Blasphemie! Gotteslästerung von der Antike bis heute
Auf offener Straße wurde der französische Lehrer Samuel Paty im Oktober 2020 in der Nähe seiner Schule ermordet, weil er zuvor Mohammad-Karikaturen im Unterricht besprochen hatte, um Redefreiheit zu thematisieren. Sein Fall ist nur einer von mehreren Vorfällen der vergangenen Jahre, die zeigen: Die Gefahr, wegen angeblicher Gotteslästerung ins Fadenkreuz zu geraten, ist gestiegen – auch in Europa. Was Blasphemie und ihre Folgen über gesellschaftliche Werte und deren Wandel aussagen, hat Historiker Gerd Schwerhoff untersucht. In seinem Buch "Verfluchte Götter. Die Geschichte der Blasphemie" schlägt der Professor für Geschichte an der Technischen Universität Dresden den Bogen von der Antike bis in die Gegenwart.
Dabei zeigt er: Die Blasphemie-Fälle von heute sind zwar Ausdruck interkultureller Konflikte, folgen aber häufig altbekannten Mustern. Denn Blasphemie sei "seit Urzeiten" bekannt, sagt Schwerhoff. "Dahinter steckt ein Absolutheitsanspruchs. Die eine Religion schmäht die andere, um sich von ihr abzugrenzen."
Gerade monotheistische Religionen anfällig für Blasphemie
Besonders die monotheistischen Religionen seien anfällig für Blasphemie, schreibt der Historiker in seinem Buch: Es sei zwar kein exklusives Merkmal, "aber tatsächlich gewinnt die Blasphemie ihre eigentliche Bedeutung und Schärfe durch den unbedingten Wahrheits- und Treueanspruch des einen Gottes". So fänden sich an mehreren Stellen der Bibel diesbezüglich klare Worte, am deutlichsten im Alten Testament, oder der Tora: "Wer den Namen des HERRN schmäht, hat den Tod verdient, die ganze Gemeinde wird ihn steinigen" (Lev 24,16).
Blasphemie diente, wie Schwerhoff ausführt, im frühen Christentum auch als "Identitätsgenerator" durch die Abgrenzung und Herabsetzung von anderen Göttern und Religionen. Lästerungsvorwürfe wurden aber auch innerhalb des Christentums gezielt eingesetzt, um etwa gegen mittelalterliche Ketzerbewegungen oder später die Reformation Front zu machen.
Gleichzeitig trat im Mittelalter das "Problem" zutage, dass blasphemisches Reden völlig selbstverständlich zum Alltag der Menschen gehörte. Der Fachterminus der "Zungensünden" kam auf, und manch sündige Zunge wurde zur Strafe öffentlich an einen Balken genagelt – samt Sünder. "Das abendländische Christentum war so stark blasphemisch gefärbt, wie kaum eine andere Religion, bis heute unterscheidet es sich dadurch stark zum Beispiel vom Islam", sagt Schwerhoff. Im politischen Islamismus gelte Blasphemie als Anschlag auf die gesamte Gemeinschaft der Muslime, erklärt der Historiker.
Das zeige sich unter anderem im Fall Asia Bibi. Die Christin aus Pakistan wurde 2018 wegen angeblicher Gotteslästerung zum Tode verurteilt. Als sie wegen Mangel an Beweisen freigesprochen wurde folgten massive Proteste radikalislamischer Gruppen im ganzen Land. Sie forderten Bibis Hinrichtung. Erst nach einem zehn Jahre andauernden Verfahren wurde Bibi freigesprochen und konnte das Land verlassen.
Anklage von Blasphemie als Mittel politischer Unterdrückung
In islamisch-geprägten Ländern wie Indonesien oder Pakistan wiege ein Vorwurf von Blasphemie besonders schwer, weil der Islam dort eng mit der Staatsmacht verbunden sei, sagt Schwerhoff. Blasphemie werde so häufig instrumentalisiert, um politische Gegner zu diffamieren und Machtverhältnisse zu stabilisieren. "Hier ist die Anklage von Blasphemie ganz klar auch ein Mittel politischer Unterdrückung" so der Historiker.
Frömmigkeit und Blasphemie sind Schwerhoff zufolge keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille, erklärt der Historiker. "Wenn ich sehr viel von Gott erwarte und dann enttäuscht werde, dann bin ich auch bereit ihn zu verfluchen," erklärt er. So käme es, dass im Mittelalter Reliquien, die ihren Dienst nicht erfüllten, vom Altar herabgenommen wurden oder zur Strafe in Flüsse oder Seen geworfen wurden.
Bemerkenswert sei auch der Wandel, wie die Sanktionierung von Gotteslästerung von kirchlicher und weltlicher Seite begründet wurde, so Schwerhoff. 1675 etwa erklärte ein englischer Richter, Religion müsse gegen Gotteslästerer in Schutz genommen werden, weil sie die Grundlage der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung darstelle. Je weiter die Moderne schließlich voranrückte, umso häufiger wurde Blasphemie jedoch auch als legitime Form der Kritik an Macht- und Herrschaftsverhältnissen gesehen.
In den vergangenen Jahrzehnten war das Phänomen Blasphemie gerade in den westlichen Gesellschaften dann beinahe eingestaubt. Religion verlor insgesamt an Bedeutung, die Gesellschaften wurden säkularer. Doch als der iranische Ayatollah Khomeini 1989 sein Todesurteil über den Autor Salman Rushdie wegen dessen Buch "Die satanischen Verse" veröffentlichte, erlebte der Blasphemie-Diskurs auch in Europa eine Art Renaissance.
Blasphemie als Kristallisationspunkt eines vermeintlichen Kulturkonflikts
Seitdem sei Blasphemie ein Kristallisationspunkt des vermeintlichen Kulturkonflikts zwischen Orient und Okzident geblieben, fasst Schwerhoff zusammen. Und Blasphemie beschäftigt bis heute verschiedene Teile der Gesellschaft, etwa den Sport. Erst kürzlich wurde Italiens Torhüterlegende Gianluigi Buffon wegen des Vorwurfs der Blasphemie für das Fußballspiel seiner Juventus Turin gegen den FC Turin gesperrt. Buffon soll sich im vergangenen Dezember bei einem Ligaspiel gegenüber seinem Teamkollegen Manolo Portanova blasphemisch geäußert haben. Der nationale Verband FIGC ist seit 2010 wiederholt gegen vermeintlich gotteslästernde Äußerungen von Spielern und Trainern auf dem Feld vorgegangen.
In Deutschland steht mit dem §166 ein Blasphemieparagraph bis heute im deutschen Strafgesetzbuch. Doch mit der Neufassung von 1969 wird nicht mehr in erster Linie die Kränkung einer Gottheit bestraft, sondern mittlerweile Beleidigung gegen Gläubige. Das zu schützende Gut ist nun der öffentliche Friede. Allerdings sei dieser Paragraph weitestgehend irrelevant geworden, sagt Historiker Schwerhoff. Trotzdem: "Er ist ein gedanklicher Stolperstein, um in der Öffentlichkeit Respekt vor den religiösen Gefühle anderer zu wahren." Dabei wird er wohl auch in Zukunft weiter bestehen, obwohl kaum genutzt.
Buchtipp
Gerd Schwerhoff: Verfluchte Götter. Die Geschichte der Blasphemie. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2021, 528 Seiten, 29 Euro. ISBN: 978-3-10-397454-6