Wiederverheiratete Geschiedene - der deutsche Vorstoß von 1993

Kirchenrecht kann nicht alles regeln

Veröffentlicht am 21.02.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Kardinal Walter Kasper.
Bild: © KNA
Wiederverheiratete

Vatikanstadt ‐ Seit Donnerstag versammeln sich die Kardinäle der katholischen Kirche im Vatikan, um über Ehe und Familie zu beraten. Dabei steht auch der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen auf der Tagesordnung. Und es ist weit mehr als nur ein bemerkenswertes Detail, dass ein deutscher Kardinal, der einst mit seinem Vorstoß in dieser Frage am vatikanischen Veto scheiterte, nun beim Konsistorium seine Position darlegen darf.

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Papst Franziskus betraute Walter Kasper (80), den ehemaligen Ökumeneminister des Vatikan, mit dem einführenden Referat. Der hatte als Bischof von Rottenburg-Stuttgart 1993 mit dem damaligen Freiburger Erzbischof Oskar Saier und dem Mainzer Bischof Karl Lehmann in einem Hirtenschreiben samt Grundsätzen für die Seelsorge vergeblich dafür plädiert, in begründeten Einzelfällen wiederverheirateten Geschiedenen den Kommunionempfang zu ermöglichen.

Die oberrheinischen Bischöfe waren keine Bilderstürmer: Sie traten nicht für eine grundsätzliche Änderung der kirchlichen Lehre ein. Auch für sie stand außer Frage, dass es "keine allgemeine und förmliche, amtliche Zulassung" zur Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene geben könne. Im Einzelfall sahen sie allerdings - anders als die geltende kirchliche Lehre - eine Möglichkeit für die Betroffenen, die Kommunion zu empfangen. Und zwar dann, wenn die in zweiter Verbindung lebenden Paare sich nach einem klärenden Gespräch mit dem Seelsorger "in ihrem Gewissen ermächtigt sehen, an den Tisch des Herrn zu treten".

Verhältnisse oft sehr kompliziert und äußerst unterschiedlich

Kasper und seine Mitstreiter argumentierten vor allem damit, dass das kirchliche Recht nur eine allgemeingültige Ordnung aufstellen, "jedoch nicht alle oft sehr komplexen einzelnen Fälle regeln" könne. Zumal im Fall der wiederverheirateten Geschiedenen seien die Verhältnisse oft sehr kompliziert und äußerst unterschiedlich. Daher sei im seelsorgerischen Gespräch zu klären, "ob das, was im allgemeinen gilt, auch in der konkreten Situation zutrifft".

Die Bischöfe griffen hier auf die aus der christlichen Ethik bekannte Lehre von der "Billigkeit" (griechisch "Epikie") zurück. Ihre klassische Definition stammt vom Philosophen Aristoteles: "Epikie ist die Korrektur des Gesetzes da, wo dasselbe wegen seiner allgemeinen Fassung mangelhaft bleibt." Für die Aussage, dass unterschiedliche Situationen unterschiedlich behandelt werden müssen, berufen sich die drei Autoren ausdrücklich auf das päpstliche Schreiben "Familiaris Consortio" von 1981.

Ratzinger und Metz unterhalten sich.
Bild: ©KNA

Große Theologen unter sich: Joseph Ratzinger, damals noch Präfekt der Glaubenskongregation, und Johann Baptist Metz am 27. Oktober 1998 in Ahaus.

Gewissensentscheidung heißt auch für sie freilich nicht einfach "nach persönlichem Ermessen". Eine solche Entscheidung muss strengen Kriterien genügen. Ein besonders überzeugender Grund für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung sei etwa die Überzeugung, dass die frühere unheilbar zerbrochene Ehe nie gültig gewesen, ein Verfahren vor dem Ehegericht jedoch nicht möglich sei. Das ist etwa dann der Fall, wenn sich einer der Eheleute gegen ein solches Verfahren stellt.

"Gewissensentscheidung respektieren"

Von einer Zulassung zur Eucharistiefeier ist in den "Grundsätzen" nur in Anführungszeichen die Rede. Selbst in den genannten Einzelfällen könne der Priester "keine Zulassung im förmlichen Sinne aussprechen". Er habe die Gewissensentscheidung der Betroffenen, die Kommunion zu empfangen, zu "respektieren", heißt es dort.

Das Hirtenschreiben von 1993 war der Versuch, unter Rückgriff auf die kirchliche Lehre und die theologische Tradition, eine Möglichkeit für den Kommunionempfang aufzuzeigen, ohne hierbei die kirchliche Lehre selbst zu verändern. Im Vergleich zur jüngsten Handreichung aus dem Erzbistum Freiburg zum Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen ist das Schreiben von 1993 nach dem Urteil von Fachleuten wesentlich differenzierter und vorsichtiger formuliert.

Kardinal Joseph Ratzinger überzeugte die Argumentation gleichwohl nicht. Sein Einwand betraf die Gewissensentscheidung. Da die Sakramente von der Kirche gespendet würden, könne die Frage, wer sie empfange, nicht einer Gewissensentscheidung des einzelnen anheimgestellt werden, so seine Antwort. Wie die Kardinäle die Sache heute beurteilen, muss sich zeigen.

Von Thomas Jansen (KNA)