Theologe und Wirtschaftsexperte Hemel über Ziele von Umstrukturierungsprozessen

BKU-Vorsitzender: In kirchlicher Verwaltung fehlt oft Leistungskultur

Veröffentlicht am 20.07.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Einige Bistümer reformieren aktuell ihren Verwaltungsapparat. Dabei sollten nicht bloß knapper werdende finanzielle und personelle Ressourcen leitend sein, betont Ulrich Hemel im katholisch.de-Interview. Auch sonst sieht der Vorsitzende des Bunds Katholischer Unternehmer manchen Änderungsbedarf.

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Veränderte Strukturen, neue Organigramme: Manche Diözesen in Deutschland arbeiten gerade an einen Organisationsumbau ihrer Ordinariate. Auslöser sind vielerorts die sinkenden personellen wie finanziellen Mittel. Doch eine Verschlankung allein reiche noch lange nicht aus, um für die Zukunft gewappnet zu sein, ist Ulrich Hemel, Vorsitzender des Bunds Katholischer Unternehmer (BKU), überzeugt. Der Theologe, Unternehmensberater und Wirtschaftsexperte weist darauf hin, dass es auch in Sachen Leitung und Leistung einen Kulturwandel in der Kirche brauche. Und wenn Ressourcen knapper werden, benötige man eine klare Strategie – auch wenn das womöglich dazu führt, sich von Liebgewordenem trennen zu müssen. Ein Interview.

Frage: Herr Hemel, das Bistum Fulda hat kürzlich ein verändertes Organigramm für das Bischöfliche Generalvikariat installiert und spricht nun von einer "schlanken Struktur". Andere Bistümer haben Ähnliches bereits getan oder sind gerade dabei. Ist das der Weg, den man heute gehen muss?

Hemel: Jede Organisationsänderung hat immer eine Zeit der Unruhe und Neuorientierung als Nebeneffekt. Das ist nicht falsch, weil gerade große Organisationen wie die Kirche es sich häufig im immer schon Dagewesenen gemütlich machen. Deswegen sind Organisationsänderungen manchmal sinnvoll, um die Frage aufzuwerfen, ob man insgesamt gut arbeitet oder was der beste Weg wäre. Es ist es gut, wenn man da in Bewegung bleibt.

Frage: Welche Ziele sehen Sie hinter einer solchen Organisationsänderung?

Hemel: Das Ziel einer Umorganisation kann zum Beispiel die Stärkung von Verantwortlichkeit sein: Entscheidungen sollen am Ort der Verantwortlichkeit getroffen werden, ohne dass sie mehrfach hin- und hergehen. Ein weiteres Ziel kann sein, eine flachere Hierarchie zu installieren, wenn man beispielsweise gewisse Entscheidungsebenen herausnimmt, um die Organisation insgesamt agiler zu machen. Eine Organisation – auch die Kirche – muss sich immer wieder auf den Prüfstand stellen: ob der Aufbau passt oder die Abläufe zu den Anforderungen passen, die in der jeweiligen Zeit gestellt werden.

Frage: Mit dem, was Sie gerade ausgeführt haben, im Hinterkopf: Wie bewerten Sie allgemein den aktuellen Zustand der kirchlichen Verwaltung in den deutschen Bistümern?

Hemel: Ich glaube, dass es in den kirchlichen Verwaltungen immer noch ein sehr hohes Maß an gutem Willen und ein sehr hohes Maß an Detailkenntnis gibt. Schwierig ist es aber beim Ineinandergreifen der verschiedenen Bereiche. Das hängt damit zusammen, dass es in den Diözesen ein eher wenig ausgeprägtes Führungsverständnis gibt, sodass die Mitarbeiter, auch die Abteilungsleiter, in vielen Fällen sehr autonom agieren. Anders formuliert: Es gibt ein System paralleler Regionalfürsten.

Bild: ©BKU (Archivbild)

"Ich glaube, dass es in den kirchlichen Verwaltungen immer noch ein sehr hohes Maß an gutem Willen und ein sehr hohes Maß an Detailkenntnis gibt", sagt Ulrich Hemel. Beim Ineinandergreifen der verschiedenen Bereiche werde es allerdings meist schwierig.

Frage: Wie meinen Sie das?

Hemel: Ein Abteilungs- oder Hauptabteilungsleiter hat ein ungewöhnlich hohes Maß an Freiheit – und empfindet gleichzeitig ein ungewöhnlich geringes Maß an Führung. Wenn etwa Abteilungsleiter A irgendetwas an der Arbeit von Abteilungsleiter B stört, kann er es ihm zwar sagen; wenn dieser es aber nicht korrigiert, ist Abteilungsleiter A mit seiner Weisheit am Ende. Das führt dann natürlich auch zu einer gewissen Frustration – und wenn es schlecht läuft, kann es sogar zu einem System kollektiven Führungsversagens kommen.

Frage: Inwiefern?

Hemel: Das hängt damit zusammen, dass die Spitze der kirchlichen Verwaltungseinheiten in vielen Fällen – das muss man leider so sagen – personell und sachlich überfordert ist. Das darf man nicht verkennen. Bischöfe wären eigentlich die geborenen Führungskräfte, aber sie beschränken sich in aller Regel auf eine pastorale Aufgabe und sehen das Verwaltungshandeln sogar als kritisch oder als etwas, was sie von ihrem eigentlichen Tun ablenkt. Aber mit dem Verwaltungshandeln ist auch ein Stück Glaubwürdigkeit der Kirche verbunden. Ähnliches gilt auch für Generalvikare oder die Ordinariatsleiter, die es neuerdings in einigen Diözesen gibt: Das sind Menschen, auf die alles zuläuft, die aber dann eine gute Kultur des Delegierens und Entscheidens auf der richtigen Ebene nicht immer realisieren konnten.

Frage: In welchen Bereichen sehen Sie also ganz konkret Änderungs- oder Reformbedarf?

Hemel: Vor allem das Thema Führungsverständnis oder -handeln ist ein Thema, wo es noch viel Luft nach oben gibt. Auch in Sachen Leistungskultur sehe ich noch einige Defizite. Nehmen wir an, wir beide wären Abteilungsleiter und Teil einer diözesanen Leiterrunde. Sie machen Ihre Arbeit hervorragend, während ich ein geborener Faulenzer bin: Sie haben gar keine Chance gegen mich. Wenn Sie sich nämlich wehren, fällt das auf Sie zurück. Die Haltung vieler Bischöfe und Generalvikare ist nämlich die, zu allen freundlich zu sein. Davon profitiere ich in dem oben genannten Beispiel als Minderleister. Der Wert einer guten Leistungskultur mit einer Förderung echter Leistungsfreude ist noch nicht überall verstanden worden. Dazu gehören eben auch das kritische Feedback und das punktuelle Eingreifen dort, wo Angelegenheiten nicht kompetent und professionell behandelt werden. Grundsätzlich muss die Kirche in ihrem Verwaltungshandeln noch stärker als bisher auf Professionalisierung und Qualifikation achten. Dazu gehören gewisse Mindeststandards, beispielsweise eine Verwaltungsgerichtsbarkeit und eine guten Compliance. Die Kirche muss sich, wie ich das nenne, einer nachholenden Modernisierung unterziehen.

„Der Wert einer guten Leistungskultur mit einer Förderung echter Leistungsfreude ist noch nicht überall verstanden worden. Dazu gehören eben auch das kritische Feedback und das punktuelle Eingreifen dort, wo Angelegenheiten nicht kompetent und professionell behandelt werden.“

—  Zitat: Ulrich Hemel

Frage: Kirchliche Strukturen sind sehr komplex. Es gibt neben den Generalvikariaten die Pfarreien, Schulen, Krankenhäuser und vieles mehr. Lässt sich in solchen Strukturen überhaupt vernünftig managen?

Hemel: Natürlich. Die Kirche hat die Komplexität doch nicht erfunden. Gut in komplexen Strukturen zu managen geht genau dann, wenn man sich auf eine gemeinsame Strategie verständigt, wenn man sich über gemeinsame Werte und Ziele verständigt und wenn man Verfahren beschreibt, an die man sich auch hält.

Frage: Sitzen in Ihren Augen genug Fachleute an den entsprechenden Stellen?

Hemel: Das ist natürlich ein weiteres großes Thema. In vielen kirchlichen Verwaltungen wird noch das Beförderungsprinzip aus den 1970er- und 1980er-Jahren praktiziert, wonach der beste Fachmann oder die beste Fachfrau befördert wird, obwohl er oder sie für Führungsaufgaben nur bedingt geeignet ist. Es bräuchte da einen Prozess, der in den Blick nimmt, wer welche Verantwortlichkeiten hat, wo die Kompetenzen enden und wer welche Sanktionsmöglichkeiten hat. Gerade über Sanktionsmöglichkeiten zu sprechen, ist allerdings unbeliebt. Aber auch in der Kirche und im kirchlichen Verwaltungshandeln braucht es eine aufrichtige und authentische Feedback-Kultur für kritische Entwicklungen. Es werden zwar punktuell Konsequenzen gezogen. Oft sind das aber nur Symbolhandlungen, die ein System, das in Schieflage ist, nicht ändern werden.

Frage: Personell wie finanziell werden die Ressourcen immer geringer, daher muss man manche Bereiche sicher etwas zurückfahren. Dennoch: Welche Bereiche sollte man eher nicht reduzieren?

Hemel: Als Diözese muss man sich Gedanken machen über die Strategie, die man verfolgt. So wie das Ausschütten mit der Gießkanne ist auch das Kürzen mit dem Rasenmäher das Ungerechteste von allem, weil es die Struktur der Vergangenheit betoniert, nur noch kleiner macht und irgendwann zum Kollabieren bringt. Es gibt die Methode des "Zero Budgeting": Man stellt sich die Frage, was passieren würde, wenn man zum Beispiel nur noch die Hälfte des Budgets zur Verfügung stünde. Worauf würde man komplett verzichten? Was würde man trotzdem noch ausbauen, weil es in die Zukunft führt? Auf Kirche bezogen: Wollen wir beispielsweise stärker in die Großstadtseelsorge investieren? Wollen wir stärker unser Profil zeigen bei den wirklichen Notfällen in unserer Gesellschaft, beispielsweise Obdachlosigkeit? Ist es unsere Aufgabe, bis in alle Ewigkeit Kindergärten zu betreiben? Ich weiß, das sind harte Fragen. Aber man muss sie stellen. Es braucht eine klare Strategie, worin man investiert. Daran führt kein Weg vorbei.

Bild: ©Sven Vietense/Fotolia.com (Symbolbild)

Wegen sinkender Finanzmittel müsse sich die Kirche genau überlegen, in welche Bereiche sie noch Geld stecken will: "Es braucht eine klare Strategie, worin man investiert. Daran führt kein Weg vorbei", betont Ulrich Hemel.

Frage: Nochmal zum Thema Personal: Wie kann die Kirche wieder ein attraktiver Arbeitgeber werden?

Hemel: Erstmal ist Kirche ein attraktiver Arbeitgeber – und zwar aus zwei Gründen: Die Sinnfrage, die sich in allen Unternehmen immer dringender stellt, ist in der Kirche grundsätzlich eigentlich gut zu beantworten. Wenn man in der Kirche arbeitet, arbeiten man in einem Umfeld, in dem es in der Regel nicht schwer fällt zu sagen: meine Arbeit ist sinnvoll. Die Kirche hat da ein Pfund, mit dem sie noch gar nicht richtig gewuchert hat. Zweiter Grund: In der Regel sind kirchliche Arbeitsplätze bisher eher sicher gewesen – auch wenn sich das mit Blick auf schrumpfende Kirchensteuereinnahmen in den kommenden Jahren etwas relativieren wird.

Frage: Braucht es eventuell auch eine bessere Personalarbeit?

Hemel: Das hat die Kirche tatsächlich lange vernachlässigt. Sie war sich immer gewiss, auf der "guten Seite" zu stehen. Das hat sich natürlich mit den diversen Krisen und Skandalen der letzten Zeit relativiert. Dennoch würde ich sagen: Die Kirche tut so viel Gutes, aber sie muss das Ganze auch nach außen transportieren und darüber reden. Da bräuchte es eine Art Marketing- und Kommunikationskonzept.

Frage: Die Kirche wird sich in den kommenden Jahren verstärkt mit solchen Fragen auseinandersetzen müssen. Läuft sie bei all diesen Aufgaben Gefahr, ihren eigentlichen Auftrag – die Verkündung der Frohen Botschaft – aus den Augen zu verlieren?

Hemel: Ich glaube nicht, dass das ein Gegensatz ist. Ich bin überzeugt, dass eine so große Krise, wie sie die Kirche jetzt gerade erlebt, eine fantastische Chance ist, sich auf den eigentlichen Kern zurückzubesinnen: eine Botschaft von einer unglaublichen Menschenfreundlichkeit und Strahlkraft. Das rüberzubringen, ist die Aufgabe der Kirche. Ich sehe sehr wohl, dass es nach wie vor viele Menschen guten Willens gibt, die bereit sind, sich für diese Kirche einzusetzen. Es wenden sich die Menschen ja nicht nur ab, sondern sie wenden sich auch zu. Und sie tun das, wenn sie gute Erfahrungen machen. Die Kirche hat den Menschen immer noch viel zu sagen – vor allem wenn sie lernt, den Menschen erst einmal zuzuhören.

Von Matthias Altmann