Religionslehrer sein im Trauerfall: "Erste Hilfe" für die Seele
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Die Erschütterung, die ein Trauerfall in der Schule auslöst, ist fast schon mit den Händen greifbar. Überbringt eine Schülerin oder ein Schüler die Nachricht über den Verlust im familiären Umfeld, so spüren Schüler und Lehrer die Veränderung oft über die Grenzen des Klassenraums hinaus: Stille, Schock, Betroffenheit, Ratlosigkeit, Fragen; all das lese ich in den Gesichtern der Mitschüler, die der Trauerfall unmittelbar oder mittelbar betrifft. Ein erstes Gespräch mit dem betroffenen Schüler fand bereits statt, eine ausführlicheres Gesprächsangebot für den Schüler sowie eine Gedenkfeier gemeinsam mit den Mitschülerinnen und Mitschülern steht noch aus. Zweite große Pause: Im Lehrerzimmer ist es zuweilen ruhiger als sonst. Gerade diejenigen Kollegen, die den betroffenen Schüler als Fachlehrer oder Klassenlehrer unterrichten, sitzen genau wie ich in sich gekehrt, nachdenklich und mit fragenden Blicken auf ihrem Platz.
Als Religionslehrer beschäftigt mich im Nachgang an dieses Erlebnis die Frage, welche Rolle dem Religionslehrer zukommt, wenn es um Seelsorge in der Schule geht. Die einschlägige Literatur zum Thema Schulseelsorge nimmt zum Teil wie selbstverständlich Bezug zum Religionslehrer als Ansprechpartner in schulbezogenen Trauersituationen. Darüber hinaus erfahre ich aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen, die hauptamtlich im Kirchendienst arbeiten, dass Religionslehrerinnen und Religionslehrer als wichtige Ansprechpartner in konkreten Seelsorgefällen in der Schule angesehen werden. Wie viel Seelsorger aber kann und möchte ich persönlich sein? An dieser Frage komme ich in meinem Rollenverständnis als Religionslehrer nicht vorbei. Die Ausbildung an der Universität und im Referendariat führt in der Regel dazu, dass aus Studierenden kompetente Theologen werden. Darüber hinaus bietet die theoretische sowie fachpraktische Ausbildung ein solides Fundament für die religionspädagogische Arbeit in der Schule, jedoch nicht automatisch auch für professionelle Seelsorgearbeit. Um meine persönliche Antwort vorwegzunehmen: Ich nehme aus meinem pädagogischen Verständnis heraus meine Schülerinnen und Schüler als Menschen wahr, die unterschiedliche Ressourcen mitbringen und die Schule als Lern- und Lebensort gestalten. Ich möchte daher in der Schule Ansprechpartner für die Schulgemeinschaft sein, auch wenn es um schwierige Lebenssituationen geht.
Ein kompetenter Ansprechpartner
Im oben genannten Trauerfall kann der Religionslehrer ein kompetenter Ansprechpartner sein, indem er vielleicht nicht als professioneller Seelsorger auftritt, dennoch aber "Erste Hilfe" für die Seele leistet. Vertraut sich ein Schüler, der kurz vor dem Gespräch einen Todesfall im unmittelbaren Bezugskreis erlebt, einem Lehrer an, so bedarf es zunächst an Halt und Stabilität. Ein Verlust in der Familie oder im Freundeskreis führt dazu, dass für diesen Menschen die eigene Lebenswelt von einem Moment auf den anderen möglicherweise komplett aus den Fugen gerät. Alles scheint plötzlich anders, viele Pläne und bisherige Wertvorstellungen werden in Frage gestellt. Mich erinnert dieser Schockzustand an die schmerzliche Erfahrung der Begleiterin Jesu, Maria von Magdala, die laut biblischer Überlieferung zunächst den schmerzenden Verlust durch die Kreuzigung miterlebt und darüber hinaus noch feststellen muss, dass der Leichnam Jesu nicht mehr dort ist, wo er sein sollte (Joh 20, 11-13). Zurecht weist die Trauerforschung darauf hin, dass Schule mit ihren gewohnten Strukturen für junge Menschen, die einen Trauerfall erleben, ein wichtiger Ort der Stabilität ist. Umso wichtiger ist es, dass Schülerinnen und Schüler dort einen Gesprächspartner finden, dem sie sich in ihrer Trauersituation anvertrauen können, sofern sie dies wünschen.
Ein Trauerfall veranlasst mich auch immer zur weiteren Reflexion darüber, was eigentlich gute Seelsorgearbeit ausmacht, wenn die Schulgemeinschaft mit einem Todesfall konfrontiert ist. Für uns Religionslehrer habe ich die folgenden Punkte als hilfreich in dieser schwierigen Situation erfahren: Ein Angebot zum ausführlichen Gespräch im Rahmen der dienstlichen Möglichkeiten kann für trauernde Personen ein wertvolles Geschenk sein. Ein solches Gespräch sollte jedoch nicht zwischen Tür und Angel in der kleinen Pause stattfinden. Anteilnahme und tröstende Worte brauchen Zeit und haben eher in einem separaten Termin nach Unterrichtsende ihren Platz. Über das Erlebte zu sprechen, kann etwas von der schweren Last nehmen, die Betroffene zu tragen haben. Damit verbunden muss ich aber auch akzeptieren, dass manche Trauerprozesse nicht von mir begleitet werden können, insbesondere wenn die betroffene Person zum gegebenen Zeitpunkt kein Gespräch führen möchte. Ebenso kann sich ein Trauerprozess als sehr schwerwiegend gestalten – zum Beispiel durch traumatische Erfahrungen – sodass dann auf professionelle Hilfe verwiesen werden sollte.
Überzeugung der Osterbotschaft
Als Religionslehrer darf ich insbesondere in Situationen, in denen Betroffene Grenzerfahrungen erleben, meine Überzeugung von der frohen Botschaft Jesu zu erkennen geben. Im Vertrauen auf die christliche Osterbotschaft – die nicht nur zu Ostern gilt – dürfen wir überzeugt sein, dass Jesus uns im Tod nicht alleine lässt, sondern der Tod ein Anfang zu neuem Leben in der Gemeinschaft mit Gott ist.
In akuten Trauersituationen ist es oft nicht einfach, die geeignete Form der Anteilnahme zu finden. Ist das Kondolieren durch die betroffene Person erwünscht, können verschiedene Methoden Trost und Anteilnahme zum Ausdruck bringen: Symbolbehaftete Gegenstände wie Kerzen, Steine. In einem Kondolenzbuch für die betroffene Familie können Schüler und Lehrer darüber hinaus persönliche Gedanken und Wünsche festhalten.
Nicht zuletzt ist jede Trauersituation allerdings individuell, wie auch die von Trauer betroffenen Personen sowie diejenigen Menschen, die den Trauerfall seelsorgerisch begleiten. Das Wichtigste ist vielleicht naheliegender als man denkt und zeigt sich manchmal in einem kleinen Wort, das den Religionslehrer nach einem Seelsorgegespräch, manchmal aber erst Monate später erreicht: "Danke! … Danke, dass Sie in der Situation da waren!"