Wolfgang Picken erläutert Hilfsangebote der Kirche

Bonner Stadtdechant über Unwetter: Viele Betroffene fangen bei Null an

Veröffentlicht am 16.07.2021 um 13:30 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Regenfälle und Hochwasser haben in mehreren Regionen Deutschlands zu Todesfällen, eingestürzten Häusern und viel Leid geführt. Der Stadtdechant von Bonn, Wolfgang Picken, beschreibt im katholisch.de-Interview, wie die Kirche den Betroffenen hilft.

  • Teilen:

Die heftigen Unwetter der vergangenen Tage haben besonders im Gebiet der Ahr und in der Eifel eine große Spur der Verwüstung hinterlassen. Der Pfarrer und Stadtdechant der nächstgelegenen Großstadt Bonn, Wolfgang Picken, schildert im Interview, wie die Kirche den betroffenen Menschen helfen will.

Frage: Herr Picken, mehrere Regionen in unmittelbarer Nähe von Bonn wurden vom Unwetter sehr schwer getroffen. Welche Informationen haben Sie von den dortigen Dechanten über die aktuelle Lage vor Ort erhalten?

Picken: Ich habe heute Morgen Kontakt mit den Dechanten des Rhein-Sieg-Kreises und des Landkreises Euskirchen aufgenommen, mit denen ich auch sonst sehr eng zusammenarbeite. Ihre Dekanate grenzen direkt an das Stadtgebiet von Bonn. Vor Ort ist das Chaos so groß, dass sich auch die direkt betroffenen Personen noch keinen wirklichen Überblick über die Lage haben verschaffen können. Das liegt daran, dass die Regionen oft nicht erreichbar sind. Sie sind nicht nur vom Telefonnetz und anderen Kommunikationswegen abgeschnitten, sondern auch physisch ist dort kein Durchkommen, weil etwa im Ahrgebiet die Brücken eingebrochen sind und deshalb ganze Landstriche keinen Kontakt zur Außenwelt haben. Wir haben uns darauf verständigt, dass sich die Kreisdechanten und Caritasverbände zunächst einen aussagekräftigen Eindruck vom Hilfsbedarf verschaffen. In Bonn sind wir vom Unwetter größtenteils verschont worden, deshalb werden wir tun, was wir können, um die Betroffenen zu unterstützen.

Frage: Welche Hilfsmaßnahmen wird es geben?

Picken: Heute Morgen sind die ersten Evakuierungen aus dem Katastrophengebiet Richtung Bonn auf den Weg gebracht worden. Darüber hat uns die Notfallseelsorge informiert. Das gesamte Team der Notfallseelsorge der Stadt Bonn ist im Rhein-Sieg- und im Rhein-Erft-Kreis vor Ort im Einsatz. Wir werden jetzt mit dafür Sorge tragen, dass die betroffenen Personen erst einmal kurzfristig untergebracht werden. Das geschieht in Kooperation mit der Stadt Bonn. Die Kirchen werden besonders darum bemüht sein, dass es eine seelische Betreuung gibt, denn viele Betroffene sind vollständig traumatisiert. Sie brauchen jetzt nicht nur finanzielle und ökonomische, sondern zuerst menschliche Unterstützung. Außerdem läuft derzeit eine Abfrage bei allen leitenden Pfarrern der Stadt, um zu klären, wo es bezugsfähigen Wohnraum gibt, um Menschen auf längere Sicht unterzubringen. Zudem informieren wir uns, ob es Privatleute gibt, die Platz zur Aufnahme von Menschen haben. Am Wochenende wird voraussichtlich in allen Bonner Kirchengemeinden eine Kollekte abgehalten, die für die Unterstützung der Betroffenen verwendet werden soll. Das sind nur die ersten Hilfsangebote. Weitere werden folgen, wenn wir die konkreten Bedarfe kennen.

Bild: ©picture alliance / Rolf Vennenbernd/dpa

Pfarrer Wolfgang Picken ist Stadtdechant von Bonn.

Frage: Sind auch Kirchen oder andere kirchliche Gebäude in der Region des Unglücks betroffen?

Picken: In allen Dörfern und Städten, in denen Häuser und Straßen unter Wasser stehen, sind auch Kirchen und Friedhöfe überschwemmt oder überspült. Der Pfarrer von Ahrweiler hat etwa mitgeteilt, dass die dortigen Kirchen verwüstet und kirchliche Immobilien erst einmal nicht mehr zu gebrauchen sind. Das zeigt, dass nicht nur die Wohninfrastruktur, sondern auch Gebäude, die dem sozialen Austausch dienen, wie etwa der Kirchengemeinden, schwer getroffen sind. Viele werden quasi bei Null anfangen müssen.

Frage: Wie wird dieses große Unglück, das wir derzeit erleben, die Region prägen?

Picken: Ich bin noch nicht selbst in den betroffenen Gebieten gewesen und kenne nur die Bilder, die auch viele andere im Fernsehen oder im Internet gesehen haben. Aber ich habe persönliche Beziehungen zu Betroffenen: So ist die Großmutter eines Freundes heute Morgen tot in ihrem Haus geborgen worden. Andere Bekannte von mir, die gestern versucht haben, ihre Angehörigen im Ahrtal aufzusuchen, konnten nicht in die Region gelangen, weil sie völlig verwüstet und zerstört ist. Das kann Menschen nur nachhaltig traumatisieren und vor die existenzielle Frage stellen, wie das Leben überhaupt wieder in einen geordneten Gang zurückfinden kann. Die Region wird mit Sicherheit über Jahrzehnte von diesem traurigen Ereignis schwer gezeichnet bleiben – sowohl äußerlich als auch in der Seele ihrer Bewohner.

Von Roland Müller