Standpunkt

Kardinal Marx macht den Weg frei für einen Neuanfang

Veröffentlicht am 07.06.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Reinhard Marx hat seinen Rücktritt als Erzbischof angeboten, um für die Fehler des Systems persönlich einzustehen. Das sei nicht nur ein Signal nach Köln, schreibt Thomas Seiterich, es könne für den Kardinal auch neue Türen öffnen.

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"In Not wächst das Rettende auch." Sinngemäß, nicht wörtlich hat Hölderlin diesen Vers gedichtet. Man möchte sich an ihn halten im Beben, das der angebotene Amtsverzicht von Kardinal Marx auslöst. Was für ein Kracher! Reinhard Marx, der mächtigste Kirchenmann in Deutschland, zieht persönliche Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal. Systemisch sei er mitverantwortlich für das Versagen und weitere Fehlleistungen der Institution.

Der gesellschaftsweit angesehene Kardinal entspricht seinem Leitwort. Als junger Bischof wählte er den Wappenspruch "Wo der Geist des Herrn wirkt, ist Freiheit". Marx setzt zum zweiten Mal ein persönliches Umkehrzeichen. 2020 hatte er einen Großteil seines Privatvermögens in eine Stiftung eingebracht, die Betroffene von sexueller Gewalt stärken soll. Marx hat sich seit seinem Start 2001 als Bischof in Trier oft wuchtig, wie ein westfälisch-römischer Bulldozer für seine Ziele eingesetzt, die bis auf Mini-Unterschiede denen des jeweiligen Papstes - Johannes Paul II., Benedikt XVI., heute Franziskus entsprachen. Gewiss, er hat Betroffenen im Bistum Trier gegenüber versagt. Doch nun wirft er für tiefgreifende Reformen das letzte in die Waagschale, was er hat: Sein Amt.

Der Münchner sendet ein starkes Signal an Kardinal Woelki am Rhein. Für das Timing, für den zeitgerechten Einschlag der Bitte um Amtsverzicht sorgte Papst Franziskus. Der genehmigte, diese jetzt zu publizieren, vor der von Rom verfügten Visitation im Erzbistum Köln. Der dortige Kardinal hat sich in Sachen Missbrauch bei Top-Juristen teure Hilfe geholt. Deren scharfkantige Gutachten - werden sie ihn im Amt halten? Darüber streiten die Rechtsgelehrten - und das Vertrauen vieler Christen in Woelki ist perdu.

Marx macht aus eigener Kraft den Weg frei für einen Neuanfang. In Köln werden bald Visitatoren Fragen stellen, die aus weitaus ärmeren Kirchen in Schweden und den Niederlanden stammen als dem Erzbistum, dessen Chef sich teuer verteidigt. Werden sie Woelki aus dem Amt visitieren?

Marx dagegen könnte bald als Berater des Papstes dessen weltweiten Synodalen Prozess begleiten und/oder Nachfolger des Ex-Finanzchefs Kardinal Pell im Vatikan werden. Attraktive Aussichten? In Deutschland, auch beim Synodalen Weg, sind nun wohl die Jüngeren dran.

Von Thomas Seiterich

Der Autor

Thomas Seiterich ist Ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift "Publik-Forum".

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.