Konversionstherapien: Hat der Vatikan ein Machtwort gesprochen?
"Der Vatikan bremst Konversionstherapien für Homosexuelle aus" – in den vergangenen Tagen sorgte diese Schlagzeile des spanischen Magazins "Vida Nueva" für große Aufregung unter Katholiken. Die Recherche der Zeitschrift, die sich vor allem religiösen Themen widmet, machte öffentlich, dass die vatikanische Kleruskongregation die Spanische Bischofskonferenz im April 2021 darum gebeten hatte, die Vereinigung "Verdad y libertad" ("Wahrheit und Freiheit") nicht zu unterstützen. Diese Organisation um einen im andalusischen Granada ansässigen Kinderarzt bietet demnach seit 2013 "Heilung" von Homosexualität an – und zählt vor allem Priester, Ordensleute und gläubige Laien zu ihren "Patienten". Nach Angaben ehemaliger Mitglieder von "Verdad y Libertad" sollen sogar "fünf oder sechs" spanische Bischöfe zu den Unterstützern der Initiative gehören. Sie hätten auf Besinnungswochenenden und anderen Veranstaltungen gesprochen und dabei teilweise vom eigenen "Weg der Heilung" berichtet.
Durch Mund-zu-Mund-Propaganda zu "Therapien"
Der Empfehlung des Vatikan, die umstrittene Vereinigung nicht zu unterstützen, war eine längere Untersuchung der Kleruskongregation vorausgegangen. Im November 2019 hatten die spanischen Bischöfe verstörende Berichte nach Rom gemeldet: Priester, die an Veranstaltungen der angeblichen Heilungsorganisation teilgenommen hatten, schilderten darin die "bedrückenden" Praktiken der Konversionstherapien. Als Grundlage beschrieben sie die Auffassung von Homosexualität als "umkehrbar". Die Geistlichen waren durch Mund-zu-Mund-Propaganda auf die "Therapien" aufmerksam geworden. Teilweise wurden sie sogar von ihren geistlichen Begleitern oder Bischöfen zu einer Teilnahme motiviert.
Bei einer Beratung der spanischen Bischöfe zu Beginn der Untersuchung vor knapp zwei Jahren wurde deutlich, dass nur eine kleine, wenn auch laute Minderheit der Oberhirten diese Praktiken gutheißt: So sollen etwa ein Zehntel der mehr als 100 anwesenden Bischöfe Spaniens die Konversionstherapien für Homosexuelle als notwendiges Instrument im Kampf gegen die Gender-Ideologie bezeichnet haben. Dabei soll es teilweise zu "kriegerischen" Wortwechseln zwischen den Oberhirten über dieses Thema gekommen sein.
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Den Abschlussbericht der vatikanischen Untersuchung verantwortete Kardinal Beniamino Stella, der bis vergangenen Monat Präfekt der Kleruskongregation war und inzwischen vom Südkoreaner Lazarus You Heung-sik ersetzt wurde. Darin heißt es, dass "Verdad y libertad" unter keinen Umständen als "kirchliche Organisation" bezeichnet werden könne. Dies scheint zuvor jedoch das Selbstverständnis und die eigene Beschreibung der Initiative gewesen zu sein, in der sich vornehmlich konservative Katholiken engagieren. Außerdem wurden mögliche Opfer seitens der Bischofskonferenz dazu aufgerufen, Anzeige bei den staatlichen Behörden zu erstatten. Denn aus kirchenrechtlicher Sicht könne man nicht verbieten, was "Verdad y libertad" mache, zitiert "Vida Nueva" eine ungenannte Quelle aus dem Generalsekretariat der Bischofskonferenz.
Kein offizielles lehramtliches Schreiben gegen Konversionstherapien
Es ist nicht das erste Mal in der jüngeren Vergangenheit, dass es eine Kontroverse um die angebliche Heilung von Homosexualität in der Kirche Spaniens gibt: 2019 ermittelte die Polizei gegen eine Therapeutin eines Familienzentrums des Bistums Alcalá de Henares. Sie habe mit ihren Kursen gegen das "Anti-LGBT-Phobie-Gesetz" der autonomen Region Madrid verstoßen, heiß es damals. Die Diözese wies die Anschuldigungen zurück und betonte, keine Konversionstherapien anzubieten. Doch es bot an, "alle Personen aufzunehmen und zu begleiten", die bei Problemen mit ihrer Sexualität freiwillig um Hilfe bitten würden.
Haben sich der Vatikan und die Kirche Spaniens mit der Untersuchung gegen "Verdad y libertad" nun endgültig gegen die Durchführung von Konversionstherapien gestellt, so wie "Vida Nueva" behauptet? Die spanischsprachige Redaktion der "Catholic News Agency" (CNA) widerspricht dieser Darstellung. Der Bericht von Kardinal Stella sei kein "offizielles Dokument des Vatikan" und verpflichte sowohl die spanischen Bischöfe als auch alle Gläubigen weltweit zu nichts. Der Begriff "Konversionstherapie" sei zudem sehr weit gefasst und werde von der "LGBT-Lobby" verwendet, um jegliche Hilfen für Katholiken zu "verteufeln", die Probleme mit ihrer sexuellen Orientierung hätten. Überhaupt existiere kein offizielles lehramtliches Schreiben des Vatikan, das Konversionstherapien verbiete. Mit dieser Feststellung liegt die konservative Nachrichtenseite zwar richtig. Doch die Untersuchung der Kleruskongregation zeigt eindeutig, in welche Richtung Rom unter Papst Franziskus bei diesem Thema tendiert.