Diversitätsreferentin: Geschlecht ist nur eine Dimension von Vielfalt
Diversität – dieses Wort klingt für viele Menschen schnell nach der dritten Geschlechtsoption "divers", doch dahinter verbirgt sich mehr, erklärt Judith Weber. Sie leitet das Referat "Ehe – Familie – Diversität" im Seelsorgeamt des Erzbistums Freiburg. Im Interview spricht sie darüber, was Diversität für sie bedeutet und warum gerade Christen in dieser Sache ständig dazulernen müssen.
Frage: Frau Weber, Sie sind Leiterin des Referats "Ehe – Familie – Diversität" im Seelsorgeamt der Erzdiözese Freiburg. Hat das Nein der Glaubenskongregation zu Segnungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften Auswirkungen auf Ihre Arbeit in der Erwachsenenpastoral?
Weber: Wir haben in der Erzdiözese Freiburg in Absprache mit dem Erzbischof schon 2019 eine Arbeitsgrundlage zur Pastoral mit homosexuellen Menschen erstellt. Diese Arbeitsgrundlage ist seitdem in Kraft und wird durch das Nein aus Rom auch nicht berührt. Wir sprechen darin auch nicht von Segnungen, sondern von Gottesdiensten oder dem Beten für und mit homosexuellen Menschen.
Frage: Wie sehen solche Feiern konkret aus?
Weber: Für Paare gibt es unterschiedliche Gottesdienste. Mit unserer Arbeitsgrundlage haben wir aufgezeigt, was möglich ist. Wie das in der pastoralen Praxis konkret gestaltet wird, liegt in den Händen der Seelsorgenden. Woran sich der aktuelle Streit aufhängt, ist vor allem das Wort Segnung. Denn es soll keine Verwechslung mit dem Brautsegen stattfinden. Aber was die Menschen von uns möchten, ist etwas ganz Anderes. Die Gottesdienste entstehen schließlich aus einer Begleitung der Menschen heraus und darum geht es den Menschen: Gut begleitet zu werden bei dem Versuch, ein gelingendes Leben und eine gelingende Paarbeziehung zu leben.
Frage: Wenn homosexuelle Menschen sich eine kirchliche Begleitung wünschen, werden sie durch das Nein aus Rom nicht vor den Kopf gestoßen?
Weber: Für sie ist es krass, so ein Nein zu hören. Darauf müssen wir als Kirche und auch als Erzdiözese Freiburg reagieren. Es ist klar, dass die Theorie immer anders aussieht als die Praxis. Wir haben auf unserer Website ein "Mentimeter", also eine öffentliche Feedback-Funktion, eingerichtet. Darüber können Menschen uns schreiben, was die Nachricht aus dem Vatikan in ihnen ausgelöst hat. Es geht darum zu hören, was das mit den Menschen macht. Und dann sollten wir einen Diskurs darüber beginnen.
Frage: Aus Sicht des Vatikans ist die Sache entschieden. Sind Ihre Bemühungen um einen Diskurs da nicht vergeblich?
Weber: Ich hoffe nicht! Die Reaktionen der Menschen und auch die unterschiedlichen Positionen der Bischöfe zeigen doch, dass man die Endgültigkeit nicht einfach so stehen lassen will.
Frage: Bei dem Wort "Diversität" denken viele Menschen ausschließlich an die Debatte um geschlechtliche Vielfalt. Was bedeutet Diversität für Sie?
Weber: Diversität, also Vielfalt, hat ganz unterschiedliche Dimensionen – Geschlecht ist nur eine davon. Uns geht es auch um Dimensionen wie Alter, soziale oder ökonomische Hintergründe, Religion. Auch Rassismuserfahrungen spielen eine Rolle. Aus diesem Verständnis von Diversität erwächst die Haltung, sich seiner eigenen Vorurteile gegenüber anderen Menschen bewusst zu werden. Es geht darum, die eigenen Privilegien zu erkennen und zu schauen, wo dadurch gegebenenfalls andere Menschen diskriminiert werden. Und daran dann das eigene Handeln auszurichten. Das ist ein lebenslanger Lernprozess.
Frage: Warum sollten sich Katholikinnen und Katholiken mit einer diskriminierungskritischen, privilegien-sensiblen Haltung auseinandersetzen?
Weber: Es ist wichtig, weil eine Haltung der Diversität unserem Glauben und der Botschaft Jesu entspricht. Dass die Menschen zu uns kommen können, egal wie sie aussehen, wo sie herkommen, egal welcher Religion sie angehören, egal welche Behinderung sie haben oder nicht haben. Im Galaterbrief (3,28) heißt es: "Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus." Und um dem Anspruch gerecht zu werden, müssen wir schauen, wo wir Menschen ausschließen und das Schritt für Schritt verändern. Damit wir einladend miteinander den Glauben teilen. Dazu müssen wir Barrieren – sowohl ganz reale als auch die in unseren Köpfen – in unserer Kirche erkennen und abbauen.
Frage: Warum ist es auch oder gerade für die Kirche wichtig, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen?
Weber: Die Dimensionen der Diversität leiten sich aus dem Gleichstellungsgesetz ab. Das ist nichts Kirchenspezifisches, schließlich wird in der gesamten Gesellschaft darüber diskutiert. Aber ich verstehe Kirche als einen Teil und einen Player in dieser Gesellschaft. Und deshalb muss sich Kirche an diesem Diskurs auch beteiligen und sich selbstkritisch fragen: Wo stehen wir beim Thema Diversität? Wo ist unser Handeln diskriminierend? Handeln wir vorurteilsbelastet? Da eine Sensibilität zu entwickeln, halte ich für eine ganz zentrale Aufgabe. Und dafür haben wir ein E-Learning entwickelt, mit dem sich Menschen darüber informieren und woraus sie Anregungen mitnehmen können.
E-Learning "Die Welt ist bunt. Gott sei Dank!"
Was ist Diversität? Wie kann man sich seiner Vorurteile bewusst werden? Und worauf sollte man als Seelsorger oder Kirchenratsmitglied achten? Diese und weitere Fragen behandelt das E-Learning "Die Welt ist bunt. Gott sei Dank!" des Erzbistums Freiburg.
Frage: In Ihrem E-Learning führen Sie zum Beispiel die Kontexte Kirchenrat oder Pfarrfest an. Inwiefern spielt diskriminierungskritisches Verhalten da eine Rolle?
Weber: Wenn man katholisch als allumfassend versteht, dann wollen wir auch Kirche sein, die offen ist für alle Menschen. Aber wer sitzt im Pfarrgemeinderat? Ohne das jetzt negativ zu meinen, sind das Menschen, die vielfach große Ähnlichkeit in den Dimensionen Alter, Geschlecht und Hautfarbe aufweisen. Da geht es jetzt darum, gedankliche Mobilität zu entwickeln und Gremien und Feste auch für Menschen zu öffnen, die wir nicht gleich in irgendwelche Kategorien einteilen.
Frage: Können Sie da ein Beispiel nennen?
Weber: Ein Beispiel in unserem E-Learning sind etwa Plakate, die Menschen mit anderer Hautfarbe nur dann zeigen, wenn es um Spenden für Projekte in Afrika oder Asien geht. Auch Bildsprache hat eine Ebene, die einlädt oder nicht einlädt. Da kann man sich die Frage stellen: Reproduzieren wir hier bloß unsere eigene Realität? Sich dessen bewusst zu werden und so mit Bildern und Sprache zu arbeiten, dass sie für ganz viele einladend sind, das ist das Ziel.
Frage: Um Menschen jedweder Geschlechtsidentität anzusprechen, benutzen Sie in Ihrem E-Learning das Gendersternchen. Das ist jedoch für Vorleseprogramme, auf die etwa seheingeschränkte Personen angewiesen sind, nicht lesbar. Können die Bemühungen, eine Gruppe miteinzubeziehen, andere außen vorlassen?
Weber: Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an: Wir haben im E-Learning das Gendersternchen verwendet, mittlerweile geht man allerdings dazu über, stattdessen einen Doppelpunkt zu verwenden. Denn der ist für Vorleseprogramme lesbar. Da sind auch wir Lernende und müssen uns und unser E-Learning entsprechend weiterentwickeln.
Frage: Was gab es bisher für Rückmeldungen dazu?
Weber: Wir haben das E-Learning Mitte Dezember auf unserer Homepage veröffentlicht. Bisher haben wir sehr positive Rückmeldungen von pastoralen Mitarbeitenden erhalten, die das hilfreich für ihre Arbeit fanden. Die kamen hauptsächlich aus unserer Erzdiözese, aber auch aus anderen Bistümern in Deutschland. Und das Bistum Sankt Gallen schult jetzt alle seine Räte mit dem Programm.