Früherer Generalvikar Beer: Marx' Schritt ist der einzig vernünftige
Der frühere Münchner Generalvikar Peter Beer hat den angebotenen Amtsverzicht von Kardinal Reinhard Marx als Erzbischof als eine "Entscheidung der Stunde" gewürdigt. "Es ist die um der Sache willen eigentlich einzig vernünftige und aufrechte", schreibt Beer in einem Beitrag für das Magazin "Cicero". Für ihn belege der Schritt, konsequent in der eigenen Amtsführung zu sein.
"Wer immer wieder von Schuld und Sünde spricht und vor allem Andere über eine diesbezügliche Notwendigkeit von Sühne, Buße und erforderlicher Genugtuung belehrt, der sollte dies auch bei Gelegenheit auf die eigene Amtsführung wirkungsvoll explizieren", so der Geistliche. Menschen, die hinsichtlich der eigentlichen Bedeutung und Autorität stets größten Wert auf eine ununterbrochene Traditionslinie seit der Zeit der Apostel Wert legten, sollte der Gedanke nicht fremd sein, dass es "so etwas Ähnliches auch in Bezug auf die Übernahme von Verantwortung geben kann".
Marx' Schritt sei ein entscheidender Beitrag dazu, dass die von der Kirche ausgestellten Schecks im Angesicht der Katastrophe des Missbrauchs "eingelöst werden können; dass sie gedeckt sind", schreibt Beer. Sie seien dadurch mehr Wert, "als das Papier der zahlreichen Ankündigungen, Verlautbarungen und Absichtserklärungen. Sie sind gedeckt durch persönlichen Einsatz und biographisch relevanten und wirksam werdenden Konnex zu einem konkreten Menschen, dem Menschen Reinhard Marx." Daran würde sich nichts ändern, wenn Marx in laufenden und weitergehenden Untersuchungen möglicherweise persönliche Schuld oder Versagen nachgewiesen werden sollten.
Beer war unter Marx von 2009 bis 2019 Generalvikar der Erzdiözese München und Freising. Mittlerweile arbeitet er als Professor am Zentrum für Kinderschutz (CCP) der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Zudem übernahm er den Vorsitz des Beirats der vom Münchner Kardinal Reinhard Marx neu gegründeten Stiftung "Spes et Salus" für Betroffene sexuellen Missbrauchs in der Kirche.
Aufarbeitungskommission bestürzt über den Schritt von Marx
Die Unabhängige Aufarbeitungskommission in der Erzdiözese München und Freising hat mit Bestürzung und Respekt auf den angebotenen Amtsverzicht von Kardinal Reinhard Marx reagiert. Der Erzbischof habe damit deutlich gemacht, "dass der bisherige Aufarbeitungsprozess nicht ausreicht und eine neue Qualität erhalten muss", erklärte Kommissions-Vorsitzende Michaela Huber am Sonntag. "Dass er bereit ist, als hoher Geistlicher für das diesbezügliche Fehlverhalten der katholischen Kirche die Verantwortung zu übernehmen, die ein modernes Gemeinwesen mit hohem ethisch-moralischen Anspruch auszeichnet, zeugt von Größe."
Zugleich riefen die acht Mitglieder den Papst indirekt dazu auf, den Amtsverzicht von Marx als Erzbischof nicht anzunehmen. Man hoffe sehr, dass Franziskus sehe, "welche Chance diese klare Positionierung von Kardinal Reinhard Marx für das Bistum München-Freising und vielleicht überhaupt für die deutsche katholische Kirche bedeutet", so die Vorsitzende.
Dass der Kardinal nicht nur "eine vordergründige, juristische und zum Teil der Problematik nur bedingt angemessene Form der finanziellen Entschädigung" im Auge habe, sondern auch die Notwendigkeit einer tiefergehenden, strukturellen und gesellschaftlich-soziologischen Veränderung der Institution Kirche erkenne, "unterscheidet ihn von den meisten seiner Amtsbrüder", erklärte Huber. Dies sei "eine notwendige Voraussetzung, wenn die Kirche in Deutschland wieder an existenzieller Bedeutung gewinnen will".
Die Kommission hatte sich erst im Mai konstituiert. Ihr Ziel ist es den Angaben zufolge, die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs kritisch zu begleiten, begünstigende Strukturen zu identifizieren und Änderungsvorschläge zu machen. Außerdem soll das Gremium Formen erarbeiten, wie auch jenseits juristischer Vereinbarungen eine gewisse Wiedergutmachung möglich sein könnte. Neben jeweils zwei Vertretern des Betroffenenbeirats sowie der Erzdiözese gehören der Kommission vier von der Staatskanzlei vorgeschlagene, aus verschiedenen Berufen stammende Personen an, zu der auch die Vorsitzende gehört. Huber ist Schulpsychologin und Supervisorin.
Laienvertreter: Papst soll Amtsverzicht von Marx nicht annehmen
Der oberste Laienvertreter der katholischen Kirche in Bayern, Joachim Unterländer, hat Papst Franziskus gebeten, den angebotenen Amtsverzicht von Kardinal Reinhard Marx nicht anzunehmen. Dies sollte zumindest bis zum Abschluss des Synodalen Wegs nicht geschehen, erklärte der Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken am Samstag. Marx habe den Weg gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ausgerufen, um systemische Ursachen von falsch verstandener Loyalität und für eine zunehmende Entfremdung von Amtsträgern und Gläubigen anzugehen.
Es wäre fatal, nun geeignete Führungspersönlichkeiten suchen zu müssen, um eine Reform in Gang zu setzen, so Unterländer. Mit deren Hilfe könne die Kirche die zahlreichen Begabungen ihrer Mitglieder ernst nehmen und Ungerechtigkeiten beseitigen. Marx sei ein "herausragender, unverzichtbarer Vertreter der Kirche, wenn es um die Realisierung von systemischen Veränderungen geht". Sein Eintreten für Geradlinigkeit und das Ringen um den richtigen Weg setzten Maßstäbe für die Kirche. "Deshalb gilt für uns: Die katholische Kirche in Bayern braucht Kardinal Reinhard Marx", so der Landeskomitee-Chef.
Marx habe sich als Vorsitzender der Bayerischen Bischofskonferenz seit Bekanntwerden vieler Missbrauchsfälle in einem Maß für die Aufklärung und Aufarbeitung eingesetzt, "das man sich von Anfang an von allen Beteiligten gewünscht hätte", betonte Unterländer. "Kardinal Marx hat nicht nur alles daran gesetzt, dass diese Fälle neu aufgerollt werden, sondern dass endlich die Perspektive der Opfer in den Mittelpunkt gerückt wurde."
Käßmann: Katholische Kirche braucht Reformen
Nach dem Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhard Marx hält die evangelische Theologin Margot Käßmann Reformen in der katholischen Kirche für dringend nötig. "Sie muss - wie die evangelische auch - Schuld bekennen gegenüber den Opfern von Missbrauch", schrieb die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in der "Bild am Sonntag".
Ihrer Ansicht nach sei die katholische Kirche jedoch nicht "an einem toten Punkt" angekommen, wie Marx es formuliert hatte, so die ehemalige hannoversche Landesbischöfin in ihrer Kolumne. "Es zeigt sich doch auch Aufbruch in der katholischen Kirche! Frauen verlangen Zugang zu allen Ämtern. Priester segnen homosexuelle Paare. Gemeinden hissen Regenbogenfahnen."
Sie habe großen Respekt vor Marx, der anders als der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki persönlich Verantwortung für den Missbrauchs-Skandal in der katholischen Kirche übernehme, so Käßmann.
Zugleich habe sie eine große Sympathie "für all die wackeren Katholikinnen und Katholiken, die Gottesdienste feiern, Senioren besuchen, in Konflikten Seelsorge anbieten, Flüchtlinge betreuen". Sie seien eben nicht an einem toten Punkt.
Es gebe berechtigte Kritik an den Kirchen, schrieb Käßmann. Dennoch brauche die Gesellschaft die Kirchen. "Das Leben ist mehr als das, was wir konsumieren. Es gibt eine spirituelle Dimension, die wir in Synagogen, Kirchen, Moscheen feiern", betonte sie. "Da existiert ein Mehrwert an Glauben, Tradition und Gemeinschaft, der sich nicht kaufen lässt." (KNA/epd)