Drei Religionen unter einem Dach: Baustart beim Berliner "House of One"
Die Gertraudenstraße ist einer der trostloseren Orte in Berlin. Als Teil der Bundesstraße 1 wälzt sich die mehrspurige Straße autobahnähnlich durch die historische Mitte der Hauptstadt. Vom einstigen Glanz Alt-Köllns, wie das von der Straße zerteilte Gebiet früher hieß, ist nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs, den Abrissbirnen der DDR und der autogerechten Umgestaltung des Areals in den 1960er und 1970er Jahren fast nichts übriggeblieben. Wer nicht gerade als Pendler mit seinem Auto durch die Gertraudenstraße muss oder als Anwohner in einem der umliegenden Hochhäuser lebt, hat eigentlich keinen Grund, die Gegend zu besuchen.
Das allerdings könnte sich bald ändern. An diesem Donnerstag nämlich wird auf dem direkt an der Gertraudenstraße gelegenen Petriplatz nach rund zehnjähriger Planung der Grundstein für ein international beachtetes Bauprojekt gelegt. Dort, wo einst die neogotische Petrikirche mit ihrem rund 100 Meter hohen Turm stand und das umliegende Viertel prägte, soll in den nächsten Jahren das interreligiöse "House of One" – ein gemeinsames "Bet- und Lehrhaus" von Christen, Juden und Muslimen – entstehen. Zum Festakt der Grundsteinlegung, der ab 10.30 Uhr live im Internet übertragen wird, werden unter anderem Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) erwartet.
Grundsteinlegung musste wegen Corona verschoben werden
Eigentlich sollte die Grundsteinlegung bereits am 14. April vergangenen Jahres stattfinden, die damals noch recht frisch in Deutschland grassierende Corona-Pandemie verhinderte den Festakt jedoch. Dies war für die Verantwortlichen auch deshalb schmerzhaft, als der 14. April als Datum für den symbolischen Baubeginn eigentlich ganz bewusst gewählt worden war. An diesem Tag im Jahr 1783 nämlich fand in Berlin die Uraufführung von Gotthold Ephraim Lessings Drama "Nathan der Weise" statt, in dem es um den Humanismus sowie – dargestellt vor allem durch die berühmte Ringparabel im dritten Aufzug – den Dialog und die Toleranz zwischen den Religionen geht.
Genau diesem Ziel hat sich auch das "House of One" verschrieben. Das "Haus des Einen" soll nach dem Willen seiner Träger – der evangelischen Kirchengemeinde Sankt Petri-Sankt Marien und dem evangelischen Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte, der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und dem Abraham Geiger Kolleg sowie dem muslimischen Forum für Interkulturellen Dialog – ein Ort werden, an dem „das Zusammensein von Juden, Christen und Muslimen friedfertig und unvoreingenommen gelebt wird“, wie es auf der Internetseite des Projekts heißt. Die katholische Kirche ist übrigens nicht als Träger am "House of One" beteiligt; man fühle sich durch die evangelischen Christen gut vertreten, erklärte das Erzbistum Berlin im Jahr 2019.
Entstehen soll am Petriplatz ein dreistufiger Ziegelbau in kubischen Formen, dessen Entwurf aus der Feder des Berliner Architekturbüros Kuehn Malvezzi Architekten stammt. Im Inneren umfasst das "House of One" laut den Plänen drei separate Gebetsräume – eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee – sowie einen zentralen Raum der Begegnung, durch den Vertreter anderer Religionen und Weltanschauungen sowie die säkulare Stadtgesellschaft ausdrücklich eingeladen und einbezogen werden sollen. Das Haus ermögliche es damit gleichermaßen, sich zurückzuziehen und in der je eigenen Tradition zu beten sowie einander zu begegnen, voneinander zu lernen und das Verbindende zu suchen, so die Initiatoren.
Vier Jahre soll der Bau des Hauses dauern und 47 Millionen Euro kosten. Der Bund trägt davon 20 Millionen Euro, das Land Berlin 10 Millionen Euro. Hinzu kommen private Spenden und andere Zuwendungen, mit denen ein großer Teil der Baukosten nach Angaben der Verantwortlichen inzwischen abgedeckt ist. Die verbleibende Lücke von knapp acht Millionen Euro solle über Spendenaufrufe geschlossen werden, wie man sie zuletzt vor dem muslimischen Fastenmonat Ramadan und der Grundsteinlegung gestartet habe.
"Wir freuen uns sehr, dank großer Unterstützung von vielen Seiten und mit Gottes Hilfe so weit gekommen zu sein", sagt der evangelische Pfarrer Gregor Hohberg, der einer der Initiatoren des Projekts ist. Seit zehn Jahren setze das "House of One" bereits inhaltliche Akzente. Nun werde diese Arbeit bald in der Mitte Berlins Tag für Tag sichtbarer. "Und diese Freude über das nun auch bauliche Wachsen dieses einzigartigen Friedensprojekts der Religionen steigt mit jedem Stein, der für das Haus gelegt werden wird", so Hohberg.
"Es ist jede Mühe wert, miteinander zu reden, sich zu verständigen"
Die Welt brauche dringender denn je Orte des Friedens, in denen das Zusammenleben im "großen Welthaus" (Martin Luther King) gelernt werden könne, sind die Initiatoren überzeugt. Wie dieser Anspruch im "House of One" konkret mit Leben gefüllt werden kann, zeigte vor wenigen Tagen ein gemeinsames Friedensgebet der drei Religionen für den Nahen Osten. Pfarrer Hohberg betete dabei gemeinsam mit Rabbiner Andreas Nachama und Imam Kadir Sanci für Frieden in der Region sowie für Menschlichkeit und Zusammenhalt in Berlin, in Jerusalem und der ganzen Welt. "Es ist jede Mühe wert, miteinander zu reden, sich zu verständigen, damit Hass und Gewalt verschwinden und Menschen nicht mehr zu Opfern werden. Es ist wichtig, dass wir aus unterschiedlichen Religionen kommend Seite an Seite für alle Menschen, die leiden beten", so Hohberg. Jeder Mensch sei gleich würdig vor Gott. Und nur im Miteinander würden die Menschen im Nahen Osten oder in Deutschland in Frieden leben können.
Mit diesem Anspruch will das "House of One" langfristig auch weit über Berlin hinaus ausstrahlen. Schon jetzt begleitet die Initiative ein ähnliches Projekt in der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui. Auch dort soll in den nächsten Jahren – gemeinsam getragen von Christen und Muslimen – ein interreligiöses Haus des Friedens errichtet werden.