Teamgeist und Einzelkämpfer: So läuft die Arbeit in einer Großpfarrei
Es gibt immer weniger Priester, immer größere Pfarreien – und dadurch auch immer mehr Verantwortung für Nicht-Geweihte. Helena Gilbert ist Gemeindereferentin und lebt mit ihrer Familie im Bistum Mainz. Im Interview erzählt sie, wie die Arbeit mit Pfarrern funktioniert, welche neuen Wege sie beschreitet – und über den besonderen Wert von Kirche im Leben der Menschen.
Frage: Frau Gilbert, wie sieht Ihr Alltag aus, welche Aufgaben nehmen Sie wahr?
Gilbert: Ich bin Gemeindereferentin und arbeite mit einer halben Stelle in einer Pfarrgemeinde, zur anderen Hälfte bin ich bei der Berufungspastoral des Bistums Mainz beschäftigt. Dazu habe ich noch ein kleines Stundenkontingent für die Firmvorbereitung in einer anderen Gemeinde. Mein Schwerpunkt ist die Kinder-, Familien- und Jugendarbeit. Dazu gehören die Vorbereitungen für die Erstkommunion und die Firmung, Kindergottesdienste oder Familienfreizeiten.
Frage: Wie unterscheiden sich Ihre Aufgaben von denen eines Priesters?
Gilbert: Die Letztverantwortung liegt immer noch in der Hand des Pfarrers. Ich würde außerdem sagen, dass ich als Seelsorgerin und pastorale Mitarbeiterin unterwegs bin. Alles was mit Verwaltung zu tun hat, ist nicht mein Thema. Natürlich muss ich mein Budget für einzelne Aufgaben einhalten, die Letztverantwortung habe ich aber nicht – ich bin für die Pastoral da.
Frage: Kommt dann der Priester immer nur beim letzten Schritt dazu?
Gilbert: Nein, ich erlebe uns als pastorales Team. Auf dem Papier mag es so sein, dass der Pfarrer am Ende nur noch dazu kommt, um "sein Kreuzchen zu machen". Aber es ist auch vorher ein Miteinander. Wir haben regelmäßig Dienstgespräche, in denen ich meine Felder vorstelle und wir gemeinsam darüber beratschlagen. Außerdem mache ich meine Aufgaben nicht allein, sondern gemeinsam mit vielen Ehrenamtlichen. Bei allen Pfarrern, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe, hatte ich nie den Eindruck, dass ich noch einen letzten "Abnicker" für meine Pläne brauche, sondern ich habe immer großen Freiraum gespürt.
Frage: Hatten Sie da mit Ihren Pfarrern schlicht Glück?
Gilbert: Sicherlich, es gibt unterschiedliche Chefs. Ich hatte immer Glück, für meine Aufgaben freie Hand zu bekommen. Das habe ich aber auch eingefordert. Vielleicht gibt es auch Gemeindereferenten, die ganz froh sind, wenn ihnen jemand etwas vorgibt – das ist aber nicht meine Art. Ich wollte es nie anders, als dass ich mein eigenes Ding machen kann.
Frage: Würden Sie sich mehr Unabhängigkeit von Pfarrern wünschen?
Gilbert: Ich habe die Zusammenarbeit immer als Team empfunden, deshalb war mir diese große Unabhängigkeit nie so wichtig. Ich bin auch nicht gerne Einzelspieler. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass andere sagen: Ich bin ausgebildet, ich bin kompetent, ich leite eine Familie – dann will ich auch beruflich das Heft in der Hand haben.
Frage: Wie erleben Sie die Gemeindemitglieder?
Gilbert: Da erlebe ich eine große Wertschätzung für das, was ich tue. Trotzdem steht in der Wahrnehmung die Position des Pfarrers heraus, der ist der erste Ansprechpartner und wird auch gerne immer nochmal gefragt. Das hat sich auch mit Priestermangel und mehr Nicht-Geweihten in verantwortlichen Positionen nicht geändert.
Da darf sich sicher noch etwas verändern, weil es schließlich auch andere Verantwortungsträger gibt. Das hat aber auch mit der Person des Pfarrers vor Ort zu tun. Wenn der eine starke Persönlichkeit hat und sehr präsent ist, schaut man eher auf ihn. Generell müsste man mehr darauf hinweisen, dass das ganze Pastoralteam für die Pastoral zuständig ist – aber da brauchen wir in der katholischen Kirche noch Zeit für.
Frage: Wünschen Sie sich da mehr Kompetenzen? Wie Hochzeiten oder Taufen durchführen zu können.
Gilbert: Natürlich fehlt es, dass wir Familien in besonderen Lebenssituationen nicht bis zum letzten Punkt begleiten können. Aber etwa der Beerdigungsdienst, den nun auch Nicht-Geweihte verrichten dürfen, wird sehr gut angenommen – auch wenn ich als junge Frau vorne stehe. Das war eine Entwicklung in den letzten Jahren, die hätte es so vor zehn Jahren noch nicht gegeben. Stück für Stück bewegen wir uns nach vorne.
Frage: Wovon hängt es denn ab, wie die Leute Sie wahrnehmen?
Gilbert: Von meiner persönlichen Kompetenz, der Bindung an die Menschen und wie freundlich und aufgeschlossen ich ihnen entgegentrete. Es geht darum, in verschiedenen Lebenslagen erreichbar zu sein, dass die Leute bei mit klingeln oder mich anrufen können.
Frage: Pfarreien werden immer größer. Dadurch besteht die Gefahr, dass alles unpersönlicher wird. Was kann man da machen?
Gilbert: Ich weiß gar nicht, ob diese Angst vor dem Beziehungsverlust gerechtfertigt ist. Wir haben einfach mittlerweile andere Möglichkeiten, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Allein die digitale Welt: Ich habe durch das Internet mehr Kontakt auch mit älteren Gemeindemitgliedern gewinnen können. Gerade in der Corona-Zeit haben sich Menschen umorientiert und sich auch wieder Gemeindegruppen angeschlossen. Die Menschen sind flexibler, als wir manchmal meinen. Sie machen sich auf den Weg – dadurch werden Beziehungen neu gepflegt. Die größeren Einheiten können da auch eine Chance bieten, etwa wenn man Probleme mit dem Pfarrer vor Ort hat. Dem ist man dann nicht mehr so ausgesetzt und geht halt zu jemand anderem.
Frage: Sie sind auch viel auf Instagram unterwegs. Haben Sie den Eindruck, dass Sie da an ganz andere Menschen herankommen?
Gilbert: Instagram war vor allem in der Corona-Zeit mein Mittel, um mit den jungen Leuten ins Gespräch zu kommen. Ich habe da verschiedene Kontakte knüpfen können, das war aber sehr kirchenintern. Da würde ich mir nichts vormachen – ich erreiche keine völlig kirchenfernen Menschen. Das ist vielleicht auch gar nicht schlimm, weil so ja auch ein Schutzraum entsteht. Menschen schreiben mir und fragen mich zu bestimmten Themen – das ist ein großer Gewinn für mich.
Frage: Welche Rolle spielt es, dass Sie – auch im Gegensatz zum Pfarrer – selbst eine Familie haben? Sind Sie näher an den Leuten?
Gilbert: Ja klar, dazu trägt meine Familie ganz wesentlich bei. Ich kann die Lebenssituation der Menschen viel besser nachvollziehen, bin mehr Teil ihrer Welt. Meine Familie gibt mir Halt und Erdung – und zeigt mir manchmal, dass undogmatische Lösungen oft gar nicht schlecht sind. Das hat mich in meiner Arbeit sehr entspannt gemacht. Etwa im Religionsunterricht: Da hatte ich mit Anfang zwanzig ganz andere Ansprüche als jetzt, wo ich weiß, wie das Familienleben abläuft. Auch bei den Gruppenstunden in der Kommunionvorbereitung: Da geht es nicht darum, dass die Kinder unbedingt jedes Mal kommen – sondern ich freue mich, dass sie überhaupt kommen! Dass wir ihnen etwas wert sind, dass sie das in ihrem stressigen Familienalltag unterbekommen. Das ist nicht selbstverständlich.
Frage: Wird es schwieriger dadurch, dass es so viele andere Angebote gibt und die Welt vielfältiger geworden ist?
Gilbert: Ja, ich erlebe aber trotzdem ein Suchen und ein Andocken an uns als Kirche. Wir setzen einen anderen Schwerpunkt als etwa ein Fußballverein. Da gibt es Familien, die zu uns kommen und sagen: Wir suchen Gemeinschaft und Austausch im Glauben.
Vor Corona habe ich zum Beispiel mal eine Naturkirche angeboten, wo wir mit Kindern in den Wald gegangen sind. Das ist total gut angekommen. Ich hatte immer 50 Kinder da, alle freiwillig. Weil es mal ein anderer Ansatz war. Wir haben den Vorteil, dass wir einen Vertrauensvorschuss der Leute genießen – trotz Missbrauch und anderen Skandalen. Wir dürfen also auch bei Erstkommunion und Firmung nicht einfach das abspulen, was wir schon immer gemacht haben – das hilft keinem weiter. Wir haben es in der Firmvorbereitung einmal ganz anders gemacht als sonst: alles freiwillig, wir sind weggefahren, haben ein Trainingslager gemacht, Filme geguckt. Niemand musste alles von Anfang an mitmachen. Jeder konnte sich heraussuchen, was er gebraucht hat. Und das haben die Jugendlichen auch gemacht, vor allem nach den Lockerungen standen Gruppenangebote ganz hoch im Kurs. Und auch ohne Zwang haben sich die Jugendlichen dazu angemeldet – viel mehr, als wir gedacht hatten. Sowas ist in der Kirche auch möglich – und es ist viel möglich. Gerade das ist auch notwendig: Wir müssen als Kirche wissen, dass wir eine Randgruppe sind – und deshalb dürfen wir nicht nur in unseren elitären Kreisen bleiben. Damit wir gesellschaftlich eine Rolle spielen, müssen wir darüber hinaus wirken. Und wir sollten eine Rolle spielen, denn wir sollen für die Menschen da sein – und haben mit der Frohen Botschaft wirklich etwas zu sagen.