Erste Essener Pfarrei-Leiterin: Meine Ernennung ist Hoffnungszeichen
Gemeindereferentin Sandra Schnell wird als erste Frau im Bistum Essen eine Kirchengemeinde leiten: Ab Ostern ist sie Pfarrbeauftragte für die Pfarrei St. Matthäus in Altena. In Interview spricht Schnell darüber, was sie für ihre neue Aufgabe qualifiziert, wie sie die Situation der Frauen in der Kirche sieht und was sie auf Kritik an ihrer Ernennung antwortet.
Frage: Frau Schnell, ihre Ernennung zur ersten Leiterin einer Pfarrei im Bistum Essen ist in den vergangenen Tagen auf ein großes mediales Echo gestoßen. Sogar fremdsprachige Medien, etwa aus Spanien, haben über die Personalie berichtet. Wie erklären Sie sich dieses große Interesse?
Schnell: Mich hat selbst sehr erstaunt, dass so viel Interesse dafür da ist. Natürlich war es dem Bistum wichtig, dass die Presseabteilung meine Ernennung gut kommuniziert – zunächst mit Blick auf die Lokalpresse und die interessierte Öffentlichkeit innerhalb des Bistums. Die doch sehr große Aufmerksamkeit darüber hinaus deute ich als "Zeichen der Zeit": Es ist an der Zeit, dass wir als Kirche diese Wege gehen und deswegen eine große Offenheit dafür bei den Menschen da ist. In der letzten Zeit, etwa nach der Vollversammlung der Bischöfe gab es viel Negativ-Presse für die Kirche, vielleicht war es daher schön, positive Nachrichten aus der Kirche zu hören. Aber das Thema "Frauen und Kirche" ist in den Medien sehr präsent, wie man an der Berichterstattung über die Bewegung "Maria 2.0" sieht. Meine Ernennung macht nun vielleicht als "Hoffnungszeichen" die Runde.
Frage: Haben Sie sich auf die Stelle als Leiterin einer Pfarrei denn auch beworben, um ein Hoffnungszeichen zu geben?
Schnell: Ja, das ist so. Ich habe immer die Gelegenheit genutzt, wenn sich in der Kirche eine Tür für uns Frauen geöffnet hat. Ich mache gerne hierbei den Anfang. Ich bin seit 27 Jahren Gemeindereferentin und als ich angefangen habe zu arbeiten, war gar nicht denkbar, dass sich solche Wege wie jetzt auftun würden. Ich freue mich sehr darüber, denn es ist für unser Bistum ein großer Schritt. Eine Steuerungsgruppe im Bistum Essen hat lange daran gearbeitet, ein entsprechendes Modell zu entwickeln.
Frage: Wie bewerten Sie die Situation der Frauen in der katholischen Kirche?
Schnell: Für uns Frauen gibt es eindeutig Luft nach oben. Durch Personalien wie meine zeigt die Kirche, dass sie Frauen als wertvoll und wichtig ansieht. Man macht klar, dass man die Kompetenzen und Charismen von Frauen sieht und sie dementsprechend einsetzt. Aber eine Gleichstellung von Frauen und Männern gibt es natürlich nicht – das wird in naher Zukunft wohl auch nicht passieren. Es ist sehr gut, dass sich die Frauen von "Maria 2.0" darum bemühen, gleichzeitig denke ich eher pragmatisch und gehe die Wege, die jetzt schon möglich sind. Wenn auf der überregionalen Ebene der Bischöfe, aber auch an der Basis, wo ich mich verorte, an dem Thema gearbeitet wird, geht es immer ein kleines Stück voran.
Frage: Sie rechnen also nicht damit, dass Sie in zehn bis 15 Jahren vielleicht die erste Pfarrerin Ihres Bistums sein werden?
Schnell: Das glaube ich nicht, denn das wäre einfach ein zu großer Schritt für die katholische Kirche. An das Priesteramt sind so viele Dinge geknüpft, dass das Weihesakrament in nächster Zeit sicher nicht für Frauen geöffnet wird. Während meiner Zeit im Beruf werde ich das nicht mehr erleben.
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Frage: Sie arbeiten seit mehreren Jahrzehnten hauptamtlich für die Kirche. Welche Qualitäten aus Ihrer Tätigkeit als Gemeindereferentin und darüber hinaus werden Ihnen bei der Pfarreileitung helfen? Und was müssen Sie sich nun aneignen?
Schnell: Im Bistum Essen wurden 2007 die Pfarreien zusammengelegt und wir Gemeindereferenten und -referentinnen haben die Möglichkeit erhalten, die Leitung einer Teilpfarrei, also das, was früher die Gemeinden waren, zu übernehmen. Ich gehörte zu einen der ersten Gemeindereferentinnen mit Koordinierungsaufgaben. In dieser Position konnte ich bereits Leitungserfahrung sammeln, diese Qualifikation besitze ich also schon. Ab Ostern bin ich nun die erste Pfarrbeauftragte im Bistum Essen. In der neuen Funktion liegen meine Stärken besonders in der Pastoral. Aktuell bin ich in einer Pfarrei tätig, in der es wenige Katholiken auf einem großen Pfarrgebiet gibt. Das wird auch bei meiner neuen Stelle so sein. Ich muss neue Dinge lernen und Fortbildungen besuchen, etwa im Bereich der Verwaltung, womit ich bisher nicht betraut gewesen bin, weil das der Pfarrer gemacht hat. Personalführung steht auch auf der Liste.
Frage: Ihnen ist ein "moderierender Priester" zur Seite gestellt. In welchem Verhältnis stehen Sie zueinander? Wer hat das Sagen, wenn es hart auf hart kommt?
Schnell: Mit Absicht heißt der "moderierende Priester" nicht Pfarrer. Es ist ganz klar meine Aufgabe, die Pfarrei zu leiten und der Priester soll mich dabei unterstützen. Er übernimmt die Dinge, die ans Priesteramt gebunden sind, etwa die Spendung einiger Sakramente. Taufen, Eheschließungen und Eucharistiefeiern werden zusätzlich auch andere Priester feiern. Aber der moderierende Priester hat den Vorsitz im Kirchenvorstand, in dem ich auch ein Mandat haben werde. Außerdem ist er Rektor der Pfarrkirche. Dabei stehen wir in gemeinsamer Verantwortung. Der mir zugeordnete moderierende Priester, Johannes Broxtermann, ist mit über 70 Jahren bereits Senior und darauf eingestellt, überwiegend unterstützend da zu sein.
Frage: Die Verantwortung für die Gemeinde liegt also bei Ihnen, oder handelt es sich bei dem Modell um eine "Mogelpackung" durch die Bistumsleitung?
Schnell: Nein, das würde ich nicht sagen. Die Verantwortung liegt in der Tat bei mir und ich erhoffe mir Unterstützung durch den Priester.
Frage: Sie werden im Bistum Essen die erste Frau sein, die eine Pfarrei leitet, doch in anderen Diözesen gibt es dieses Modell schon, etwa im Bistum Osnabrück. Gibt es einen Austausch mit dortigen Frauen und männlichen Laien in Pfarreileitungsfunktion?
Schnell: Im Moment gibt es einen Austausch auf Ebene der Diözesen zwischen den Verantwortlichen in Essen und Osnabrück. Durch die gemeinsamen Gespräche konnte das Bistum Essen von den Erfahrungen in Osnabrück profitieren. Es wird zudem jemanden aus dem Bistum Osnabrück geben, der mir mit Rat und Tat zur Seite steht, wenn ich eine Frage habe oder Hilfe brauche. Dieser Mentor steht zwar noch nicht fest, es soll aber jemand sein, der in der Funktion ist, die ich auch innehaben werde.
Frage: Welche konkreten Anregungen haben Sie von den Osnabrückern bislang bekommen?
Schnell: Ich war nicht direkt in die Gespräche involviert, sodass ich dazu leider nichts Genaues sagen kann.
Frage: Wie waren die Rückmeldungen auf die Bekanntgabe Ihrer Ernennung zur Leiterin einer Pfarrei?
Schnell: Es war sehr erfreulich, dass es ganz viele positive Rückmeldungen darauf gab. Viele Menschen, gerade aus unserem Bistum, haben sich gefreut, dass die Leitung einer Pfarrei durch eine Frau nun möglich ist. Darunter waren Personen, die mir unbekannt sind, aber auch zahlreiche Gläubige aus der Pfarrei, in der ich aktuell noch arbeite, und aus meiner neuen Kirchengemeinde. Unter den Hunderten Rückmeldungen gab es zwei oder drei, die nicht wohlwollend waren. Insgesamt waren die vielen positiven Rückmeldungen aber ein sehr schönes Erlebnis für mich.
Frage: In den wenigen Rückmeldungen, die negativ waren: Ging es darin um Ihr Geschlecht?
Schnell: Das waren einige eher konservative Katholiken, die sich nicht vorstellen können, dass eine Pfarrei ohne Pfarrer sein kann. Sie meinen, dass sich die Kirche durch Besetzungen wie meine selbst auflöst. Aber das ist, wie gesagt, eine sehr kleine Minderheit.
Frage: Was würden Sie diesen Kritikern entgegnen?
Schnell: Ich kann verstehen, dass Menschen gerne möchten, dass in der Kirche alles so bleibt, wie sie es vielleicht aus ihrer Kindheit kennen. Das gibt ihnen Sicherheit und dieses Bedürfnis ist sehr menschlich. Aber das Leben ist nun einmal nicht so und bringt stattdessen Veränderungen mit sich, auch bei Punkten, bei denen man lieber alles stabil hätte. So ist es eben auch in der Kirche. Ich finde es sehr gut, dass sich die Kirche bewegt, gesellschaftliche Veränderungen wahrnimmt und sie intern umsetzt. Was sich diese Kritiker erträumen ist rein organisatorisch gar nicht mehr möglich, etwa wegen des Priestermangels. Daher bin ich etwas ratlos, wie man diesen Menschen begegnen kann.
Frage: Wie Sie schon angedeutet haben: Ohne den akuten Priestermangel würde es Entwicklungen wie die Leitung von Pfarreien durch Laien nicht geben. Sehen Sie sich daher auch als "Notnagel" für die Kirche?
Schnell: Im kirchlichen Gesetzbuch, dem CIC, gibt es den Canon 517 § 2, der nur aufgrund von Priestermangel ermöglicht, dass es eine Leitung von Pfarreien durch Laien gibt. Der Bischof muss zuvor das Fehlen von genügend Priestern feststellen und wenn er das nicht tun würde, würde es keine Leitung durch Laien geben. Wenn sich Entwicklungen im Leben der Menschen oder der Kirche ergeben, versuche ich immer, sie aus dem Glauben heraus zu deuten und Gott darin zu entdecken. So kann ich in dieser Entwicklung durchaus Gottes Heiligen Geist wirken sehen, der nun viele neue Wege ermöglicht und ich bin sicher, dass Gott diese neuen Wege mit uns gehen und uns begleiten wird.
Frage: Wie werden Sie diese "neuen Wege" angesichts der schwierigen Situation der Kirche derzeit nutzen? Welche Schwerpunkte möchten Sie als Leiterin einer Pfarrei demnächst setzen?
Schnell: Ich habe mich in den vergangenen zehn Jahren sehr viel mit lokaler Kirchenentwicklung beschäftigt. Dabei geht es vor allem auch darum, dass man die Menschen, die in der Pfarrei leben, mit ins Boot nimmt: Sie sollen möglichst viel mitgestalten können – sowohl nach außen als auch nach innen. So können sie dazu beitragen, Gott in dieser Welt sichtbar zu machen. Das funktioniert nur durch das Zusammenspiel vieler Menschen und ihrer jeweiligen Charismen. Mein Ziel ist es, alle Menschen zu ermutigen, ihre Begabungen in der Pfarrei oder in der Welt einzubringen.
Frage: Auch wenn es nur wenige Menschen sind, die sich aktuell dafür interessieren?
Schnell: Gerade dann ist es wichtig, dass diese wenigen Menschen wie ein Hoffnungszeichen in der Welt wirken. An ihrem Anfang war die Kirche auch sehr klein und die wenigen Christen, die es gab, haben einfach dadurch, dass sie Gutes getan und fest geglaubt haben, die Menschen um sich herum spüren lassen, dass das Christentum den Menschen guttut. Es gibt immer weniger Christen in Deutschland, wir sind fast unter der 50-Prozent-Grenze gelandet. Wir müssen uns damit abfinden, dass die Bürger nicht mehr automatisch Christen sind. Aber es gibt uns weiterhin und wir können immer noch Gutes tun – auch wenn wir wenige sind.