Kirchweihe in Frankfurt-Goldstein

Warum in Frankfurt eine "Erlebniskirche" geweiht wurde

Veröffentlicht am 05.07.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Frankfurt ‐ Keine Bänke, keine Orgel – schon rein optisch ist die kürzlich geweihte Erlebniskirche in Frankfurt anders als andere Gotteshäuser. Im katholisch.de-Interview erzählt Pfarrer Werner Portugall, was auch im Inneren anders läuft als sonst – und was das für die Architektur bedeutet.

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Erst kürzlich wurde die neue Kirche St. Johannes in Frankfurt-Goldstein geweiht. Doch hinter dem neuen Gebäude steckt auch ein besonderes Konzept. Der Bau soll eine "Erlebniskirche" sein - und es soll vieles anders sein als in "herkömmlichen Kirchen". Im Interview erzählt Pfarrer Werner Portugall über neue Wege des Glaubens und ein neues Raumkonzept.

Frage: Herr Portugall, warum eine Erlebniskirche?

Portugall: 2015 wurde unsere Pfarrei St. Jakobus als sogenannte Pfarrei neuen Typs aus drei vormals selbstständigen Pfarreien gebildet. Schon auf dem Weg dorthin hatten wir in den drei Pfarreien überlegt, dass es nicht nur um eine Verwaltungsreform gehen kann, sondern dass wir eine konzeptionelle Idee brauchen. Die drei Kirchen sollten keine Wiederholung des Immergleichen sein. Wir haben diesen drei Kirchen also je nach Lage vor Ort Profile zugeordnet: Familienkirche, offene Kirche – und eben eine Erlebniskirche. Das passt für St. Johannes, weil sie direkt an einem Park und damit etwas abseits des Trubels liegt.

Die Idee: Wir schaffen einen Ort, in dem nach dem Konzept des aus der anglikanischen Kirche stammenden Netzwerks "fresh expressions of church" ("Frische Ausdrucksformen von Kirche"), experimentelle Formate ausprobiert werden können und Glauben mit allen Sinnen neu erfahrbar wird. Weiterhin soll man dort den Glauben auch vertiefen können, also etwa wie in einem Exerzitienhaus; Einkehrtage, Glaubenskurse sowie der Erwachsenenkatechumenat gehören dazu. Außerdem soll das Ehrenamt hier gezielt geschult werden. Ehrenamtliche werden in Zukunft immer wichtiger werden in einer Kirche, deren Mitglieder sich mehr als versorgende statt als versorgte Christen verstehen gelernt haben. Sie werden neben vielen anderen Aufgaben Hausliturgien leiten und viele Projekte selbst organisieren. Dafür sollen sie fit gemacht werden.

Zusätzlich stellte sich die Frage nach dem Gebäude. Die bisherige Kirche aus den 1960er Jahren war völlig überdimensioniert und sehr renovierungsbedürftig. Wir haben lange überlegt, was wir nun machen. Zuletzt haben wir entschieden, die Kirche abzureißen und eine neue zu bauen, die nur noch ein Drittel der Quadratmeterzahl hat, die wir aber auf unsere Bedürfnisse zuschneiden konnten. Der hintere Teil des Kirchenraums lässt sich zu einem großen Saal abtrennen und es gibt Platz für Büros und Versammlungsräume. Wir sind bisher ganz begeistert. Unserem Konzept konnten wir damit die angemessene architektonische Hülle geben.

Frage: Gibt es schon ein Programm für die Kirche?

Portugall: Es gibt Pilotprojekte, die wir schon durchführen. In Zusammenarbeit mit der Stadtkirche finden Kurse zum Erwachsenenkatechumenat sowie Firmkurse bereits bei uns statt. Auch Glaubenskurse und theologische Seminare hatten wir schon. Mit Blick auf experimentelle Glaubensformen haben wir auch in den alten Räumlichkeiten schon begonnen, dass etwa Gottesdienste von Nicht-Hauptamtlichen geleitet wurden, also Meditationsgottesdienste, eine Art Evensong mit Neuen Geistlichen Liedern. In der Bauzeit haben wir dann in Gärten des Viertels Veranstaltungen gemacht wie spirituelle Impulse oder einer Talkrunde mit dem Stadtdekan. Den Weihnachtsgottesdienst haben wir im Gerätehaus der Feuerwehr gefeiert. Das war schon beeindruckend, einfach mal rauszugehen.

Bild: ©Pascal Böhler

So sieht die neue Erlebniskirche St. Johannes in Frankfurt-Goldstein von oben aus.

Frage: Ist der Neubau jetzt also eher ein Veranstaltungszentrum, dessen größter Raum sich unter anderem auch als Kirche nutzen lässt?

Portugall: Ich würde es eher umgekehrt sagen. Es gibt einen deutlich definierten Kirchenraum, von dem sich ein Teil als Versammlungsraum nutzen lässt. Doch der Raum lässt sich ganz klar als Kirche erkennen, auch wenn er anders ist als andere: Es gibt keine Orgel mehr – wir haben unsere verkauft. Denn die müsste ja regelmäßig gewartet werden. Dafür haben wir lieber in Audioanschlüsse investiert, damit unsere ganz verschiedenen Musikformationen dort einfach auftreten können und die Musiktradition, die sich in den letzten 60 Jahren entwickelt hat, dort gelebt werden kann.

Frage: Es gibt ja auch keine Bänke mehr. Die Kirche ist also schon darauf ausgelegt, dass auch nicht-gottesdienstliche Formate dort ein Zuhause finden können.

Portugall: Das kann es auch geben. Gerade beim Kirchenraum würden wir dann aber darauf achten, dass die Veranstaltungen dann im Rahmen der "fresh expressions of church" stattfinden. Das können auch spirituelle Installationen oder Ausstellungen sein. Wir wollen nichts darin machen, nur weil es bunt wäre. Wir wollen uns nicht anbiedern. Das ist schon ein Sakralraum. Ich kann mir etwa Meditationsgottesdienste vorstellen, bei denen die Leute auf dem Fußboden sitzen – dazu haben wir eine Fußbodenheizung. Zu uns kommen Menschen, die von sich sagen: "Ich suche schon lange nach einem solchen Angebot. Bislang habe ich es eher im buddhistischen Zentrum gefunden. Schön, dass es das auch in unserer eigenen spirituellen Tradition gibt." Gleiches gilt für Taizégottesdienste.

Ebenso wichtig war es uns, die Kirche offenzuhalten: Es gibt viel Glas, sodass man auch von draußen hineingucken kann und die Hürde, hineinzugehen, geringer ist.

Während der Bauzeit haben unsere Ehrenamtlichen die Zeit genutzt und Exkursionen gemacht, um überall in Deutschland neue Formen von Pastoral und Liturgie anzuschauen, um Ideen zu sammeln und in den Austausch zu gehen. Ein Austauschort soll auch die neue Kirche werden, für alle, die Neues ausprobieren wollen.

„Wir entwickeln unsere Konzepte weiter, wie wir sie seinerzeit begonnen haben: dialogisch und synodal.“

—  Zitat: Werner Portugall

Frage: Wie schlägt sich diese neue Nutzungsform architektonisch nieder? Denn auf den ersten Blick sieht der Raum recht konventionell aus: Ein Rechteck mit einer Apsis am Ende. Was ist das Besondere?

Portugall: Der Bau nimmt klassisch-basilikale Formen auf. Was aber besonders ist: Es gibt ein Glasdach, durch das man in den Himmel gucken kann und wodurch im Raum ein ganz besonderes Lichtspiel entsteht. Unser Bischof zitierte in seiner Predigt zur Weihe dieser Kirche den Journalisten Simon Strauß: "Wo sich das Licht ausruhen kann, nicht einfallen oder etwas durchbrechen muss, sondern schlicht da ist und bleibt. Wäre das nicht eigentlich Kirche?" Die Architektur dieses Raumes ist emotional und schön. Sie schenkt Geborgenheit. Die Wände sind mit Ziegeln in warmen Tönen verkleidet. Damit wollten wir ganz bewusst einen Gegenakzent zu den doch sehr rationalen, nüchternen Kirchenräumen setzen, die in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind. Wir wollen offen sein und kein Bollwerk. Dies kommt im Viertel auch bei den Menschen an, die keine Gemeindemitglieder sind.

Frage: Welche mittelfristigen Ziele haben Sie?

Portugall: Zunächst wollen wir ein funktionierendes Programm aufbauen mit einer guten Balance zwischen experimentellen Formaten, Glaubensvertiefung und der Schulung von Multiplikatoren. Dazu möchte das Erlebniskirchenteam als nächstes die Menschen im Stadtteil befragen, was sie sich von ihrer Kirche erwarten. Wir entwickeln unsere Konzepte weiter, wie wir sie seinerzeit begonnen haben: dialogisch und synodal.

Von Christoph Paul Hartmann