Ökumenisches Gedenken in Rom fällt aus – Dokument auf dem Weg

Theologe Thönissen: Exkommunikation trifft nicht mehr Anhänger Luthers

Veröffentlicht am 17.06.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Paderborn ‐ 500 Jahre nach der Exkommunikation Martin Luthers erklärt Theologe Wolfgang Thönissen im Interview, warum die Exkommunikation nicht mehr die Anhänger des Reformators trifft – und wie das ÖAK-Votum "Gemeinsam am Tisch des Herrn" zu verstehen ist.

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Die Corona-Pandemie hat auch Auswirkungen auf die ökumenischen Dialoge: Gemeinsame Veranstaltungen kommen nicht zustande, ein geplantes lutherisch-katholisches Dokument verzögert sich. Zum Stand der Dinge äußert sich im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) der Leitende Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik, Wolfgang Thönissen. Er ist unter anderem Berater der Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit und Mitglied im Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK).

Frage: Herr Professor Thönissen, vor 500 Jahren erfolgte die Exkommunikation Martin Luthers. Aus diesem Anlass wollten der Lutherische Weltbund (LWB) und der Päpstliche Einheitsrat ein neues Dokument vorlegen. Geplant war auch eine gemeinsame Gedenkveranstaltung in Rom, die wegen der Corona-Pandemie jetzt ausfällt. Gibt es Pläne, das Treffen nachzuholen?

Thönissen: Der LWB hatte schon vor einiger Zeit beschlossen, seine diesjährige Ratsversammlung vom 18. bis 23. Juni in Rom abzuhalten. Dabei sollte es auch zu einem gemeinsamen Gottesdienst und einer Gedenkveranstaltung kommen. Diese Pläne wurden seitens des LWB aufgrund der Pandemie-Lage nicht weiter verfolgt. Die Ratsversammlung wird ausschließlich als Online-Veranstaltung stattfinden. Deswegen wird es auch keinen gemeinsamen ökumenischen Gottesdienst in Rom geben. Wann es zu einem Treffen in Rom kommen wird, das muss der LWB entscheiden.

Frage: Wie weit sind die Arbeiten an dem neuen Dokument vorangeschritten?

Thönissen: In Vorbereitung auf das geplante gemeinsame Treffen hatten der LWB und der Päpstliche Einheitsrat im Dezember 2019 eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich in einem gemeinsamen, ausführlichen Text mit dem Ereignissen des Jahres 1521 beschäftigen sollte. Es war die Intention dieser Arbeitsgruppe, in historischen, theologischen und kirchenrechtlichen Abhandlungen der Frage der Exkommunikation und Verurteilung Martin Luthers genauer nachzugehen. Auch hier hat es aufgrund der Pandemie-Lage eine Verzögerung ergeben. Zwar konnte die international besetzte Arbeitsgruppe an den bereits vorliegenden Texten weiter arbeiten, aber ohne eine längere präsentische Tagung ist dieses nicht zu leisten.

„Das Zweite Vatikanische Konzil, um hier bereits schon einmal ein Ergebnis vorwegzunehmen, hat deutlich gemacht, dass die Exkommunikation nicht mehr die Anhänger Luthers trifft.“

Frage: Wie geht der Text mit Forderungen nach einer Aufhebung der Exkommunikation Luthers und seiner Anhänger um?

Thönissen: Im Zusammenhang mit den theologischen Fragen muss geklärt werden, was überhaupt unter kirchlicher Verurteilung und Exkommunikation am Ende des Mittelalters verstanden werden kann. Immer wieder ist in den ökumenischen Diskussionen der vergangenen Jahrzehnte die Forderung erhoben worden, analog zur Aufhebung der Exkommunikationen des Jahres 1054 zwischen den orthodoxen und der katholischen Kirche eine Aufhebung der Exkommunikation Martin Luthers herbeizuführen. Es wird die Aufgabe der eingesetzten Arbeitsgruppe sein, genau zu zeigen, dass die Aufhebung der Exkommunikationssentenzen des elften Jahrhunderts völlig anders zu bewerten ist als die Exkommunikation Luthers aus dem Jahre 1521. Dabei wird auch deutlich unterschieden werden müssen zwischen der Exkommunikation, die Luther selbst in seiner Person erfahren hat, und der seiner Anhänger. Das Zweite Vatikanische Konzil, um hier bereits schon einmal ein Ergebnis vorwegzunehmen, hat deutlich gemacht, dass die Exkommunikation nicht mehr die Anhänger Luthers trifft. Diese Entscheidung ist implizit getroffen worden, als das Konzil sich im Ökumenismusdekret dazu entschloss, von getrennten Brüdern bzw. Schwestern im Glauben zu sprechen. Dies muss selbstverständlich in einer ausführlichen Abhandlung theologisch angemessen dargestellt und behandelt werden.

Frage: Die ökumenische Debatte in Deutschland war zuletzt stark bestimmt von der Studie "Gemeinsam am Tisch des Herrn" des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK). Welche Zwischenbilanz der Diskussion ziehen Sie?

Thönissen: Der ÖAK hat sich bereits in seiner langen Geschichte immer wieder mit der Frage der Eucharistie- bzw. Abendmahlsgemeinschaft beschäftigt. Daraus sind schon vor Jahrzehnten wichtige Dokumente entstanden. Dies war der Anlass gewesen, diese Frage noch einmal neu aufzugreifen und unter den inzwischen hinzugewonnenen historischen und theologischen Argumenten nachzugehen. Im Blick auf den digital abgelaufenen Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt hatte sich die Erwartung herausgebildet, dass es nun zu einer evangelisch-katholischen Eucharistiegemeinschaft kommen werde. Zwar hat das Votum des ÖAK dazu entsprechende Aussagen gemacht, aber es muss insgesamt als ein Diskussionspapier verstanden werden, das eine Zwischenbilanz bildet, und ist selbst keine Anweisung für eine zu praktizierende Abendmahlsgemeinschaft.

Eucharistie
Bild: ©Fotolia.com/Piotr Slizewski (Symbolbild)

Der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) hatte im September 2019 das Votum "Gemeinsam am Tisch des Herrn" vorgelegt. Darin sieht er die wechselseitige Teilnahme an Eucharistie/Abendmahl als "theologisch begründet". Die Glaubenskongregation kritisierte dieses Votum und schloss eine Mahlgemeinschaft vorerst aus.

Frage: In Deutschland mit seinem ausgewogenen Verhältnis von Katholiken und Protestanten ist die Frage der Kommunionsgemeinschaft besonders virulent. Wie wird diese Diskussion von protestantischer Seite außerhalb Deutschlands wahrgenommen?

Thönissen: Auch innerhalb der europäischen evangelischen Kirchen ist die Frage der Abendmahlsgemeinschaft besonders virulent. Dies bezieht sich natürlich in erster Linie auf die innerprotestantische Frage, weil es hier lange Jahrzehnte gedauert hatte, eine solche Praxis theologisch zu begründen. Inzwischen gibt es Gespräche auf europäischer Ebene mit dem Päpstlichen Einheitsrat. Im Mittelpunkt stehen die Fragen nach Kirche, Sakramenten Amt, alles Fragen, die darauf hinauslaufen zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen Abendmahls- bzw. Eucharistiegemeinschaft möglich sein werden. Insoweit gibt es also einen europäischen Erwartungsdruck an die deutsche Diskussion.

Frage: Das nächste bedeutende Datum im lutherisch-katholischen Dialog wird 2030 die Erinnerung an "500 Jahre Augsburger Bekenntnis" sein. Ist bis dahin noch die Erarbeitung einer "Gemeinsamen Erklärung über Kirche, Eucharistie und Amt" zu schaffen, wie mehrfach vorgeschlagen worden ist.

Thönissen: Den Vorschlag für eine "Gemeinsame Erklärung über Kirche, Eucharistie und Amt" stammt selbst vom Präsidenten des Päpstlichen Einheitsrates, Kurt Kardinal Koch. Er hatte diesen Vorschlag für einen ausführlichen theologischen Dialog selbst in die Debatte geworfen, nachdem die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" zu einem positiven ökumenischen Ergebnis geführt hatte. Hierbei geht es darum zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen Abendmahls- bzw. Eucharistiegemeinschaft möglich sein werden. Dazu müssen Fragen des Amtes insbesondere geklärt werden, vor allem die des Bischofsamtes. Das Jubiläum der Confessio Augustana 2030 könnte dazu einen Anlass geben. Es sind hierzu aber noch keine spezifischen Arbeiten aufgenommen worden.

Von Norbert Zonker (KNA)