Kirche am "toten Punkt": Ein Bild mit Risikopotential
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Kardinal Reinhard Marx hat mit seinem Rücktrittsangebot für Aufsehen gesorgt. Es ist das überfällige Zeichen, durch das endlich ein führender Kirchenmann nicht nur persönliche, sondern "institutionelle Verantwortung" für das Versagen der Kirche im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs übernimmt.
In seinem Brief an den Papst schreibt Marx, die Kirche befinde sich "an einem gewissen 'toten Punkt'" und äußert die "österliche Hoffnung", dass dieser zu einem Wendepunkt werden könne. Marx' Schritt und insbesondere die Rede vom "toten Punkt" sind aber nicht ohne Risiko. Was – oder besser wer – kommt danach? Wer will in dieser Kirche noch Bischof werden? Und welche Bischöfe nehmen sich ein Beispiel an Marx? Welche nicht? Die von Marx erhoffte Wendung könnte in die falsche Richtung führen. Wenn nämlich nur diejenigen bleiben, die er mit seinem Druck zu bewegen sucht. Dann hätte der Kardinal seinen Reformanliegen einen Bärendienst erwiesen.
Die Rede vom "toten Punkt" ist auch aus einem anderen Grund riskant. In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Kirche durch sie zu einem völlig maroden Laden, der nur noch aus den Trümmern moralischer Verkommenheit besteht. Man muss sich nur einmal die Berichterstattung und Kommentierung vom vergangenen Freitag anschauen. Der "tote Punkt" kam ausgiebig vor. Die österliche Hoffnung nicht. Dieses Bild überlagert das Gute, das Tag für Tag in der Kirche geschieht.
Bei allen berechtigten Reformforderungen müssen wir aufpassen, dass wir unsere Kirche nicht kaputtreden. Ja, sie steht am Scheideweg und muss sich entscheiden, ob sie mittelfristig zu einer Truppe sonderbarer Sektierer werden oder Anschluss an die Gesellschaft halten will. Nicht, um beliebt zu sein, sondern um ihr Werk als Sauerteig verrichten zu können.
Aber: Es ist schon viel in Bewegung. Es wird so frei diskutiert (und oft auch gehandelt), wie das vor wenigen Jahre noch unmöglich war. Priester segnen homosexuelle Paare. Kirchliche Mitarbeiter – zumindest in einigen Bistümern – leben offen in homosexuellen Beziehungen, ohne ihren Job zu verlieren. Priester und sogar Bischöfe treten für die Priesterweihe für Frauen ein. In den aktuellen Reformdebatten – im Synodalen Weg in Deutschland und auf Weltebene – gilt es, die strittigen Themen anzusprechen und einen gewissen Druck aufrechtzuerhalten. Aber ohne dabei zu überziehen, wie kürzlich auch Erik Flügge in Bezug auf die Segnungen homosexueller Paare auf katholisch.de schrieb. Ausdauer ist gefragt. Zu viel Druck führt zum Scheitern.
Der Autor
Ulrich Waschki ist Geschäftsführer und Chefredakteur der Verlagsgruppe Bistumspresse.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider.