Gott einen Ort sichern
Das Wort "Sichern" gehört zu den Top-Ten der Werbesprache. Achten Sie mal darauf: Sich zum Newsletter anmelden und einen Gutschein sichern, sich die letzten Exemplare dieser supertollen Uhr sichern, sich eine der besten Kabinen auf der Kreuzfahrt sichern. Schnell sollen wir handeln, um Vorteilssucht zu befriedigen oder Verlustängste zu vermeiden. Das Vokabular der Werber ist nur vermeintlich oberflächliches Geschwätz. In Wirklichkeit rührt es an tief in unserer Seele vergrabene Erfahrungen, Ängste oder Sehnsüchte. Und bekommt eine Sogwirkung.
Mit dem Verlust des sicheren Ortes beginnt die Menschheitsgeschichte. Adam und Eva müssen das Paradies verlassen, und im mentalen Gepäck haben sie als Ergebnis ihres ersten "Lernprozesses" mit dem Apfel die Strafe. So etwas brennt sich ein. Gott selbst sagte es ja: Du wirst heimatlos sein auf Erden. Und das steckt uns in den Knochen bis heute, einer der Gründe, der "Sichern" zu einem starken Signalwort gemacht hat. Immer wieder geistert diese Unruhe durch unseren Kopf: Habe ich mich genügend abgesichert, ist mir auch kein Vorteil, den ich gratis hätte erhalten können, entgangen?
In gratis steckt "gratia", die Gnade. Und mit Gnade verbunden ist "Erlösung". Gehen wir nun einfach mal von der These aus, dass wir uns sehnen nach etwas, das wir ganz ohne Leistung – gratis – erhalten, und dass wir uns danach sehnen, die Fesseln der Angst um unsere Sicherung loszuwerden. Was hat Gott unternommen, und diesen Prozess in Gang zu bringen?
Gott stößt einen Perspektivwechsel an
Er hat einen Perspektivwechsel angestoßen. Das Gefühl der Heimatlosigkeit hat er uns nicht genommen. Im Gegenteil, er hat sich selbst diesem Ur-Verhängnis ausgesetzt, als er Mensch wurde und sich damit nicht als strafender Beobachter erwies, für den wir ihn hielten, sondern als Teilhaber und Beglaubiger unseres Lebens. Als Maria die Botschaft vernahm, sie solle Mutter des Gottessohnes werden, da hat ihr der Engel keine Tipps vorab gegeben, wo sie diesen am sichersten zur Welt bringen und aufziehen solle. Sie und Josef waren scheinbar ganz allein mit dieser Aufgabe, und sie haben sie dann überaus provisorisch aus der Situation heraus gemeistert. Jesus wurde unterwegs, fernab von einem Zuhause geboren. Und kaum auf der Welt, waren seine Eltern mit ihm schon auf der Flucht. Doch es glückte alles; wie genau und unter wie vielen Nöten und Sorgen, davon überliefert die Bibel nichts.
Was war die Aufgabe von Maria und Josef? Gott einen Ort sichern. Das klingt paradox, denn sehnten wir uns nicht danach, dass Gott uns einen Ort sichere in diesem Leben?
Als Jesus dann als Erwachsener predigend über Land zog, wies er darauf hin, er habe keinen Ort, wo er sein Haupt niederlegen könne und sei damit schlechter gestellt als die Tiere, die ihre Höhlen und Nester haben. Er hat das Verhängnis vom Anfang offenbar ernst genommen und integriert. Nichtmal im kritischsten Moment seines Lebens ergriff er Sicherungsmaßnahmen. Vor Pilatus hatte er keinen Verteidiger, und er sprach auch kaum für sich selbst. So kam er vom Stall über die Straße zuletzt an einen höchst unsicheren Ort: nach Golgotha, und von dort ins Grab. Die ihn ins Grab legten, waren der Überzeugung, dass sie ihm den letzten, endgültigen Ort gesichert hätten. Doch es kam anders, und aus Auferstehung und Ostern wurde die Hoffnung der Christen. Gern hätten die Apostel ihn dauerhaft bei sich behalten, ihn "gesichert", aber er meinte, sie müssten sich von ihm wieder lösen. Himmelfahrt.
Das Wort Er-lösung ernst nehmen
Was ist daran Erlösung? Für mich Folgendes: Gott hat uns durch Jesus gezeigt, was Religion wirklich bedeutet, nämlich dies: Gott einen Ort sichern. Aber ist das denn möglich, widerspricht das nicht allen klassischen Vorstellungen der Mensch-Gott-Beziehung? Wenn schon, dann müsste doch der Allmächtige uns einen Ort sichern. Was könnten wir hingegen für Gott tun? Vielleicht: einfach das Wort Er-lösung ernst nehmen, uns lösen von dem Sicher-Sein-Wollen, von der Angst, es könne doch noch etwas Entscheidendes zum Leben fehlen oder es würde irgendwo gratis etwas verteilt, das uns entgeht. Eine neue Vorstellung von Gott entwickeln, erkennen, dass Gott-Sein nicht Willkür-Macht bedeutet, sondern das Offenlassen eines Freiraumes.
Deshalb stellte Gott uns mit seiner Geburt als Mensch die Aufgabe, ihm einen Ort zu sichern. Eine unerhörte und zugleich großartige Aufgabe, die zeigt, dass die Menschheit bis dahin nur anfanghafte Vorstellungen davon hatte, wie er wirklich ist. Eine schwere Aufgabe, aber eine, die, wenn sie gelingt, das Vertrauensverhältnis von Gott und Mensch neu begründet. Gott sagt damit: Schau, nun kannst du mich beobachten als einen von euch. Nun kannst du selbst sehen, dass ich gut bin.
Gott einen Ort sichern, dieses Motiv stammt von der französischen Autorin und Mystikerin Madeleine Delbrel. Sie schreibt darüber unter anderem: "Inseln göttlicher Anwesenheit sein. Gott einen Ort sichern. In den Finsternissen der allgemeinen Unwissenheit Leuchtpunkte der Bewusstwerdung Gottes sein. Erkennen, dass hier der eigentliche Akt der Erlösung geschieht; glauben im Namen der Welt, hoffen für die Welt, lieben im Namen der Welt. Wissen, dass eine Minute von glaubensbeladenem Leben, auch wenn sie sich ohne jede Aktion, ohne jeden äußeren Ausdruck vollzieht, einen Genius der Wertsteigerung und eine vitale Kraft in sich trägt, die unsere armseligen menschlichen Taten nie ersetzen können. Alles Übrige ist Beiwerk – das zwar notwendig ist, aber notwendig nur im Sinne einer Folge davon."
Vorbild Franziskus von Assisi
Die Gewissensfrage gerade jetzt, im Stimmengewirr innerkirchlicher Diskussionen, könnte also vor allem so lauten: Wollen wir Gott einen Ort sichern oder in Wirklichkeit nur uns selbst? Die Apostel hatten auch schon dieses Problem: Wer von uns wird links und rechts von Dir sitzen im Himmelreich? Wer darf dies, wer jenes tun? Hat der eine etwas, was der andere nicht hat? Das waren Prestige- und Machtfragen, denen Jesus eine unmissverständliche Abfuhr erteilt hat. Noch vor Pilatus hat er solche Motive als irrelevant erklärt. Hingegen hat er selbst gesagt: Ich gehe hin, euch eine Wohnung zu bereiten, im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen. Er hat für uns gesorgt. Doch so lange wir in der Welt sind, sollen wir, müssen wir, sofern wir religiös sein wollen, Gott einen Ort sichern.
Kümmert euch zuerst um das Reich Gottes, und alles andere wird euch hinzugegeben. Doch wie geht das, Gott einen Ort sichern, im eigenen Leben? Aktuell, in der Zeit der Pandemie-Angst und Panik, drängt sich mir immer wieder ein markantes Bild auf: der sterbende Franz von Assisi, nackt auf dem Erdboden. Nur er selbst, die Schöpfung und der Schöpfer und seine Brüder – das waren die Akteure dieses beinahe künstlerisch zu nennenden Aktes. An diesen Ort konnte Gott kommen, weil nichts zwischen ihm, Franz und der Schöpfung stand, keine Eitelkeit, kein Machtwunsch, keine Maschine und auch kein bitterer Blick zurück. Mag sein, so heroisch wie Franz von Assisi sind wir nicht, und müssen es auch nicht sein. Denn er hat uns ein Beispiel gegeben, eine konsistente Lebenshaltung, und sich damit als Christus-Nachfolger erwiesen. Suchen wir uns in diesem Geiste auch etwas aus, worin wir ganz speziell ein Beispiel der Liebe geben möchten, und wir sind schon daran, Gott einen Ort zu sichern.
Der Autor
Martin Erdmann, 1970 in Lippstadt geboren, lebte 1989/90 als Novize in der Abtei Gerleve und studierte anschließend Literatur- und Kunstwissenschaften in Göttingen. 2000 kam er zum Handelsunternehmen "Manufactum", um sich um die Vermarktung von Klosterprodukten zu kümmern. Als Autor ist er unter anderem im Magazin "der pilger" zu finden.Er lebt und arbeitet seit 2016 in Berlin.