entscheidung. Die Dienstnehmerseite bedauert das. Deren Sprecher Thomas Rühl erklärt im katholisch.de-Interview, warum ein Flächentarif kein Problem für die Caritas wäre – und wie es jetzt weitergeht.
Frage: Herr Rühl, die Kirche hat ein eigenes System zur Tariffindung – wie konnte es dann dazu kommen, dass die Entscheidung der Caritas den Ausschlag für einen Flächentarif gibt?
Rühl: Die Kirchen waren über das Katholische Büro in Berlin stark in die Entstehung der Regelung im Arbeitnehmerentsendegesetz, dem § 7a, eingebunden, über die jetzt der Flächentarif eingeführt werden sollte. Natürlich hat die Kirche mit dem Dritten Weg einen Sonderweg in Deutschland, aber von der katholischen Soziallehre her befürwortet sie Tarifverträge. Tarifverträge sind auch gerade in diesem Bereich der Pflege sozial sinnvoll. Damit die Kirchen mit ihrem Arbeitsrecht von dem Tarifvertrag aber nicht überlagert werden, hat man diese besondere Regelung des § 7a geschaffen, der vorsieht, dass ein ausgehandelter Tarifvertrag der Zustimmung der Kirchen bedarf, wenn er für allgemeinverbindlich erklärt werden soll.
Frage: Ein Flächentarif nach diesem System wäre also eine Bestätigung des Dritten Wegs und keine Gefahr?
Rühl: Richtig. Es gibt im Arbeitnehmerentsendegesetz noch eine weitere Regelung, den § 5, mit dem ein Tarifvertrag nur für die Bereiche abgeschlossen werden kann, in denen Tarifverträge möglich sind – der würde dann nicht für die Kirche gelten. Nur in diesem Fall wäre das passiert, was die Arbeitgeber jetzt als Argument anführen.
Frage: Die Befürchtung der Dienstgeberseite ist, dass von Kostenträgern den Einrichtungen nur noch das erstattet wird, was dem Flächentarif entspricht, und die höheren Caritas-Tarife nicht mehr finanziert sind. Das wäre aber ausgeschlossen?
Rühl: Richtig. Der § 7a lässt nicht viele andere Regelungsmöglichkeiten zu, als sie auch die Pflegekommission mit dem Pflegemindestlohn beschließen kann. Das Gesetz schließt viele Regelungsbereiche aus, zum Beispiel ist es nicht möglich, eine betriebliche Altersvorsorge allgemeinverbindlich zu machen.
Frage: Es besteht also zu keiner Zeit die Gefahr, dass Caritas-Mitarbeitende schlechter gestellt würden bei einem Flächentarif?
Rühl: Nein. Wenn die Gefahr bestanden hätte, hätten wir auf Mitarbeiterseite das nicht mitgemacht.
Frage: Gibt es Caritas-Mitarbeitende, die von dem Flächentarif profitieren würden? Es wird zwar immer die hohe Tarifbindung der Caritas betont, aber von einer hundertprozentigen Tarifbindung ist auch da nicht die Rede.
Rühl: Durch die innerkirchlichen Regelungen sind alle Caritas-Träger verpflichtet, die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) anzuwenden. Weil der AVR kein Tarifvertrag ist, sondern nur dann zur Anwendung kommt, wenn er arbeitsvertraglich vereinbart ist, könnten kirchliche Arbeitgeber das auch nicht in die Verträge schreiben. Damit wären sie aber außerhalb des kirchlichen Systems. Mir sind auch keine solchen Fälle bekannt, deshalb würde direkt wohl keine Caritas-Mitarbeiter vom Flächentarif profitieren, weil sie ohnehin besser gestellt sind.
Frage: Sind die Tarife momentan das drängendste Problem in der Pflege? Oder sind es vielmehr die Arbeitsbedingungen, also beispielsweise die Überlastung durch Personalmangel und Schichtpläne?
Rühl: Das kann man nicht gegeneinander ausspielen. Beides sind Probleme. Eigentlich sind die tariflichen und arbeitsrechtlichen Regelungen klar. Wenn ein Dienstplan festgelegt ist, dann gilt der auch und der Mitarbeiter hat einen Anspruch darauf, danach zu arbeiten. Krankheitsvertretungen und ähnliches sind nur mit der Einwilligung des Mitarbeiters möglich. Die Kolleginnen und Kollegen in der Altenhilfe haben aber die betreuten Personen im Blick und weniger ihre eigenen Rechte – und so kommt es oft zu einem Durcheinander und dem sogenannten "Holen aus dem Frei", bis hin zu Situationen, wo die Teams selbst für Vertretung sorgen und sich untereinander unter Druck setzen. Das ist etwas, was wir tariflich nicht geregelt bekommen. Wenn Rechte aus den Tarifen nicht in Anspruch genommen und durchgesetzt werden, können wir auf unserer Ebene nichts machen.
Frage: Der Bund Katholischer Unternehmer (BKU) hat genau diese Position vertreten: Der Tarif ist nicht das drängende Problem, die Arbeitsbedingungen sind es, und daher braucht es auch den Flächentarif nicht.
Rühl: Der BKU ist nun von der Altenpflege weit weg. Ich wüsste nicht, wie er das beurteilen könnte. Die Bezahlung spielt natürlich eine Rolle. Die Altenpflege hat ein Imageproblem, fragen Sie doch mal die jungen Leute, was die machen wollen – da finden Sie nicht viele, die Altenpflege als Traumberuf angeben. Natürlich sind die Arbeitsbedingungen mit Arbeitszeit und Schichtdiensten nicht angenehm, aber das gibt es im Krankenhaus, in der Kinder- und Jugendhilfe oder in der stationären Behindertenhilfe ganz genauso. Bei Pflegekräften kommt dazu, dass sie im Krankenhaus bessere Aufstiegsmöglichkeiten haben, es gibt dort Weiterbildungen, die mit mit einer höheren Vergütungen einhergehen, das gibt es in der Altenhilfe wenig bis gar nicht. Und deswegen ist auch der Tarif ein drängendes Problem.
Frage: Der BKU macht das Prinzip der Subsidiarität und der Trägerpluralität stark und argumentiert, dass diese Vielfalt der Anbieter durch einen Flächentarif gefährdet sei. Sehen Sie das auch so?
Rühl: Nein, unsere Position ist schon immer, dass die Konkurrenz in der Altenpflege und im ganzen Sozialbereich nicht über Tarife stattfinden darf, sondern über Qualität. Ein Wettbewerb über Qualität kommt auch unmittelbar dem Klienten zugute, und nicht nur den Kostenträgern und Einrichtungen. Die Trägerpluralität ist daher von einem Flächentarif überhaupt nicht gefährdet, zumal ein Flächentarif nur einen Mindestlohn festlegt – und die kirchlichen Träger zahlen ohnehin besser als der Tarifvertrag es vorsieht. Der Flächentarif enthält nur ausgewählte Regelungen. Von den Kollegen der Gewerkschaft Ver.di weiß ich, dass sie auch eine ganze Reihe von Anliegen wie Gesundheitsschutz gerne im Tarif gehabt hätten, aber das ist an der Arbeitgeberseite gescheitert.
Frage: Wie sieht es bei der Caritas mit Gesundheitsschutz im AVR aus? Verhandeln Sie darüber?
Rühl: In der Pflege ist das bisher nicht geschehen. Der erste Tarifvertrag, wo es so etwas gibt, ist der für Ärzte im Krankenhaus, weil der Marburger Bund das in der letzten Tarifrunde so vereinbart hat. Unsere Arbeitgeber wollten das nicht, weil das natürlich ihre Souveränität oder Autonomie in der Gestaltung der Dienstpläne einschränkt. Wir wissen aber von den ärztlichen Kollegen, dass das dort gut angekommen ist: Dass es bei Tarifverhandlungen nicht mehr nur um Geld, sondern auch um anderes wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht, ist ein Trend in den letzten Jahren. Wir hoffen, dass in den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst in diesem Bereich etwas geschieht und wir das dann auch für die Caritas übernehmen können.
Frage: Nicht nur der Pflegeberuf hat ein schlechtes Image – nach der Ablehnung des Flächentarifs hat auch die Caritas gerade eine sehr schlechte Presse. Glauben Sie, dass der Druck der Öffentlichkeit hier etwas bewirken kann?
Rühl: Wir waren letzte Woche Donnerstag schon einigermaßen geschockt über die geschlossene Ablehnungsfront unserer Dienstgeberseite. Das hatte sich eigentlich vorab nicht so abgezeichnet. So wie die Dienstgeber gestrickt sind, glaube ich aber nicht, dass öffentlicher Druck denen etwas ausmacht. Natürlich könnte man jetzt Sondersitzung um Sondersitzung machen und so lange abstimmen, bis die Zweidrittelmehrheit irgendwann steht, aber das wird wohl nicht kommen. Die Tarifvertragsparteien könnten natürlich einen neuen Anlauf unternehmen und dasselbe Verfahren neu aufsetzen. Dabei gibt es aber ein Problem: Im Herbst ist Bundestagswahl. Die Große Koalition steht hinter dem Flächentarif, auch wenn die Positionen von SPD und Union da unterschiedlich sind – ob eine eventuelle neue Bundesregierung ohne SPD-Beteiligung daran festhalten würde, ist fraglich. Es gab die Chance, den Flächentarif auf die Schiene zu setzen, diese Chance ist jetzt vertan.
Frage: Und wie geht es dann weiter?
Rühl: Arbeitsminister Heil wird demnächst die Pflegekommission besetzen, die über Mindestlöhne verhandeln wird. Für die Caritas-Arbeitnehmerseite werde ich ihr wohl angehören, und für mich ist vollkommen klar, dass ich da nichts mitmachen werde, was unterhalb dem Niveau des Tarifvertrags Altenpflege liegt. Wenn man die Bedingungen der Pflege über diese Kommission verbessern will, gerne. Aber zu meinen, man kann sich die privaten Anbieter möglichst damit vom Hals halten, dass man ihnen erlaubt schlechte Löhne zu zahlen, damit man selbst das gute Personal bekommt, das ist aus Mitarbeitersicht ein Irrweg.