Standpunkt

Die Energie am toten Punkt kommt nicht von der Kirche selbst

Veröffentlicht am 16.06.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der viel zitierte tote Punkt, an dem sich die Kirche in Deutschland befinde: Bei Dominik Blum löst er Erschöpfung, Frustration und Wut aus. Er ist überzeugt: Dieser Punkt kann nicht von der Kirche selbst überwunden werden – sondern von außen und oben.

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Die Limonadenmarke meiner Kindheit warb früher für koffeinhaltige Brause sehr eindringlich mit dem Appell: "Überwindet den toten Punkt!" Der war groß, schwarz, sehr bedrohlich und – so die Werbung – nur durch den Konsum eines Erfrischungsgetränks mit psychoaktiver Substanz zu besiegen.

Der in den letzten Tagen so viel zitierte tote Punkt, an dem sich die Kirche in Deutschland tatsächlich befindet, ist für mich zuerst eine existenzielle Realität. Erschöpfung, Frustration und auch Wut darüber, dass sich so wenig bewegt in der Kirche, ja dass sie insgesamt so unbeweglich ist, prägen heute mein alltägliches Christsein. Und ich befürchte, damit bin ich nicht allein.

Dabei bin ich zutiefst davon überzeugt, dass dieser tote Punkt nicht von der Kirche selbst überwunden werden kann. Aufrufe zur Zuversicht – "Überwindet den toten Punkt, seid hoffnungsfroh, reißt euch endlich mal zusammen!" – haben noch nie geholfen. Kraft und Energie für die ecclesia semper reformanda kommen immer von außen und von oben. Das ist übrigens auch die Grenze des so wichtigen Synodalen Wegs. Das kraftvolle Gegenüber der Kirche ist der Heilige Geist, die göttliche Geistkraft.

Aber wo weht die denn heute noch? Für mich etwa in der Gegenwartskultur. Drei aktuelle Beispiele: Da ist der Klavierkabarettist Bodo Wartke. Wie kein anderer setzt er sich – hören Sie doch mal "Die heiligen Schriften 2.0" – mit dem gefährlichen Potenzial der Religionen in unserer Gesellschaft auseinander. Sein neuester Titel seziert messerscharf "Das System" einer Kirche, die Kinder missbraucht. Und endet dann ganz ernst mit der Zeile: "Wie heißt es so schön: Nun aber blei- / ben Glaube, Liebe Hoffnung. Diese drei / vermögen uns am eh’sten zu trösten … / Bei mir ist die Hoffnung derzeit ja am größten." Oder die geniale Ex-Straßenmusikerin Dota Kehr, die sich selbst die Kleingeldprinzessin nennt. Sie ruft auf dem Titelsong ihres neuen Albums hallo-spencer-mäßig nach Galaktika und meint den mehr oder weniger säkularen Engel, der uns raushaut, weil wir ständig Mist bauen. Zuletzt noch Bosse, der St. Pauli-Fan, der mit so vielen Menschen guten Willens trotz allem weiter an "Das Paradies" glauben will, in dem sogar Rabbis, Imame, Priester und andere Freaks friedlich miteinander umgehen.

Nein, ich will gerade die Gegenwartskultur nicht christlich vereinnahmen, auch nicht als Fremdprophetie (denn die Kirche ist der Welt fremder als die Welt der Kirche). Ganz im Gegenteil und eher umgekehrt: Der Blick der Kirche muss sich wenden von innen nach außen, von der eigenen Kraftlosigkeit und Verhärtung, von ihrem toten Punkt hin auf die Sehnsucht, den Anspruch und die göttliche Lebendigkeit der Welt. Tut sie das nicht, verpasst sie den Anschluss an die einzige Kraft, die sie erneuern kann.

Von Dominik Blum

Der Autor

Dominik Blum ist Dozent für Theologie an der Katholischen Akademie in Stapelfeld.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.