Kirchenaustritte in Köln: Erste Zahlen für 2021 verheißen nichts Gutes
Es ist ein Kommen und Gehen vor Raum 37 des Amtsgerichts Köln. "Kirchenaustritte" steht auf dem Wegweiser zu dem Zimmer, das vor Kurzem noch für Zwangsversteigerungen genutzt wurde. Im Zehn-Minuten-Takt können Kölnerinnen und Kölner hier und in einem weiterem Raum ihren Austritt erklären.
Wegen der hohen Nachfrage hat das Gericht das monatliche Kontingent seit Jahresbeginn von ursprünglich rund 600 Terminen immer wieder erhöht. Derzeit stehen etwa 1.800 Termine pro Monat zur Verfügung, die wegen der Corona-Pandemie vorab online gebucht werden müssen. Mitarbeitende aus anderen Bereichen helfen bei den Austritten mit, wie Gerichtssprecher Maurits Steinebach berichtet. Um die Nachfrage zu bewältigen, habe das Gericht Zimmer 37 als zusätzlichen Raum bereitgestellt.
Mit dem Online-System ist Steinebach zufrieden. Vor der Pandemie hätten sich teilweise Schlangen vor dem Zimmer für die Austritte gebildet, vor allem zum Jahresende hin. Nun geben sich die Noch-Kirchenmitglieder ohne Wartezeit die Klinke in die Hand.
Im ersten Quartal schnellten Kirchenaustritte in die Höhe
Trotz des geschäftigen Treibens im Amtsgericht: Im Corona-Jahr 2020 sind auch in der Stadt Köln die Austrittszahlen nach unten gegangen. Verließen 2019 rund 10.000 Kölnerinnen und Kölner eine der beiden großen christlichen Kirchen, waren es 2020 nur noch knapp 7.000. Die Austrittszahlen sanken somit um rund 30 Prozent - wobei das Gericht nicht zwischen Konfessionen unterscheidet.
Im laufenden Jahr zeichnet sich allerdings ein anderer Trend ab: Im ersten Quartal 2021 schnellten die Kirchenaustritte in die Höhe und überstiegen sogar den Spitzenwert von 2019. So verließen von Januar bis März 3.346 Menschen die Kirchen. Das entspricht einer Steigerung um knapp 30 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal 2019 mit 2.585 Austritten. Auf die Auswertung der Zahlen für das zweite Quartal wartet Sprecher Steinebach noch.
Ob die Vertrauenskrise im Erzbistum Köln den Wert hat klettern lassen, ist schwer zu sagen. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki erntete viel Kritik, als er vergangenen Oktober entschied, ein fertig gestelltes Missbrauchsgutachten für seine Erzdiözese doch nicht wie vorgesehen zu veröffentlichen. Er hält es für nicht rechtssicher und mangelhaft. Ein zweites Gutachten, das diesen März vorgelegt wurde, weist acht hohen Amtsträgern mindestens 75 Pflichtverletzungen zwischen 1975 und 2018 nach. Woelki selbst wurde durch den Report entlastet - anders als drei weitere Bischöfe, die seit März ihre Ämter ruhen lassen.
Beruhigt hat sich die Lage im Erzbistum dennoch nicht. Immer wieder fordern Kritiker den Rücktritt Woelkis. Im Juni schickte Papst Franziskus zwei Gesandte nach Köln, um die Vorgänge vor Ort zu prüfen. Eine Entscheidung des Papstes über den weiteren Werdegang Woelkis und der anderen Bischöfen steht noch aus.
Im Kölner Gericht läuft eine junge Frau zielstrebig auf Raum 37 zu. Die Quittung über 30 Euro Gebühr, die sie eben bar an der Kasse für den Kirchenaustritt zahlen musste, flattert in ihrer Hand. Gleich wird sie das Zimmer betreten und die evangelische Kirche verlassen. Die Kirchensteuer sei der Grund, sagt sie. Nach einer kürzlichen Gehaltserhöhung habe sie bemerkt, wie viel Abgabe sie bezahle.
"Ich freue mich, dass ich heute austreten darf"
Nach ihr ist ein Katholik Mitte 30 an der Reihe. Über die Presse habe er die Debatte um Missbrauch in der Kirche und den Umgang mit Homosexuellen verfolgt, erzählt er. "Da verhält sich die Kirche schon ein bisschen rückständig." Vermutlich wäre er aber ohnehin früher oder später ausgetreten. "Ich hab da nie wirklich dran geglaubt."
Eine weitere Frau, ebenfalls Mitte 30, erzählt, dass sie früher Messdienerin war. An der katholischen Kirche störe sie vor allem das Frauenbild. Zudem sieht sie die Rolle Woelkis bei der Missbrauchsaufarbeitung kritisch. Von ihm wünsche sie sich "mehr Transparenz, eine klare Entschuldigung und vielleicht auch einen Rücktritt". Auf ihren Termin habe sie ein halbes Jahr gewartet. "Ich freue mich, dass ich heute austreten darf", sagt sie und lächelt.
Aufgebracht wirkt hingegen ein Mann um die 50. Auch er habe die Debatte im Erzbistum Köln verfolgt. "Es müsste einmal aufgeräumt werden", sagt er. Hohe Kirchenvertreter müssten "gerichtlich zur Verantwortung gezogen" werden. Ausgetreten sei er soeben aus der evangelischen Kirche. "Egal welche Glaubensrichtung, ich kann es einfach nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren."