Reaktion auf Bonner Kollegen Lüdecke

Kirchenrechtler Pulte: Gehorsam in Kirche ist kein Kadavergehorsam

Veröffentlicht am 14.06.2021 um 12:19 Uhr – Lesedauer: 

Mainz ‐ Gehorsam als Stütze des katholischen Systems: Dieser Aussage seines Bonner Kollegen Norbert Lüdecke stimmt Matthias Pulte grundsätzlich zu. Doch es gehe dabei nicht um die reine "Durchsetzung von Befehlsketten", betont der Mainzer Kirchenrechtler.

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Laut dem Mainzer Kirchenrechtler Matthias Pulte hat der besondere Gehorsam gegenüber der kirchlichen Hierarchie, den das Kirchenrecht von allen Klerikern einfordert, nichts mit Kadavergehorsam zu tun. "Vielmehr geht es im Lichte des Weiheversprechens und auch im Lichte des bischöflichen Treueeides um einen mit dem Willen und dem Verstand verantworteten Gehorsam", schreibt Pulte in einer Stellungnahme, die katholisch.de vorliegt.

Pulte nimmt damit Bezug auf seinen Bonner Kollegen Norbert Lüdecke. Dieser hatte vergangene Woche im Anschluss an die Ablehnung des Rücktrittsgesuchs von Kardinal Reinhard Marx durch Papst Franziskus erklärt, dass Gehorsam eine Stütze des katholischen Systems sei. Mit der Weihe gelte für katholische Geistliche gemäß Canon 273 des Codex Iuris Caninici der Gehorsam gegenüber dem Papst und ihrem Bischof als erste Klerikerpflicht. Sicherheitshalber müsse ein Diözesanbischof vor Antritt seines Amtes zusätzlich einen speziellen Treueeid ablegen. Wenn Kardinal Marx nun erkläre, dass er die Entscheidung des Papstes im Gehorsam akzeptiere, komme Marx seinen rechtlichen und eidlichen Verpflichtungen nach, betonte Lüdecke. Sich konsequent zu verweigern, wäre strafbarer Ungehorsam (vgl. can. 1371 §1). Es läge dann beim Papst, ihn strafweise aus dem Amt zu nehmen oder andere Rechtsbeschränkungen aufzuerlegen.

Intention nachvollziehen und sich zu eigen machen

Dazu ergänzt Pulte, dass es im konkreten Fall nicht um die reine Gehorsamspflicht gegenüber dem Papst gehe. Stattdessen sei der entscheidende Punkt, "dass Kardinal Marx sich darum bemüht, die Intention des Papstes nachzuvollziehen und sie sich im positiven Sinne zu eigen zu machen, um dann mit erweiterter Perspektive das einmal […] übertragene Amt fruchtbar weiter auszuüben". Daher habe Franziskus auch einen langen Brief an Marx geschrieben und kein kurzes Dekret verfasst.

Ein Gehorsam, wie ihn Canon 273 einfordere, stütze "zweifellos" das katholische System, räumt Pulte ein. Dieses sei allerdings, "anders als es der erste Eindruck erwecken mag, durch einen Gehorsam des Mitdenkens und Mithandels charakterisiert" und "eben nicht in der schlichten Durchsetzung von Befehlsketten". Diesen Eindruck erwecke die Kirchenleitung nicht immer, so der Mainzer Kirchenrechtler. "Der Brief des Papstes an Kardinal Marx ist aber in dieser Hinsicht ein positiver Akt der Einforderung reflektierten Gehorsams, an dem sich andere ein Beispiel nehmen dürfen." (mal)