Himmelklar – Der katholische Podcast

Synoden-Sekretärin: Universale Kirche lebt von der Diversität

Veröffentlicht am 14.07.2021 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 
Die Untersekretärin der Bischofssynode, Nathalie Becquart
Bild: © privat

Köln ‐ Als Untersekretärin der Bischofssynode bereitet Nathalie Becquart auch den weltweiten synodalen Prozess vor: Im Interview spricht die Ordensfrau von der Schönheit, kirchliche Stimmen aus den verschiedensten Kontinenten und Kulturen zu hören.

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Sie ist eine der höchsten Frauen in der katholischen Hierarchie: Im Frühjahr wurde die französische Ordensschwester Nathalie Becquart zur Untersekretärin im Generalsekretariat für die Bischofssynode ernannt – und hat damit als erste Frau überhaupt Stimmrecht bei der nächsten Synode. Im Interview spricht sie darüber, was diese Stimme für sie bedeutet, warum es mehr Frauen in kirchlicher Verantwortung braucht, und wie die Vorbereitung der Synode läuft.

Frage: Sie sind die erste Frau, die zur Untersekretärin der Bischofssynode ernannt wurde, und damit auch als erste Frau ein Stimmrecht bei der Synode hat. Sie wurden aber nicht wegen Ihres Geschlechts berufen, sondern weil Sie Expertin für Synodalität sind. Sie haben das Thema studiert. Da scheinbar jeder Synodalität anders versteht: Wie definieren Sie das Konzept als Expertin?

Becquart: Ganz einfach ausgedrückt bedeutet Synodalität, einen gemeinsamen Weg zu gehen und eine pilgernde Kirche sein, in der alle Getauften zusammenarbeiten. In diesem Sinne ist Synodalität eine Grundidee der Kirch: eine Vision der Kirche als dynamische Gemeinschaft. Eine synodale Kirche ist also eine Kirche der Protagonisten, in der jeder eine Stimme hat. Eine inklusive Kirche, in der es um Beziehungen geht. Synodalität bedeutet, gemeinsam zu arbeiten, einander zuzuhören und damit auf den Heiligen Geist zu hören.

Frage: So sieht es in der Theorie aus. Sie bereiten in der Praxis gerade die Synode vor, die im Oktober beginnt. Im Endeffekt ist und bleibt es ja eine Bischofssynode. Wie schafft man es dann trotzdem, die Gläubigen mit eigener Stimme zu beteiligen?

Becquart: Die Bischofssynode beschreibt nicht nur den Zeitraum der Beratungen in Rom. Es ist ein weltweiter Prozess. Es geht um ein gemeinsames Zuhören für das Gute in der Welt. In diesem Sinne ist Synodalität auch immer Mission. Es ist kein Organisationswerkzeug für Kirchenstrukturen, sondern die Art und Weise, wie Kirche im 21. Jahrhundert existieren kann – mit unserem Kontext und unserer Geschichte, mit dem Ziel die Herausforderungen der Zeit anzugehen und das Evangelium in unserer heutigen Welt zu verkünden.

Frage: Nach der Amazonassynode 2019 gab es die Kritik, dass der Prozess mehr einer politischen Diskussion entspricht, als einer spirituellen Herangehensweise. Was antworten Sie den Leuten, die sagen: Die Synode handelt wie ein Parlament?

Becquart: Seit der Entstehung unserer Glaubensgemeinschaft sind Kirche und Synodalität eigentlich Synonyme. In der frühen Kirche wurden die Entscheidungen kollegial und synodal getroffen. Die Schwierigkeit ist, dass die Kirche sowohl menschliche als auch göttliche Realität ist. Die Kirche ist der Leib Christi, das Volk Gottes, der Tempel der Seele, wie das Zweite Vatikanische Konzil sagt. Das macht uns zu einer sehr speziellen und auch einmaligen Organisation. Ihr Ursprung ist das Geheimnis der Dreifaltigkeit. Natürlich hat die Kirche weltliche Strukturen, aber wir dürfen die Kirche nicht nur auf das reduzieren, was wir sehen, auf unsere menschliche Dimension. Wenn man das so betrachten würde, käme einem natürlich sofort das politische Modell des Parlaments in den Sinn. Um die Kirche aber in ihrer ganzen Dimension zu verstehen, brauchen wir nicht nur die menschliche Sicht, sondern auch die spirituelle Realität. Synodalität ist ein spiritueller Prozess. Wir müssen auf den Heiligen Geist hören und versuchen zu verstehen, wie die Kirche der heutigen Zeit aussehen soll. Es ist also wirklich kein Parlament wie in einer Demokratie, sondern die Vereinigung der menschlichen und spirituellen Dimensionen der Kirche.

Papst Franziskus, Kardinäle und Bischöfe stehen nach dem Ende der letzten Sitzung der Amazonas-Synode auf.
Bild: ©picture alliance / abaca

Bei der Amazonas-Synode von 2019 waren es ausschließlich Männer – mit Nathalie Becquart wird bei der nächsten Versammlung der Bischofssynode zum ersten Mal auch eine Frau stimmberechtigt sein.

Frage: Dieser Prozess soll auf der ganzen Welt stattfinden und dann für die Versammlung der Bischöfe im Jahr 2023 Meinungen einholen. Das klingt wie ein Vorteil und ein Nachteil gleichzeitig. In unterschiedlichen Kulturen sieht auch die Kirche unterschiedlich aus. Das heißt, dass Sie als verantwortliches Team in Rom mit allen Ländern und Kulturkreisen unterschiedlich umgehen müssen. Macht das die Arbeit schwerer?

Beqcuart: Das ist die Schönheit und die Realität unserer Weltkirche. Eine universale Kirche existiert in vielen Kontexten in den verschiedensten Ländern. Auch die Traditionen und das Glaubensleben sind oft unterschiedlich. In unserem Synodensekretariat wollen wir mit all diesen unterschiedlichen Menschen in Kontakt treten und den Kirchen vor Ort zuhören. Wir haben schon viele Treffen organisiert mit Bischofskonferenzen, mit Vereinigungen auf Kontinentalebene. Papst Franziskus hat gesagt, dass hinter der kommenden Synode ein Prozess stehen soll, der aus den Wurzeln der Kirche entsteht. Am wichtigsten ist es, auf die Diversität zu achten. Was unterschiedet sich im Glaubensleben der Christen? In der ersten Phase der Synode werden deshalb Meinungen auf der Ebene der Bistümer eingeholt. Das eigentliche Treffen der Bischofssynode im Oktober 2023 ist dann der letzte Schritt. Auf dem Weg dahin liegen viele Gespräche auf diözesaner, nationaler und kontinentaler Ebene. Wir hoffen, dass wir so ein möglichst differenziertes Bild der Glaubenslebens unserer Kirche auf der ganzen Welt bekommen.

Frage: Sie sind die erste Frau, wie als Untersekretärin für die Synode berufen wurden, und sind damit eine der höchsten Frauen in der Kirchenhierarchie. Sie sind nun ein halbes Jahr im Amt im Vatikan, in einer Zeit, wo viel über Klerikalismus und Männerbünde in der Kirche gesprochen wird. Was ist Ihre Erfahrung in dieser Zeit? Ist es schwer sich als Frau im Vatikan durchzusetzen?

Becquart: Eigentlich das Gegenteil. Ich war sehr bewegt vom herzlichen Empfang, der mir hier bereitet wurde. Nicht nur im Vatikan. Ich habe so viele Nachrichten der Ermutigung, der Gebete bekommen, aus der ganzen Welt. Bei weitem nicht nur von Frauen oder Ordensfrauen. Männer, Priester, Bischöfe, Kardinäle – viele Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche sind froh, dass der Papst eine Führungsposition an eine Frau gegeben hat.

Allerdings ist das inzwischen eine Realität der Kirche, nicht nur im Vatikan. In vielen Ländern sind Frauen involviert im Glaubensleben, als Teil der Kirche. Es war ja auch eine große Forderung der letzten beiden Synoden – der Jugendsynode und der Amazonassynode –, dass Frauen mehr Anerkennung, Raum und Führungsverantwortung übergeben wird. Wir sind als Mann und Frau geschaffen. Manchmal sage ich, das ist das größte Geschenk unseres Schöpfers. Mit Männern und Frauen gemeinsam an Entscheidungen zu arbeiten, ist ein großer Reichtum. Das ist meine Erfahrung auch im Vatikan. Hier gibt es im Moment 20 Prozent Frauen. In meiner Erfahrung können wir zusammenarbeiten als Brüder und Schwestern im Glauben. Mehr und mehr Menschen in unserer Kirche sehen auch die Dringlichkeit, mehr Frauen auf allen Ebenen der Kirche zu beteiligen.

„Es macht einen Unterschied, ob jemand Entscheidungen alleine trifft, oder auf die Gemeinschaft hört.“

—  Zitat: Nathalie Becquart

Frage: Was wird sich verändern, wenn mehr Frauen in der Kirche Verantwortung tragen?

Becquart: Das ist schwer zu sagen. Aber was wir inzwischen verstehen ist, dass die Arbeit mehr Früchte trägt, wenn möglichst unterschiedliche Menschen an Entscheidungen beteiligt sind: unterschiedliche Erfahrungen, unterschiedliche Blickwinkel. Das habe ich in den Jahren gelernt, als ich in der Jugendarbeit in Frankreich aktiv war. Deshalb sollten auch Männer und Frauen zusammenarbeiten, aber auch Priester, Laien und Ordensleute, junge und alte Menschen. Wenn man immer nur die gleichen Menschen zusammensetzt, gibt es nur einen einzigen Blick auf die Welt, Wenn man Frauen an Entscheidungen beteiligt, gibt es mehr Diversität. Wir sind anders. Es ist schwer zu beziffern, auf welche Art anders. Ich habe vorhin gesagt es geht ums Zuhören. Wir hören besser zu, wenn wir unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen sind. Die Kirche lernt das im Moment, speziell in dieser Zeit der Krise, in der uns das Problem des Klerikalismus erst so richtig bewusst geworden ist. Wir müssen jetzt einen Weg der Führung in Zusammenarbeit finden. Das ist die Realität der Kirche. Führung ist Gemeinschaft. Es ist wichtig, dass die Menschen, die Entscheidungen treffen, sich nicht separat sehen, sondern als Teil der Gemeinschaft. Das ist dann wieder Synodalität: Aufeinander hören, auch wenn am Ende ein Mensch stehen muss, der die Verantwortung trägt. Es macht einen Unterschied, ob jemand Entscheidungen alleine trifft, oder auf die Gemeinschaft hört.

Frage: Zum Ende noch eine ganz persönliche Frage. Mit der Berufung zur Untersekretärin für die Bischofssynode ist auch ein Stimmrecht bei der Synode verbunden. Damit sind Sie die erste Frau überhaupt, die dieses Stimmrecht bekommt. Wenn Sie an diesen Moment im Herbst 2023 denken, wenn Sie das erste Mal bei der Synode Ihre Hand heben werden. Was bedeutet dieser Moment für Sie?

Becquart: Im Moment denke ich noch gar nicht wirklich darüber nach. Ich weiß, dass die Frage meines Stimmrechtes für viele Menschen einen großen Symbolwert hat. Aber nach allem, was ich jetzt zum Thema Synodalität erklärt habe: Wenn ein Entscheidungsprozess wirklich synodal ist, mit dem Zuhören, der Gemeinschaft, dann ist die Abstimmung am Ende eher eine Formalität. Wenn man sich die letzten Synoden anguckt, wurden die Paragraphen der Abschlussdokumente immer mit 95% oder 99% Zustimmung angenommen. So war es auch beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Wenn der Prozess also wirklich synodal ist, spielt die Abstimmung gar keine so große Rolle.

Für mich ist nicht am wichtigsten, ob ich als Frau am Ende mit abstimme – obwohl ich den Symbolgehalt respektiere. Am wichtigsten ist für mich, dass Frauen von Anfang an am Prozess beteiligt werden, ihre Stimmen einbringen, eine aktive Rolle während des ganzen Prozesses spielen und nicht erst bei der Abstimmung.

Von Renardo Schlegelmilch