Peter Dennebaum: Kirche muss aufhören, sich machtpolitisch zu gebärden
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Aufgewachsen in der katholischen Kirche, schätzt Peter Dennebaum deren Werte und Gemeinschaft sehr. Doch mit der Institution kann er wenig anfangen. Der Pfarrer in der in der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau und Sprecher der "Bundesarbeitsgemeinschaft Christ*innen" der Partei Bündnis 90/Die Grünen erläutert im Gespräch, welche Kirche er sich wünscht: eine, die sich wieder an Jesus und den christlichen Werten orientiert, die er auch in seiner politischen Arbeit vertrete.
Frage: Ich erinnere mich an den Sommer im letzten Jahr: Da war es ähnlich wie jetzt. Die Inzidenzzahlen gingen runter, wir konnten an ein bisschen mehr denken als die Corona-Pandemie und es gab Lockerungen. Dazu kommt im Jahr 2021, dass ziemlich genau die Hälfte der Bevölkerung mindestens einmal geimpft ist, vollständig geimpft ist ein gutes Drittel von uns. Wie geht es Ihnen an diesem Punkt?
Dennebaum: Ich bin vorgestern das zweite Mal geimpft worden – als Mainzer mit Biontech, bin da auch ganz froh drum. Ich stelle aber fest, dass wir bei kirchlichen Treffen – wie mit den Konfirmanden – drinnen immer noch die Masken tragen, aber die Gottesdienste draußen stattfinden auf der Wiese, was uns zumindest ermöglicht, jetzt schöne Gottesdienste draußen zu feiern. Das sind Sachen, die wir vielleicht nicht gleich so gemacht hätten ohne Corona. Also von daher treibt Corona uns auch dazu, Sachen zu machen, die wir vorher vielleicht nicht so gemacht hätten. Und die Pandemie führt dazu, dass wir uns, glaube ich, alle mehr digitalisiert haben als wir uns das noch vor zwei Jahren überhaupt hätten vorstellen können.
Frage: Also würden Sie sagen, dass es Vor- und Nachteile gibt? Es kommen jetzt wieder Sachen, die Ihnen gefehlt haben, aber die Pandemie hat auch ein bisschen was nach vorne bewegt?
Dennebaum: Die Pandemie kommt ja nicht aus heiterem Himmel. Also die Natur wehrt sich einfach auf ihre Art und Weise. Die Flugzeuge mussten stehen bleiben und wir, zumindest die Leute, die darüber nachdenken, was für gesellschaftliche Auswirkungen das hat, fangen ja auch an, das System und die Art und Weise des Wirtschaftens infrage zu stellen. Wenn wir darüber nachdenken, bedeutet das – und da sind wir übrigens bei der katholischen Soziallehre, mit der ich aufgewachsen bin im Mainzer Dom, mit Oswald von Nell-Breuning, dem Jesuitenpater, der damals noch zumindest die Kanzler der Bonner Republik beraten hat. Der hat schon immer die Personalität in den Mittelpunkt gestellt und nie das Kapital.
Seit zwei Jahren ist das Stichwort Gemeinwohl-Ökonomie zum Beispiel im politischen Kontext in vieler Munde, zumindest bei uns Grünen, also wirklich der Versuch, wieder das Gemeinwohl und damit auch die Umwelt mehr – oder wieder – in den Blick zu nehmen. Das haben wir ja, glaube ich, viele, viele Jahre vergessen und geglaubt, das System könnte so weiterlaufen bis zum bitteren Ende. Das haben zumindest viele verstanden, dass das jetzt nicht mehr eine Möglichkeit ist. Also von daher ist jetzt durch Corona auch eine Systemfrage mit gestellt.
Frage: 2021 steht auch für ein Wahljahr, in dem sich die Pandemie zu bekämpfen und Wahlkampf zu betreiben hier und da vermischt, habe ich das Gefühl. Geht Ihnen das auch so?
Dennebaum: Ich glaube, wir müssen es politisch machen. Ich weiß gar nicht, wie das anders geht, ehrlich gesagt. Wenn ich mir angucke, wie Corona über uns gekommen ist und was es mit uns als Gesellschaft gemacht hat, dann müssen wir uns ja die Frage stellen: Wie wollen wir leben nach Corona? Wollen wir einfach so weitermachen wie bisher? Oder wollen wir wirklich gucken, dass das Menschsein und dass die Nachhaltigkeit und die Umweltverträglichkeit, die Verträglichkeit mit der Schöpfung, dass das in den Mittelpunkt unseres Handelns gerät?
Frage: Ist das vielleicht sogar auch schon das Zusammenspiel von christlichen Werten und Ihrem Glauben?
Dennebaum: Ja, da bin ich schon mittendrin. Richtig, genau so ist es.
Frage: Wo gehört das denn für Sie zusammen?
Dennebaum: Das gehört bei mir zusammen in der Art und Weise, wie ich einkaufe. Ob ich versuche, nachhaltiges Fleisch zu erstehen. Bin ich bereit, mehr auszugeben? Wenn ich vielleicht auch bei hochpreisigen Anbietern einkaufen gehe wie Tegut (deutsches Lebensmittel-Unternehmen, Anm. d. Red.), versuche Biofleisch zu kaufen, mehr auf alternative Sojaprodukte oder pflanzliche Produkte zurückzugreifen, weniger fahre, mich politisch dafür einsetze, dass Unternehmen sich bilanzieren lassen, nicht nur nach dem Bruttoinlandsprodukt, sondern eben auch nach dem, was sie für das Gemeinwohl tun. Ich glaube, das betrifft alle Aspekte des menschlichen Daseins, was wir gerade hinterfragen. Unser Christentum heißt ja, Gott in den Mittelpunkt zu stellen.
Es fängt an mit dem ersten Gebot: Du sollst außer unserem Gott keine anderen Götter haben. Das bedeutet keine BMWs. Es bedeutet nicht den persönlichen Reichtum, sondern wirklich das Gemeinwohl. Wenn alle Menschen auf dieser Erde Geschwister sind und wir aber zu den zwei Prozent Privilegierten gehören – und jetzt, wo ich gestern mit meinen Konfirmanden einen Film aus der Türkei angeguckt habe, wo Schülerinnen und Schüler bis nachts um elf Uhr arbeiten müssen, um den Familienbetrieb aufrechtzuerhalten –, dann weiß man genau: Diese Kinder und Jugendlichen werden ihre Träume, Arzt zu werden oder Ingenieur zu werden, nie erfüllen können, weil sie mitten in der Armutsfalle drin sind. Und das alles passiert nur wenige Autostunden von hier entfernt, mitten in Europa.
Frage: Ich höre da raus, das ist ja auf der einen Seite der religiöse Bereich, den Sie als Christen unter den Grünen abdecken – vielleicht auch interreligiös. Und auf der anderen Seite die Gesellschaft und Politik: Sollte sich Kirche nicht aus der Politik heraushalten, wie so oft gefordert?
Dennebaum: Entschuldigen Sie, dass ich lache. Ich bin genau anders großgeworden. Ich bin im Mainzer Bischöflichen Willigis-Gymnasium großgeworden. Da weiß ich noch: Das erste Buch, was mir der damalige Dompfarrer zu Mainz, der auch mein Religionslehrer war, zu lesen gegeben hat, worüber ich dann referiert habe, war "Konflikt um die Theologie der Befreiung". Ich habe damals als 16-/17-Jähriger gelernt, dass Jesus eben keiner war, der nur ein Privatlehrer war, sondern dass Jesus einer war, der schon vor 2000 Jahren für Menschenrechte eingetreten ist und damit natürlich das Römische Reich herausgefordert hat und dass die Französische Revolution erst sehr viel später kam. Also da war einer sehr viel früher. Und dass viele Menschen Jesus zu einem moralischen Privatlehrer gemacht haben, finde ich, ist ein absoluter Verrat an Christi Sache. Und wenn die Kirchen heute nicht mehr voll sind, liegt es vielleicht daran, dass die Kirchen aber nicht mehr das wirklich für das Menschsein Relevante in den Mittelpunkt stellen, sondern in einer Liturgie verhaftet geblieben sind, die viele Menschen nicht mehr anspricht – mich übrigens inklusive.
"Ein Menschenleben gerettet" bedeutet im Judentum: "die ganze gesamte Welt gerettet". Ich glaube, da müssen wir mal sehr viel radikaler werden. Jesus war auf jeden Fall meines Erachtens einer, der in diesem einen Jahr Verkündigung, das er gehabt hat, als er durch Galiläa gereist ist – der Mann hat ja nicht viel Zeit gehabt, unstudiert, wie er war, Sohn eines Handwerkers, selbst Handwerker, vielleicht mit Realschule, würde man heute sagen –, trotzdem das Römische Reich so herausgefordert hat, dass die nichts machen konnten, als ihn so schnell wie möglich ans Kreuz zu nageln.
Denn einer, der sagt, "alle Menschen sind gleich", der hatte damals nicht viel zu sagen und ich glaube, heute auch nicht! Wenn wir sagen, wir müssen eine Welt schaffen, in der alle Menschen den gleichen Zugang zu Bildung und Ressourcen haben, ist das die gleiche revolutionäre Botschaft wie vor 2000 Jahren, nur geändert hat sich da relativ wenig. Und unsere Christenheit hat da so ein bisschen eingeschlafene Füße bekommen. Das habe ich alles im Katholizismus gelernt, alles in Mainz.
„Wenn die Kirchen heute nicht mehr voll sind, liegt es vielleicht daran, dass die Kirchen aber nicht mehr das wirklich für das Menschsein Relevante in den Mittelpunkt stellen, sondern in einer Liturgie verhaftet geblieben sind, die viele Menschen nicht mehr anspricht – mich übrigens inklusive.“
Frage: Das sagen Sie alles, obwohl das Leben, wie es scheint, immer säkularer wird. Das haben Sie auch gerade schon anklingen lassen. Und immer mehr Menschen wenden sich von der Kirche – zumindest als Institution – ab.
Dennebaum: Ja, es regt mich auch immer auf – und zwar nicht die Menschen regen mich auf, sondern die Institutionen regen mich auf! Das letzte, was ich hier vor dem Podcast gelesen habe, war "Dompropst Assmann vergleicht Kirche mit sinkendem Schiff". Da habe ich gedacht, oh, damit gehe ich jetzt hier in den Podcast rein, mit dieser Aussage. So ist es aber.
In Frankfurt am Main mache ich mit progressiven Freunden aus Judentum, Christentum, Islam und Buddhismus ein Projekt, das nennt sich "Beyond" ("jenseits/darüber hinaus", Anm. d. Red.). "Beyond" der Institutionen heißt das auch. Viele Menschen glauben einfach diesen Institutionen nicht mehr. Als ich 1987 Abitur gemacht habe, ich bin jetzt 53 Jahre alt, und ich mich damals entschieden habe, Pfarrer zu werden, gehörten 85 Prozent der Deutschen einer der beiden Kirchen an – Katholizismus oder Protestantismus. Für mich war es selbstverständlich: Wenn du was erreichen willst, dann wirst du einfach auch Pfarrer. Mittlerweile aber gehöre ich auch zu den Menschen, die gefühlt die Institution gar nicht mehr brauchen. Und dann muss man sich aber trotzdem "beyond" – wieder das Wort –, jenseits der Institutionen versuchen zu treffen und irgendwie gucken: Was verbindet uns?
Sie haben von sich aus den interreligiösen Dialog angesprochen. Wir bei Bündnis 90/ Die Grünen "interreligiösieren" alles derzeit, und zwar im deutschen Kontext wie auch im europäischen Kontext. Wir bauen also das so auf, dass wir versuchen, überall in Europa ein Netzwerk hinzukriegen, das die progressiv religiösen Kräfte versammelt. Und ich kann Ihnen sagen, das passiert oftmals "beyond" der Institutionen wieder. Also wenn Sie Richtung Balkan fahren – ich habe vor zwei Jahren in einer dreimonatigen Reise 16 südosteuropäische Staaten besucht –, da werden Sie auf katholische Kirchen zum Beispiel treffen, die total homophob und nationalistisch sind. In Kroatien scheint das so zum Beispiel zu sein. Sie treffen aber auch auf protestantische Kirchen, die genauso fehlgeleitet sind – wie in Ungarn, wo Viktor Orbán zur Reformierten Kirche in Ungarn gehört, zu der zehn Prozent protestantische Christinnen und Christen gehören. Da wissen Menschen oftmals einfach auch nicht, dass man schwul sein kann, dass man in der Kirche auch verheiratet werden kann. Ich bin schwul und ich verheirate auch schwul-lesbische Paare. Und wenn ich jetzt in drei Wochen durch die baltischen Republiken fahre und dort auch wieder versuche, mit grünen, grün-affinen Menschen zu treffen, die progressiv-religiös sind, dann sagen die mir jetzt schon oben in Riga: Wir wussten gar nicht, dass es progressive religiöse Menschen gibt.
Also oftmals sind die Institutionen einfach rückschrittlich. Und da kann ich nur sagen: Liebe Leute, tretet aus! Da werde ich total zum säkularen Menschen. Wir haben hier unsere Spiritualität eigentlich schon verloren, als mit der Schlacht an der Milvischen Brücke 312 Konstantin unser Christentum zur Staatsreligion gemacht hat. Und solange die Kirchensteuermittel noch so kräftig schön fließen, gerade hier im Rhein-Main-Gebiet, ist es schwierig, Spiritualität wieder neu zu entdecken. Das findet dann eher statt außerhalb der Institutionen. Das ist aber selbstgemacht. Wenn man als Pfarrer mit A13 bezahlt wird und so sicher im Sattel sitzt, dann muss man einfach sagen: Okay, dann hat das System aber auch überhaupt keinen Grund, sich zu ändern, weil die Leute sitzen ja fett im Sattel. Sie sind ja auch absolut subventioniert. Es ist nur nicht im Sinne Jesu. Von daher ist die Botschaft Jesu eigentlich immer noch eine, die aufruft, kritisch zu hinterfragen, was wir da eigentlich machen und zu dem zurückzukehren, was Jesus eigentlich nur gemacht hat: Der Mann ist herumgereist für ein Jahr lang, hat sich bei Leuten eingeladen, Wasser zu Wein gemacht, mit den Leuten Gemeinschaft gefeiert und hat geheilt.
Wenn wir das auch nur in Ansätzen wieder so entdecken könnten für uns und unsere Privilegien zurückgäben, glaube ich, gäbe es einen grandiosen Neuaufbruch. Vielleicht kleiner als wir sind, aber dafür umso wirkmächtiger und seelisch reinigender und erfüllender. Sie merken, ich predige schon wieder…
Frage: Aufgewachsen sind Sie katholisch, haben sich dann im Alter von 20 Jahren aber für die evangelische Kirche und den Pfarrberuf entschieden. Ihr Bruder ist Regens im Bistum Mainz und leitet da die Priesterausbildung. Da schwingt ein bisschen Ökumene bei Ihnen mit. Es ist nicht lange her, da hat die Glaubenskongregation im Vatikan ein Segnungsverbot für homosexuelle Paare ausgesprochen. Sie haben gerade gesagt, Sie verheiraten auch schwul-lesbische Paare. Das ist ein Thema, für das Sie sich auch schon seit Jahren einsetzen. Wie passt dieses "Nein" aus Rom in der katholischen Kirche zum 21. Jahrhundert?
Dennebaum: Das passt überhaupt nicht dahin. Die Frage ist ja: Warum sind sie überhaupt noch Mitglied der katholischen Kirche? Wir alle sind ja erwachsen. Im Alter von 20 Jahren habe ich für mich entschieden, dass ich mein Geld diesem Laden nicht gebe. Das ist aber ein Machtsystem. Solange aber so viele Leute dieses Machtsystem erhalten mit ihrem Geld, sollen sie sich auch nicht beschweren, sie sind doch freie Menschen. Hätte ich damals gewusst, dass es die Altkatholiken gibt, dann wäre ich wahrscheinlich altkatholisch geworden. Aber damals wusste ich das nicht.
Ich bin groß geworden in einer Zeit, da gab es Eugen Drewermann und es gab Hans Küng. Und alle meine Predigten beruhen auf Eugen Drewermann. Wenn eine römisch-katholische Kirche so kaputt ist, dass sie solche Leute rausschmeißt... Da habe ich schon damals gesagt: Liebe Leute, warum? Ich habe ja nur 70 Jahre vielleicht auf dieser Welt zu leben. Warum sollte ich mich gegen einen menschlich verfassten Laden mein Leben lang aufreiben? Mein Leben, das habe ich schon mit 20 gesagt, ist dafür zu wertvoll. Ich kann ohne römisch-katholische Kirche wunderbar durchs Leben gehen.
Dass wir das in unserer Familie haben, das hat einen gewissen Charme. Wir fragen uns auch immer wieder, wie wir die gleiche Mutter haben können. Aber ich bin der älteste von vier Söhnen meiner Eltern. Ich habe wahrscheinlich eher das System durchbrochen. Andere sind im System geblieben. Aber warum man heute noch römisch-katholisch ist und das Ganze noch finanziert, habe ich keine Ahnung. Ich brauche es nicht.
„Oftmals sind die Institutionen einfach rückschrittlich. Da kann ich nur sagen: Liebe Leute, tretet aus! Da werde ich total zum säkularen Menschen.“
Frage: Harte Worte. Wir kommen noch mal kurz auf Ihre Bundesarbeitsgemeinschaft Christinnen und Christen zurück. Im Wahljahr stellen Sie mit Annalena Baerbock in Ihrer Partei jemanden auf, die Kanzlerin Angela Merkel ablösen könnte. Sie sind Christ und Sprecher eben dieser Bundesarbeitsgemeinschaft. Warum wäre aus dieser Sicht eine grüne Bundeskanzlerin angebracht?
Dennebaum: Weil ich glaube, dass sich die Werte, an die ich glaube, die ich aus dem Christentum rausziehe, dann in den Mittelpunkt gestellt würden. Also Nachhaltigkeit, die Generationengerechtigkeit – wir leben ja völlig auf Kosten unserer nachfolgenden Generation, das ist ja ein Tanz auf dem Vulkan, was wir machen. Das hat uns einen unglaublichen Reichtum natürlich gegeben, den wir auf die fossilen Brennstoffe gesetzt haben. Aber für mich war die CDU/CSU schon immer eine Machtmaschine gewesen, ziemlich inhaltsleer, was man mal daran merkt, dass sie noch gar kein Wahlprogramm haben. Die schreiben Ihnen alles rein, was sie denken, was gut ist, um die Macht zu erhalten.
Bei Bündnis 90/Die Grünen war es so, als die 1979/80 ins Leben kamen, das waren ja viele Christinnen und Christen, die sich da engagiert hatten in der Friedensbewegung, ohne die ist das nicht zu denken. Also ein paar Namen: Christa Nickels, Petra Kelly, Thomas Ebermann, Antje Vollmer. Heute haben wir mit Sven Giegold einen prominenten Menschen im Europaparlament, der Pfarrerssohn ist. Wenn ich am Kirchentag auch immer zu den Bibelstunden von Winfried Kretschmann gehe und höre, wie der die Bibel auslegt, der sagt auch von sich selbst, er wäre fast Pfarrer geworden. Oder Gauck, erinnern wir uns mal an unseren Altbundespräsidenten Joachim Gauck. Die sind da alle sehr christlich geprägt.
Ich glaube aber, dass Annalena Baerbock das konsequenter und radikaler machen würde. Hoffen wir zumindest alle. Also wir, die sie kennen, schätzen sehr ihr Vermögen, Sachen durchzudenken, Menschen einzubeziehen, sich selbst nicht so in den Mittelpunkt zu stellen, sondern wirklich mehr auf das Team zu setzen und zuzuhören. Es sind gute Skills. Es ist ein modernes Skillset, was, glaube ich, zeigt, dass man auch partizipative Politik umsetzen kann und eine Gesellschaft mitzunehmen weiß.
Frage: Was wünschen Sie sich denn da seitens der Kirchen für das Wahljahr und die anstehende Wahl?
Dennebaum: Beide Kirchen stellen ja oft Wahlprüfsteine auf. Das finde ich auch immer gut. Aber wenn man da mal so guckt irgendwie, da wird man wieder skeptisch. Gucken Sie mal in die USA, wo die katholischen Bischöfe gerade versuchen, Biden die Kommunion zu verweigern. Da kriege ich schon wieder Weglauftendenzen, wie man Menschen so was verweigern kann. Ich wüsste nicht, dass Jesus Christus irgendjemandem mal etwas verweigert hat. Da sind wir wieder. Verstehen Sie, schon ich gehöre zu der Generation, die diesen Wandel mitgemacht hat, wo Kirche mal Machtinstitution war – im Guten wie im Schlechten.
Aber mittlerweile ist mir fast egal, was Kirchen sagen, weil ich doch eh mache, was ich will. Und die meisten Menschen denken genauso. Deswegen ist die Überschrift in dieser Domradio-Push-Nachricht "Kirche als sinkendes Schiff" – und das war noch nicht mal mit einem Fragezeichen versehen, sondern eher als Aussage formuliert, ja, das ist so. Und das Schiff wird erst dann aufhören zu sinken, wenn Kirche aufhört, sich machtpolitisch zu gebären, wenn alte Männer ihre Macht abgeben, wenn Menschen sich ihre Religiosität zurückholen und wir das tun, was auch sein soll, nämlich Jesus in den Mittelpunkt stellen oder wenn es weniger fromm sein soll, Gott in den Mittelpunkt stellen. Oder das erste Gebot, verstehen Sie, vielleicht können wir uns darauf einigen.
Ich habe den Kampf noch lange nicht aufgegeben. Ich glaube, der Spaß fängt erst an. Ich glaube, Jesus wäre heute mehr als aktiv. Globalisierung: Wir sind als Kirchen das erste globale Unternehmen, was es gab. Da gab es Apple und Ebay noch lange nicht. Wir haben eine ungeheure Macht, die wir wahrnehmen könnten, wenn wir nicht so zersplittert wären, die einen sich immer noch homophob und nationalistisch geben, und zwar bei Kirchen aller Seiten. Wir haben noch nicht mal über die Orthodoxie gesprochen. Da wird es ja erst richtig spannend. Und dass Menschen sich da dann säkularisieren und gehen, ist meines Erachtens goldrichtig, aber es ist ein Drama, weil es ja ein Teil des Herzens ist, was man sich da mit herausreißt. Das macht man ja nicht mal so leichtfertig.
Menschen, die gehen wie bei Maria "2.0", die Frau, die da im April gerade ausgetreten war, wir erinnern uns, das macht doch kein Mensch leichten Herzens. Da ist doch ganz viel Leid dabei, bis man mal so einen Schritt geht. Also von daher: Leute wie Marx sind sehr honorig.
Als Kardinal Lehmann damals ins Amt eingeführt worden ist, war ich noch Chorknabe im Mainzer Dom. Wir Mainzer haben immer gesagt: Der Karl und die Fassenacht (Fastnacht, Anm. d. Red.). Und Biontech würde man heute sagen. Die drei, die haben gut zusammengepasst. Das war ein rheinischer Katholizismus, den ich immer geliebt habe, den ich immer wieder verteidigen werde, denn das war "leben und leben lassen".
Und ich habe mal ein Gespräch geführt mit dem Stadtdekan von Frankfurt, Johannes zu Eltz. Cooler Typ, hochintelligent. Aber schon beim ersten Kennenlernen, ich war mal Stadtpfarrer von Frankfurt gewesen, habe ich ihn gefragt: Was machen Sie eigentlich da? Sie sind ein so intelligenter Kerl. Sie könnten doch außerhalb der Institution so viel mehr bewegen. Trotzdem muss jeder seiner Berufung nachgehen und weitergehen. Es ist ein Drama, was sich da abspielt. So werden so viele gute Leute verbrannt. Für was? Wofür? Verstehen Sie, das Leben könnte so einfach sein.
Frage: Was bringt Ihnen, Pfarrer Dennebaum, bei all dem Politischen und Kirchlichen Hoffnung?
Dennebaum: Dass Menschen ihren Weg gehen. Und sie tun es auf ihre ganz eigene Art und Weise. Als ich heute die Kollekte angesagt habe, habe ich gesagt: Es geht für die Diakonie. Ich habe erzählt, was für diakonische Projekte es gibt. Und als ich dann am Schluss die Zahl gehört habe, die da rausgekommen ist bei der Kollekte, waren alle erstaunt. Wenn wir als Kirche relevant sind, wenn wir als Christinnen und Christen relevant sein wollen, dann hören die Menschen das auch. Und dann sind sie auch wieder sofort alle da. Aber die Menschen gehen heute ihren eigenen Weg.
Und ich kann Ihnen sagen, wenn wir es verstehen, wieder das zu tun, wozu wir berufen sind, nämlich die Augen, Ohren und Hände Jesu zu sein, der vor 2000 Jahren seinen Job gemacht hat – heute sind wir die Jüngerinnen und Jünger –, wenn wir das in den Mittelpunkt stellen und zwar ganz radikal, diese Jüngerinnen und Jünger sind Frauen und Männer und Transgender, alle gleichberechtigt, weg mit der Schere im Kopf und nur die Liebe, dann wird wieder ein Schuh draus und dann werden die Menschen wieder kommen. Aber es wird alles eingehen und das ist prophetisch. Das können wir alles schon im Alten Testament lesen. Dann geht das alles ein, was eingehen soll, und dann ist das auch gut so, weil es einfach nicht im Sinne Jesu war und ist.
Liebe alleine zählt, das ist das Motto von Jesus gewesen. Das gilt auch noch heute. Können Sie auf jeder Loveparade, auf jedem Christopher Street Day hören. Liebe gewinnt. Und darum glaube ich, dass die Menschen sich da nicht verändert haben. Diese Hoffnung trägt mich weiter und lässt mich jeden Tag meinen Job machen in der Politik, aber auch innerhalb von der Kirche.