Ein Leben für den Glauben in Zeiten der Kirchenaustritte

Exoten der Moderne: Was junge Ordensleute von der Kirche denken

Veröffentlicht am 19.07.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Warum heute noch Christsein – und dann auch noch im Orden? Angesichts hoher Austrittszahlen hat katholisch.de drei junge Ordensleute gefragt, wie sie auf ihr Glaubensleben und die Kirche im Umbruch blicken. Alle sprechen von notwendigen Aufbrüchen.

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Die neuen Austrittszahlen sind stets Hiobsbotschaften: Jedes Jahr treten so viele Menschen aus der katholischen Kirche aus, wie etwa Mönchengladbach oder Wiesbaden Einwohner haben. Was hält also die, die noch da sind – und sich für eine besondere Glaubensform entschieden haben, das Ordensleben? Katholisch.de hat junge Ordensleute aus dem deutschsprachigen Raum gefragt, warum sie in ihren Orden eingetreten sind und wie sie die Kirche im Jahr 2021 sehen. Der Benediktiner Josef Ellendorff wohnt in der Abtei Königsmünster, Julian Kendziora lebt im Kapuzinerkloster in Münster und Simon Hacker ist im Dominikanerkloster in Wien zu Hause.

Frage: Die Kirche ist in der Krise und immer mehr Menschen treten aus. Warum haben Sie sich entgegen diesem Trend für ein Leben im Orden entschieden?

Hacker: Für mich ist das kein Gegensatz. Ich gehe meinen Weg als Christ schon solange ich denken kann – und irgendwann nach ein paar Umwegen und viel Überlegen hat er mich eben zum Predigerorden geführt. Hier versuche ich, Christus nachzufolgen und Gott und den Menschen zu dienen. Letztlich bin ich meiner Sehnsucht und meiner Liebe gefolgt. Und das tue ich immer noch – trotz allem. Als Dominikaner ist mein Leben natürlich immer auch auf den anderen Menschen ausgerichtet. Wenn ich anderen etwas von der Liebe Gottes weitergeben kann, dann ist das super – egal, ob sie der Institution Kirche nun nah- oder fernstehen, ob sie gerade ein- oder austreten.

Kendziora: Ich bin damals in den Kapuzinerorden eingetreten, weil ich gespürt habe: Der Glaube trägt mich, der Glaube fordert mich heraus, Gott wird ganz lebendig in meinem Leben, in meinem Alltag. Weil ich das gespürt habe, durch die Begegnung mit anderen Menschen, die auch glauben, durch die Sakramente, konnte ich mutig diesen Weg gehen, der vielleicht heute etwas exklusiv oder exotisch ist.

Ellendorff: Ich bin zwar christlich aufgewachsen, aber in einem offenen und freien Kontext in einer ökumenisch geprägten Familie. Ich musste sonntags nicht in die Kirche gehen, hatte in meiner Familie aber Glaubenszeugen, die mir gezeigt haben: Der Glaube lohnt sich wirklich. Als Jugendlicher bin ich irgendwann regelmäßiger in die Kirche gegangen, erst mit meinen Eltern zusammen und später auch allein, wenn meine Eltern keine Zeit hatten. Das geschah alles zwanglos und mit weitem Herzen. Die Idee, ins Kloster einzutreten, zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Schon als Grundschulkind bin ich zu Karneval als Mönch gegangen und auch später haben mich Ordensleute fasziniert. Schließlich hatte ich vor etwa zehn Jahren in einem Kloster das Gefühl von einer unheimlichen und unglaublichen Gottesnähe, die gleichzeitig auch eine große Sehnsucht in mir ausgelöst hat. Da wusste ich: Diesen Gott muss ich suchen in meinem Leben.

Bild: ©Kapuzinerprovinz/Kendziora

Der Kapuziner Julian Kendziora

Frage: Erleben Sie Momente, die Sie in Ihrer Kirchenmitgliedschaft herausfordern?

Kendziora: Natürlich beschäftigen mich die Fragen, die auch beim Synodalen Weg behandelt werden. Das sind Fragen, die nicht aus der Luft gegriffen sind, sondern die ganz konkret zu unserer Kirche – vor allem in Deutschland – gehören. Ich fühle mich aber nicht so angegriffen, dass mein Glaube ins Wanken kommt – abgesehen von den "alltäglichen" Glaubenszweifeln.

Ellendorff: Ich habe Momente, in denen ich mich frage, was ich überhaupt noch in dieser Kirche will. Die Kirche hat so viel von ihrer Authentizität eingebüßt durch den Mist, der in ihr und in ihrem Namen geschehen ist und nach wie vor geschieht. Da denke ich mir oft: Wenn ich nicht so sehr durch mein Studium und meinen Klostereintritt in unsere Kirche verstrickt wäre, wäre ich vielleicht schon in eine andere Kirche übergetreten. Ich glaube, ich muss nicht per se römisch-katholisch sein, um Christ zu sein. Aber es gibt auch abgesehen vom Kloster Dinge, die mich halten. Unser Eucharistieverständnis ist da zum Beispiel ein wichtiger Faktor, das Kloster, dem ich angehöre, ein weiterer – wir sind zu Recht katholisch und das ist gut und das macht mich froh. Ganz wichtig ist der Faktor: Wer selbst wegrennt, kann die Kirche nicht von innen heraus verändern und verbessern. Denn es gibt viele Leute in der Kirche, die authentisch sind und die die Kirche noch nicht aufgegeben haben. Denen möchte ich mich anschließen.

Hacker: Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich schonmal daran gedacht hätte, die Kirche zu verlassen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das irgendwann irgendwie geschehen könnte. Aber es gab besonders in den letzten Jahren immer wieder Situationen, in denen ich an meiner Kirche gelitten und mich für sie geschämt habe. Wenn ich zum Beispiel einzelne oder Gruppen erlebe, die nicht wahrhaben wollen, dass durch die Kirche selbst, durch ihre Angehörigen und Funktionsträger_innen, aber auch durch einige ihre Lehren und Strukturen, teils großes Leid für Menschen entstanden ist, die sich vehement gegen jede Veränderung stemmen und damit auch nichts ändern wollen an den Umständen, die zu Gewalt und Vertuschung geführt haben – das macht mich wahnsinnig. Und wütend.

Bild: ©Privat

Der Benediktiner Josef Ellendorff

Frage: Finden Ihre Freunde und Bekannte außerhalb des Ordens diese Entscheidung befremdlich? Was sagen sie Ihnen?

Ellendorff: Für meine Familie war es schon einige Jahre lang klar, dass mich mein Lebensweg ins Kloster führen würde. Für sie war das gar nicht mehr so besonders. Ich hatte vor meinen Eltern so eine Art Outing, als ich ihnen gesagt habe, dass ich diesen Weg tatsächlich verfolgen möchte. Das war für beide zunächst ein ziemlicher Schock, aber mittlerweile habe ich ihre volle Unterstützung. Unter meinen Freunden sind viele aus meiner Studienzeit in Paderborn, wo ich Religionspädagogik studiert habe. Die meisten haben das wirklich verstanden. Witzigerweise habe ich im Studium in einer WG gewohnt, aus der später drei von vier Mitgliedern – ich inklusive – in unterschiedliche benediktinische Klöster eingetreten sind. Da haben wir uns gegenseitig unterstützt und verstanden.

Kendziora: Meine Freunde, Bekannten und meine Familienmitglieder finden das nicht befremdlich, dass ich im Kloster lebe. Am Anfang hatten sie ein komisches Bild aus dem Fernsehen oder aus Romanen. Mit der Zeit konnte ich die Vorurteile aber abbauen. Die Erfahrung, dass die Mitbrüder auch Mitmenschen sind, war eine ganz wichtige – und dass wir alle Suchende sind und versuchen, den richtigen Weg zu gehen. Darauf kommt es an. Das hat viele Vorurteile genommen. Jetzt sind sie gut mit mir auf dem Weg.

Hacker: Wer mich wirklich kennt, weiß, dass ich hier am richtigen Ort bin. Diejenigen, die mit Kirche nichts anfangen können, sehen trotzdem, dass ich in der Kirche zu Hause und im Orden richtig bin. Diejenigen, die größere Probleme mit der Kirche haben, geben mir doch immer wieder zu verstehen, dass sie mich persönlich damit nicht meinen. Einige sagen sogar ganz offen, dass sie froh sind, dass ich in der Kirche Aufgaben übernehme und an den Orten, wo ich bin, Dinge mitunter anders mache.

Frage: Ist Ihrer Meinung nach Glaube ohne die Organisation Kirche genauso lebbar wie mit ihr?

Hacker: Christlicher Glaube ohne die "Organisation" Kirche ist bestimmt möglich. Nicht aber ohne die Gemeinschaft mit anderen Christinnen und Christen. Das Christentum ist keine Religion für Individualisten, es braucht notwendig die Gemeinschaft mit anderen. Die Organisation, die Institution mit ihrem Schatz an Traditionen und Erfahrungen hilft an ganz vielen Stellen dazu – trotz aller Negativschlagzeilen tut sie das nach wie vor. Aber ich verstehe auch total, dass es Menschen hier nicht mehr aushalten und das Weite suchen.

Kendziora: Dass der Glaube möglich ist ohne eine Institution wie Kirche, dass sehen wir bei vielen Menschen. Aber ich glaube, die Kirche kann uns dort eine wichtige Hilfestellung sein, damit wir überhaupt Glauben können. Ich vergleiche das mit einem Treppengeländer, an dem wir uns festhalten können: Die Kirche gibt uns Impulse und sie hält uns auch manchmal ein bisschen zurück, wenn unsere Fantasie mit uns durchgeht. Es ist wichtig, sich an Themen abzuarbeiten und mit Themen zu arbeiten und nicht einfach unserer Fantasie freien Lauf lassen.

Ellendorff: Vielleicht ist Glaube ohne Kirche anders lebbar als mit Kirche, aber sicherlich nicht genauso. Ich bin trotz allen Frustrationen, die ich berechtigterweise mit der Kirche habe, überzeugt, dass Christsein im Miteinander geschieht. Im Austausch und in der Feier mit anderen Christen werde ich selbst als Christ geformt und forme andere ebenso. Christsein geschieht in der Beziehung. Martin Buber bringt es auf den Punkt: "Der Mensch wird am Du zum Ich."

Bild: ©Privat

Der Dominikaner Simon Hacker

Frage: Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern, damit wieder mehr Menschen in der Kirche bleiben? Gibt es etwas, das sich speziell für junge Menschen ändern muss?

Ellendorff: Leute trinken Cola, weil sie lecker ist und erfrischt. Wenn die Cola einer bestimmten Marke irgendwann immer schlechter schmeckt und immer weniger erfrischt, kaufen die Leute sie nicht mehr. Genauso ist es mit der Kirche. Jesus nutzt da ein Bild seiner Zeit, das Salz: Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, wenn wir es nicht mehr schaffen, die Menschen zu erreichen, sei es, weil wir nicht mehr glaubwürdig sind oder weil zu viel Mist passiert in der Kirche, oder weil wir es nicht mehr schaffen, die Botschaft Jesu in das Leben der Menschen unserer Zeit zu übersetzen, dann ist es nur logisch, dass die Kirche eingehen wird. Dann wird das Salz weggeworfen und zertreten. Ich kann es derzeit verstehen und nachvollziehen, wenn die Leute davonrennen. Aber es ist trotzdem schade um jeden Einzelnen, der sich von uns abwendet. Beide Seiten haben eine Menge zu verlieren und sollten alles daransetzen, dass die Leute nicht wegrennen müssen. Wir müssen dem Salz seinen Geschmack zurückgeben, das ist unsere Verantwortung – und da wird es wirklich langsam Zeit, dass wir diese Verantwortung wahrnehmen.

Was junge Leute im Speziellen angeht: Wer sie erreichen möchte, sollte im Kontakt und im Austausch mit ihnen stehen. Da kann man viel bewirken mit Worten, die überzeugen. Das heißt nicht in erster Linie diejenigen zu fragen, die schon in der Kirche sind, sondern das gilt besonders für kirchenferne Jugendliche, die man für die Kirche und unseren Glauben begeistern möchte. Zu fragen, wie man mit ihnen in Kontakt kommt, ist ganz wichtig. Ich nehme wahr, dass wir uns einfach erlauben, an den meisten Leuten vorbeizuleben, als ob nichts sei – und stattdessen den moralischen Zeigefinger schwingen und uns dabei ganz wohl fühlen. Das wird uns nicht helfen, das ist völlig unattraktiv. Da können wir nicht erwarten, dass sich Leute uns zuwenden. Wir müssen Leuten vom Mehrwert des Glaubens erzählen. Ich glaube, es gibt in der Gesellschaft nach wie vor einen Durst nach etwas. Wir müssen und sollten daran mitarbeiten, diesen Durst zu stillen.

Kendziora: Für mich sind zwei Themen ganz wichtig: Dass wir das leben, was wir verkündigen und vor allem glauben. Oft bekomme ich widergespiegelt: Ihr macht große Worte, aber glaubt ihr selbst daran? Setzt ihr das in eurem Alltag um? Außerdem müssen wir über unsere Kommunikation nachdenken: Welche Medien nutzen wir, um Menschen wieder zu erreichen? Was ist heute üblich, wo informieren sich Menschen heute und welche Formate brauchen sie, um mit Gott, aber auch mit Wissen über Glaube und Kirche in Kontakt zu kommen?

Hacker: Ziel sollte nicht sein, dass die Menschen in der Kirche bleiben, sondern dass die Kirche ihren Auftrag erfüllt: Mensch und Gott näher zu bringen. Dazu muss die Kirche vom hohen Ross runter, wenn sie selbstverliebt meint, alle und jede Wahrheit zu kennen, denn nach katholischer Theologie gilt: Nur Gott ist die Wahrheit und immer größer als unser Verstehen – Stückwerk, wie Paulus schreibt. Eine Kirche, die das verinnerlicht, ist auskunftsfähig aber nicht belehrend, sie sucht Gott statt Gott zu vereinnahmen, sie wird wieder dialogfähig, denn sie versteht, dass auch Andersdenkende und -glaubende etwas von Gott verstanden haben können. Und: Sie muss verstehen, dass Liebe und Wahrheit zusammengehören und einander bedingen. Wer menschenferne und lieblose Lehren zur alleingültigen Wahrheit erklärt, wird unglaubwürdig.

Von Meike Kohlhoff und Christoph Paul Hartmann