Warum Predigten manchmal langweilig sind – es aber nicht sein müssen
Was ist nur mit der Predigtsprache los? Es hagelt Kritik, sie wäre zu unkonkret, zu formelhaft, zu irrelevant. Die Berliner Professorin für Praktische Theologie, Ruth Conrad, beschäftigt sich schon seit Jahren mit der Theorie und Praxis religiöser Rede. Im Interview spricht sie über die Entstehung und die Vorzüge von Standardisierung in der Sprache – und wirft bei den Problemen in der Verkündigung einen Blick auf die Inhalte.
Frage: Frau Conrad, das Christentum ist eine Buchreligion, es geht also viel um das Wort. Welche Bedeutung hat Sprache in der Verkündigung?
Conrad: Ich glaube nicht, dass das Christentum eine Buchreligion ist; ich glaube, dass das Christentum eine Erlöserreligion ist. Im Zentrum des Christentums steht die Person Jesus Christus, was er gesprochen und was er getan hat. Die ersten Christinnen und Christen haben ihre Erfahrungen mit dem Erlöser verschriftlicht, haben also gesprochenes, mündliches Wort verschriftlicht, um so diese Erfahrungen mit dem Erlöser weiterzugeben – hier setzt Sprache an. Sprache war – neben der Tat – ein Medium des Erlösers. Für die Weitergabe, die Tradierung des Christentums war neben der diakonischen Tat das Wort zentral.
Frage: Diese Tradierung ist vor allem über so einen großen Zeitraum sehr schwer. Da hat sich etwa in Predigten oder Verkündigungssendungen ein gewisses Vokabular, ein Slang herausgebildet: metaphernartige Worte, Koppelwörter. Wie ist es dazu gekommen?
Conrad: Zur Tradierung gehört Standardisierung dazu. Wenn man einen Sachverhalt oder den Gegenstand des Glaubens, die Religion weitergibt, kommt es zu sprachlichen Standardisierungen, weil sonst die Weitergabe und die Tradierfähigkeit nicht funktioniert. Man kann sich das am Beispiel von Beerdigungen klarmachen: Es gibt ein bestimmtes sprachliches Repertoire, das für Extremsituationen zur Verfügung steht. Das wird entwickelt und gepflegt und tradiert, um solche Situationen bewältigbar zu machen. Es ist einerseits der Sache inhärent, dass Tradierbarkeit auf Standardisierung setzt. Es ist zweitens auch der Sache inhaltlich geschuldet, weil es Religionen mit den großen Fragen des Lebens zu tun haben. Niemand fängt bei Null an, sondern es muss ein bestimmtes Vokabular zur Verfügung gestellt werden, damit alle über das gleiche reden. Es ist Aufgabe von Institutionen und ihren Experten, diese Formulierungen und Standardisierungen zu entwickeln und es wäre auch ihre Aufgabe, sie lebendig zu halten.
Frage: Das mit dem Lebendig halten ist so eine Sache: Das Sprechen vom Glauben hat sich mit den Jahrhunderten verändert – etwa verglichen mit der Generation Luther und Tetzel. Da lief das ja noch ganz anders, drastischer. Was hat sich verändert?
Conrad: Die Standardisierung ist nur die eine Seite der Tradierung, Religion und religiöse Sprache müssen auch lebendig bleiben. Das bleiben sie, wenn sie im Kontakt mit ihrer Zeit sind. Religion ist auch immer Ausdruck dessen, was Menschen bewegt, umtreibt. Daraus hat sich beispielsweise die Wucht der Luthersprache entwickelt: Er hat einen religiösen Sachverhalt, der in seiner Zeit virulent war, in der Sprache und der Erlebenswelt seiner Zeit artikuliert. Aus Standardisierungen und Formularen werden Stereotype, wenn dieser Kontakt mit der eigenen Zeit und mit den Menschen verloren geht und wenn Tradierbarkeit zum einzigen Gut wird, wenn die Tradition nicht mehr im Dienst steht, die gegenwärtige Situation zu deuten und sprachlich voran zu bringen. Jede Generation muss neu überlegen, in welchen Lebenswelten sie die Gegenstände der Religion und Gott thematisiert.
Frage: Gab es auch mal von oben vorgeschriebene Reformen dieses Vokabulars?
Conrad: Im Protestantismus gab es am Ende des 19. Jahrhunderts, als die Soziale Frage sehr virulent war, in Preußen mal einen Erlass, sich zu diesen Fragen äußern zu können und zu sollen. Kurze Zeit darauf wurde dieser Erlass zurückgenommen und es war tatsächlich nicht mehr gewünscht, die Soziale Frage in der Predigt vorstellig werden zu lassen. Ähnliches haben wir in der altprotestantischen Orthodoxie, da gab es mal in der Predigtpraxis starken Drang, sich konfessionspolemisch zu äußern und abzugrenzen – dann gab es einen Erlass, bestimmte Kanzelpolemiken zu unterlassen. Das waren also eher "Exzessbeschränkungen" als konkrete Vokabularvorgaben.
Frage: Vor allem in den letzten Jahren gibt es mehr und mehr Kritik an der Kirchen- und Verkündigungssprache: Zu weichgespült, zu schematisch, zu weit von der Ausdruckssprache der "normalen Menschen" entfernt. Würden Sie diese Analyse teilen?
Conrad: Eine Vorbemerkung: Es ist ja die Frage, wie solche Analysen zustande kommen. Oft sind es unmittelbare Predigteindrücke, die medial kommuniziert werden und sich einem bestimmten Milieu verdanken – da muss man sich immer auch zu sich selbst verhalten, wie diese Eindrücke zustande kommen. Oft sind es die Predigteindrücke aus kirchenleitenden Predigten, also Texten, die auch publiziert werden und von leitenden Akteuren gehalten werden. Die gelten als Musterpredigten – und dem ist ja nicht so. Die Predigtpraxis an sich ist sehr plural und lässt sich nicht vereinheitlichen. Wie es kritikwürdige Zustände gibt, gibt es auch gute Prediger und gute Predigten vor Ort, die dort wirkmächtig sind.
Manchen Predigten kann man nicht absprechen, dass es eine sprachliche Erstarrung gibt, die oft mit wenig Erfahrung hinterlegt ist. Es passiert oft dort, wo auf die dogmatischen Glaubensbestände rekurriert wird, wenn erklärt werden soll, was Erlösung im Christentum bedeutet, was Auferstehung bedeutet. Da gibt es so Sprachspiele oder Standardisierungen, die haben sich sehr eingeschliffen, aber man weiß nicht mehr wirklich, was da an Erfahrung hinterlegt ist.
Zum Beispiel: "Gott wurde Mensch in Jesus Christus, klein wie ein Kind." Das hört man an Weihnachten oft, aber was sich so richtig dahinter verbirgt, welche Ambivalenz und Irritation in der Vorstellung steckt, dass ein Gott Mensch wird, die ist damit weggeschliffen. Ebenfalls oft treten Stereotype auf, wenn in bestimmten Lebenssituationen dogmatisch argumentiert wird. Da ist weniger die Sprache stereotyp als eher, dass völlige Erwartungssicherheit besteht, was der Mensch auf der Kanzel als Lebensmodell und als Handlungsoption vor Augen stellt.
„Ich nehme manchmal wahr, dass es im Christentum in den deutschen Kirchen eine gewisse Unsicherheit darüber gibt, was nun eigentlich der Inhalt des Glaubens und die Gegenstände der Religion unter den Bedingungen des gegenwärtigen Lebens sind.“
Frage: Es gibt also inhaltlich wie stilistisch in manchen Gebieten eine gewisse Sprachlosigkeit festzustellen?
Conrad: Ich nehme manchmal wahr, dass es im Christentum in den deutschen Kirchen eine gewisse Unsicherheit darüber gibt, was nun eigentlich der Inhalt des Glaubens und die Gegenstände der Religion unter den Bedingungen des gegenwärtigen Lebens sind. Was heißt denn heute Erlösung? Man sagt das gern in den Worten des 16. Jahrhunderts, aber die Ausgangsvoraussetzungen sind nicht mehr die gleichen. Wir haben nicht mehr die Probleme des 16. Jahrhunderts – aber auch nicht mehr die des 19. So entsteht eine Sperrigkeit. Bei den großen Themen gibt es eine Irritation, was sie eigentlich bedeuten.
Frage: Es ist also kein stilistischer, sondern ein inhaltlicher Grund?
Conrad: Ich glaube nicht, dass man Stilistik und Inhalt hier voneinander trennen sollte. Beides gehört zusammen: Man spricht über die Dinge, die man glaubt genauso wie man sie glaubt. Das wird in Predigten bemerkbar, die Positivbeispiele ihrer Gattung sind – wo wirklich eine tiefe Beschäftigung herauszuhören ist: Da hat jemand das Thema durchdacht, hat eine Botschaft und weicht den Ambivalenzen nicht aus – da wird ein Bibeltext mit den gegenwärtigen Erfahrungen, die die Menschen machen und die auch die predigende Person macht, in einen Zusammenhang gebracht. Das bricht die Stilistik auf. Die Flucht in die Stereotype zeigt gleichzeitig inhaltliche wie stilistische Probleme.
Frage: Nun zielt die Analyse der weniger gelungenen Predigten oft auf die publizierten Texte der Kirchenleitenden. Gibt es da also eine große Unsicherheit?
Conrad: Predigten von Kirchenleitungen unterliegen anderen Rezeptionsbedingungen: Sie sind auf mediale Rezeption angewiesen, das löst gewisse Erwartungen an Sprache und Inhalt aus. Außerdem wird die Hörerschaft undeutlicher – man kann viel prägnanter sprechen, wenn man das Publikum kennt. Das ist bei solchen Predigten in der Regel nicht der Fall. Dadurch entsteht der Eindruck, dass nicht ganz klar ist, worum es geht.
Vor Ort ist eine Predigt ja immer durch andere Dinge flankiert: Da kennt man den Pfarrer und sieht ihn beim Pfarrfest am Grillstand. Man weiß dann, wie er auf der Kanzel, aber auch, wie er normal redet. Da vergibt man auch mal den ein oder anderen Lapsus in der Predigt. Sie ist nämlich in ein Netzwerk der Kommunikation eingebettet. Denn man muss auch die Bedingungen bedenken, unter denen Predigten entstehen: Oft am Samstag, neben vielen weiteren beruflichen Aufgaben, ohne professionellen Redenschreiber – und das jede Woche! Das ist einfach auch eine sehr große Aufgabe.