Christoph Kreitmeir über das Sonntagsevangelium

Verwandtschaft ist nicht der Garant für wirkliche Nähe

Veröffentlicht am 05.06.2021 um 17:45 Uhr – Lesedauer: 
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Ingolstadt ‐ Familie ist ein wichtiger Aspekt menschlichen Lebens. Doch Blutsbande können zur "Qualverwandtschaft" werden, schreibt Pfarrer Christoph Kreitmeir. Da kommt es – auch für Jesus – auf Menschen an, mit denen man auf andere Weise verbunden ist.

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Impuls von Christoph Kreitmeir

Schon länger ist mir bewusst, dass es bei den wirklich wichtigen Dingen des Lebens nicht auf Verwandtschaftsgrade oder gar Blutsverwandtschaft ankommt, sondern darauf, wie nahe jemand einem wirklich ist. Schon Johann Wolfgang von Goethe sprach in seinem vielschichtigen Roman "Wahlverwandtschaften" vom Unterschied zwischen natürlicher Festlegung durch Blutsbande und der Idee der Wahlfreiheit durch Sympathie. Verwandtschaft kann ein Segen und eine Stütze sein, sie kann aber auch zur "Qualverwandtschaft", zur Belastung werden. Freunde oder noch besser Seelenverwandte aber sind die frei gewählten geistigen Verbindungen, die das Leben bereichern und erleichtern.

Das gilt für uns alle und das gilt auch für Jesus. Immer wieder musste er einiges klarstellen, wenn es um seinen geistig-geistlichen Auftrag ging, das Reich Gottes zu verkünden und aufzurichten. Mal konnte er in seiner Heimatstadt nicht wirklich etwas ausrichten, geschweige denn Heilendes bewirken, weil die Leute meinten, ihn zu kennen: "Ist das nicht der Sohn des Josef...?" Und mal musste er sich von den Wünschen seiner Mutter und seiner Brüder – wie im heutigen Evangelium – distanzieren, um herauszustellen, worauf es ihm ankam: "Die im Geiste auf Empfang Seienden, sind ihm Bruder, Schwester oder Mutter."

Auf dem Weg unserer Persönlichkeitsentwicklung erleben wir Menschen notwendig und lebensfördernd, dass wir uns "häuten" müssen, wenn uns die alte Haut zu eng geworden ist. Ein Kind wird zum Jugendlichen und zum Erwachsenen und umgibt sich neben seiner Kernfamilie und gleichzeitig aus ihr herauswachsend immer wieder neu mit anderen Gesinnungs- und Lebensgefährten. Manchmal geschieht dies im Bruch wie bei Franz von Assisi, der sich radikal von seinem Vater lossagte und dem Vater im Himmel zuwandte. Manchmal findet man im Laufe des Lebens auch wieder freundschaftlich zu seinen Eltern und Geschwistern zurück.

Wenn es wirklich wichtig im Leben wird, dann entscheiden nicht Natur und Blutsverwandtschaft, sondern Geist und Seelenentsprechung. Im Krankenhaus ist es oft angesichts des Ernstes beim Sterben sehr ähnlich. Blutsverwandtschaft muss nicht der Garant dafür sein, dass wirklich eine Nähe da ist. Ich durfte schon oft erleben – und das tröstet in einer emotional scheinbar kälter werdenden Welt ungemein –, dass Nachbarn oder Freunde, die in keinster Weise mit einem Sterbenden verwandt waren, sich liebevoll und weitherzig um ihn oder sie kümmerten.

Zusammengehörigkeit, tiefe Verbundenheit, wortloses Verstehen, tiefes Vertrauen, das Gefühl der Vervollständigung und Seelenliebe sind Merkmale einer geistigen Seelenverwandtschaft. Und so kann es vorkommen, dass wir auch heute 2021 Jahre nach Jesu Sein auf Erden auf geistiger Ebene eine tiefe Verbundenheit zu ihm haben können, die uns durch's Leben trägt. Gott sei Dank!

Von Christoph Kreitmeir

Evangelium nach Markus (Mk 3, 20–35)

In jener Zeit ging Jesus in ein Haus und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die Jünger nicht einmal mehr essen konnten. Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen. Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beélzebul besessen; mit Hilfe des Herrschers der Dämonen treibt er die Dämonen aus.

Da rief er sie zu sich und belehrte sie in Gleichnissen: Wie kann der Satan den Satan austreiben? Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben. Wenn eine Familie in sich gespalten ist, kann sie keinen Bestand haben. Und wenn sich der Satan gegen sich selbst erhebt und gespalten ist, kann er keinen Bestand haben, sondern es ist um ihn geschehen.

Es kann aber auch keiner in das Haus des Starken eindringen und ihm den Hausrat rauben, wenn er nicht zuerst den Starken fesselt; erst dann kann er sein Haus plündern. Amen, ich sage euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen; wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften.

Sie hatten nämlich gesagt: Er hat einen unreinen Geist. Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben draußen stehen und ließen ihn herausrufen. Es saßen viele Leute um ihn herum und man sagte zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und suchen dich.

Er erwiderte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.

Der Autor

Der Priester Christoph Kreitmeir arbeitet in der Klinikseelsorge am Klinikum Ingolstadt und in der Erwachsenbildung.

Ausgelegt!

Katholisch.de nimmt den Sonntag stärker in den Blick: Wie für jeden Tag gibt es in der Kirche auch für jeden Sonntagsgottesdienst ein spezielles Evangelium. Um sich auf die Messe vorzubereiten oder zur Nachbereitung bietet katholisch.de nun "Ausgelegt!" an. Darin können Sie die jeweilige Textstelle aus dem Leben Jesu und einen Impuls lesen. Diese kurzen Sonntagsimpulse schreibt ein Pool aus Ordensleuten und Priestern für uns.