In vielen deutschen Pfarreien fehlen Schutzkonzepte gegen Missbrauch
Der Missbrauchsskandal hat die katholische Kirche aufgerüttelt. Während etwa Sportvereine ein Engagement bei Prävention und Aufklärung von sexuellem Missbrauch noch weitgehend vermissen lassen, haben alle Bistümer in Deutschland bereits mehrere, immer wieder aktualisierte Präventionsordnungen erlassen. Doch wie steht es mit der Umsetzung? Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) fragte bundesweit in den Bistümern nach, wie viele ihrer Pfarreien inzwischen ein "Institutionelles Schutzkonzept" gegen sexualisierte Gewalt haben.
Darin soll jede Kirchengemeinde ihre Maßnahmen festschreiben. Zentrale Bausteine sind präzise Regelungen zum Vorgehen bei Verdachtsfällen, Hinweise zum Verfahren bei Beschwerden, Vorgaben zu Schulungen und Fortbildungen sowie eine Qualitätskontrolle. Ziel ist, eine Kultur der Achtsamkeit zu fördern und so das Risiko zu verringern, dass kirchliche Einrichtungen zu Tatorten werden. In der Regel wurden die Pfarreien zwischen 2013 und 2015 erstmals von den Bistumsleitungen im Rahmen der diözesanen Präventionsordnung aufgefordert, solch ein Schutzkonzept zu erstellen. Grundlage war die Präventions-Rahmenordnung der Deutschen Bischofskonferenz von 2013.
Umfrage offenbart fehlende Schutzkonzepte
Doch die Umfrage zeigt: Flächendeckend liegen die Schutzkonzepte bis heute nicht vor. Positiver Spitzenreiter ist das Bistum Magdeburg - von 44 Pfarreien haben mit einer Ausnahme alle ein Schutzkonzept - gefolgt vom Bistum Essen, wo es in 38 von 42 Pfarreien vorliegt. Im Erzbistum Köln haben 455 von 525 Pfarreien ein solches Konzept, im Erzbistum Paderborn 173 von 458, im Bistum Hildesheim 72 von 119, im Bistum Erfurt 10 von 33. Laut Bistum Görlitz kann "etwa die Hälfte" seiner 16 Pfarreien ein Schutzkonzept vorweisen. Zu den Schlusslichtern zählt das Erzbstum Hamburg: In nur drei von 28 Pfarreien beziehungsweise Pastoralen Räumen gibt es endgültig genehmigte Schutzkonzepte.
Das Bistum Trier, an dessen Spitze der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, steht, räumt ein, dass die Anzahl der Pfarreien, die bereits ein umfassendes Schutzkonzept erarbeitet haben, "zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erhoben" sei. Eine Umfrage im Jahr 2019 habe ergeben, dass "bereits einige Bausteine" eines solchen Konzepts in den Pfarreien vorlägen. Auch andere Bistümer bleiben sehr vage und nennen keine konkreten Zahlen, etwa Mainz und München-Freising. Letzteres verweist darauf, dass alle pastoralen Mitarbeiter mit einem E-Learning-Programm zur Prävention geschult seien, das auch über die Erstellung von Schutzkonzepten informiere.
Das Erzbistum Bamberg hat einen Videoclip erstellt, der ausgiebig erklärt, was ein Institutionelles Schutzkonzept ist. Auf Nachfrage sind "circa 5" der 35 neugebildeten Seelsorgebereiche "schon dabei", ein Konzept zu erstellen. Mehrere Diözesen nennen laufende Strukturreformen und Pfarrei-Zusammenlegungen als Gründe für Verzögerungen. Im Erzbistum Berlin haben laut Präventionsbeauftragtem gegenwärtig 15 von 75 Pfarreien ein Schutzkonzept. Man liege aber im Zeitplan, da den Gemeinden freigestellt sei, ein Konzept erst nach ihrer Fusionierung zu erstellen. 2014 hatte das Erzbistum erstmals zur Erstellung aufgefordert.
Im Bistum Dresden-Meißen hatten Mitte Februar 21 von 37 Pfarreien ein Schutzkonzept vorgelegt. Ursprüngliche Frist war der 30. Juni 2016. Im Zuge der KNA-Recherche kam indes Bewegung in die Sache. Generalvikar Andreas Kutschke stellte öffentlich eine Mittelkürzung als Sanktion für säumige Pfarreien in Aussicht, bis Ende Mai müsse jede Pfarrei mindestens ein "Basiskonzept" vorlegen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stehen dem Bistum zufolge nun nur noch vier Pfarreien ganz ohne da.
Rörig: "Positives Engagement in einzelnen Pfarreien"
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, sagte auf Anfrage, die Zahlen der Bistümer ließen "durchaus positives Engagement in einzelnen Pfarreien vermuten". Bei einem Monitoring 2015 bis 2018, bei dem seine Stelle die Einführung von Schutzkonzepten in Schulen, Kitas und Kliniken quantitativ untersucht habe, seien die Quoten viel schlechter gewesen.
Natürlich könne es im Einzelfall gute Gründe geben, warum Prozesse noch nicht abgeschlossen seien, so Rörig. Damit Schutzkonzepte auch wirklich greifen könnten, müssten sich alle Akteure intensiv damit beschäftigen: "Ein gutes Schutzkonzept ist keine Aufgabe für ein paar Monate." Ein rein formales Konzept etwa als "Ordner im Schrank" alleine reiche nicht.
"Allerdings sind auch aus meiner Sicht zehn Jahre eine Zeit, in der alle Pfarreien den Weg zur Entwicklung und Implementierung eines Schutzkonzeptes gegen sexuelle Gewalt hätten gehen können und nach der Rahmenordnung Prävention im Übrigen hätten gehen müssen", so Rörig. "Wer noch nicht einmal die ersten Schritte dieses Wegs gegangen ist, hat diese Vorgaben missachtet und ist seiner Verantwortung nicht gerecht geworden."