Wie Corona die Tourismuspastoral verändert hat
Salzige Seeluft im Gesicht und die Füße im Sand oder klarer Himmel und Ausblick auf ein malerisches Bergpanorama: Im Urlaub finden viele Menschen die Zeit zum Nachdenken. Dankbarkeit, Trauer aber auch Ängste und Sorgen bekommen ihren Platz, nachdem sie in den vergangenen Monaten der Corona-Pandemie teilweise unterdrückt wurden oder kaum Zeit war, das Erlebte zu verarbeiten.
Das spüren auch Seelsorger in den Urlaubsorten in Deutschland. Die Sorgen, mit denen die Besucher in den Urlaub fahren, sind oft existenziell. "Wenn man sich immer um Familie und Job sorgen muss, macht das etwas mit den Menschen", sagt Natalia Löster. Die Pastoralreferentin im Bistum Osnabrück arbeitet als Tourismusseelsorgerin an der Nordseeküste. Gerade im Urlaub komme dann die Frage auf, wie es um einen selbst und die eigenen Bedürfnisse stehe, sagt sie.
Auch wenn im zweiten Sommer nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie Reisen wieder möglich sind, meiden viele momentan weite Reisen ins Ausland. Tatsächlich hat die Corona-Pandemie mehr Menschen hierzulande dazu gebracht, ihren Urlaub in Deutschland zu verbringen. "Seit dem vergangenen Jahr hat der Deutschlandtourismus wieder an Bedeutung gewonnen", erklärt Harald Pechlaner, Professor für Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Gerade in Krisenzeiten würden sich die Menschen im eigenen Land am sichersten fühlen. Zwar gebe es noch keine belastbaren Zahlen für 2021, aber man könne davon ausgehen, dass viele Menschen Deutschland als Reiseziel wiederentdecken.
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Entspannung und Ausruhen waren schon immer wichtige Motive für Urlaubsreisen. Und auch das Verlassen der eigenen Alltagswelt, um eine andere Welt kennenzulernen, spielt eine Rolle. "Die Menschen suchen Begegnung und Beziehung", sagt Pechlaner. Durch die Corona-Pandemie war dies lange Zeit nur schwer möglich. "Das ist auch ein Grund, warum Tourismus ein Thema bleibt und Menschen sich auf den Weg machen." Hier sieht der Tourismusprofessor auch eine Chance für die Kirche, diese wichtigen Begegnungen zu ermöglichen – für Gäste und Gastgeber.
Denn gerade im Urlaub oder generell in der Freizeit sind viele Menschen offener für Angebote der Kirche und nehmen diese teilweise sogar bewusst wahr. "Die große Chance der Tourismusseelsorge ist, dass wir dort für die Menschen ansprechbar sind, wo wir sie als Kirche oft gar nicht mehr erreichen", sagt Robert Hintereder, Fachbereichsleiter Sport und Tourismus im Erzbistum München und Freising. Besonders im Urlaub gebe es diese Zeitfenster.
Dazu kommt die Anonymität am Urlaubsort im Vergleich zur Heimatgemeinde. "Es sind punktuelle Begegnungen, vielleicht auch über mehrere Tage hinweg. So eine Distanz kann auch helfen, sich auf ein Gespräch einlassen zu können", sagt Natalia Löster. Neben der großen Chance dieser Begegnungen mit Kirche sieht sie aber auch die Verantwortung. Würden diese Begegnungen in den Sand gesetzt, würden Menschen damit vielleicht erneut schlechte Erfahrungen mit der Kirche machen.
Instagram-Übernahme
Doch nicht nur Urlauberinnen und Urlauber sollen bei der Tourismuspastoral im Fokus stehen. "Vielleicht hat Corona nochmal mehr gezeigt, dass Tourismuspastoral auch bedeutet, dass man sich noch mehr vom Urlauber an sich löst", sagt Löster. In der Urlaubsseelsorge gehe es darum, inne zu halten, Kraft zu tanken und den Alltag zu unterbrechen. "Da ist es im Prinzip einerlei, ob die Person aus Bayern hier an die Nordseeküste kommt oder ob sie hier lebt und arbeitet und trotzdem eine Unterbrechung des Alltags braucht."
Während die Seelsorger im vergangenen Jahr durch die Pandemie eher zurückhaltend waren, werden viele Angebote jetzt wieder hochgefahren – vor allem draußen. An der Nordseeküste gibt es beispielsweise einen Kirchenstrandkorb, in dem ein Seelsorger für Gespräche bereitsteht. Auch Strandgottesdienste und spirituelle Spaziergänge am Strand sind wieder möglich. Angebote, die in der Corona-Zeit entstanden sind, werden zusätzlich beibehalten, wie etwa Thementüten mit Bastelmaterial für Familien.
Neben den beliebten Bergexerzitien wurde im Erzbistum München und Freising auch die Zahl an Berggottesdiensten im Freien noch einmal erhöht. Unter Corona-Bedingungen hätten Gottesdienste in Kirchen zwangsläufig häufig nur eine sparsame Atmosphäre, sagt Robert Hintereder. "Viele Menschen kommen wegen Abstandsregeln und Maskenpflicht nicht in die Gottesdienste. Da fehlen die Leichtigkeit und Unbeschwertheit." Daher sei es gut, Gottesdienste an den Orten anzubieten, zu denen die Menschen sowieso hinwollen, wo es einen schönen Ausblick gibt und auch Gesang möglich ist.
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Mit diesen Aktionen können die Kirchen auch Urlauber erreichen, die nicht gezielt nach kirchlichen Angeboten suchen, sondern einfach offen durch die Gegend spazieren. Natalia Löster beobachtet oft, dass Urlauber beispielsweise an Strandgottesdiensten vorbeikommen, die Musik hören, die Bänke und Menschen sehen und sich davon ansprechen lassen. "Ich bin der Meinung, dass Jesus das genauso gemacht hat", sagt sie.
Allein der Eventcharakter werde auf Dauer aber nicht ausreichen, befürchtet Robert Hintereder. "Wenn es aber gelingt, im Gottesdienst Gemeinschaft herzustellen, die Leute zu beteiligen, willkommen zu heißen und etwas Echtes und Heiliges spürbar werden zu lassen, dann ist unsere Arbeit erfolgreich." Ihm ist deshalb wichtig, dass die Angebote der Urlaubsseelsorge örtlich verankert sind und an eine Pfarrgemeinde, ein Kloster oder eine Bildungseinrichtung rückgebunden sind. "Dort sind auch dann Seelsorger vor Ort, wenn das Event vorbei ist", so Hintereder.
Nachhaltige spirituelle Begegnungen
Grundsätzlich habe die Kirche viele solcher spirituellen Resonanzräume, in denen Menschen die Gelegenheit haben, Kraft zu schöpfen und über bestimmte Dinge nachzudenken oder zu sprechen. Das kann eine spirituelle Begleitung im Kloster, ein Pilgerweg, ein Gottesdienst oder ein Kirchenkonzert sein. Wichtig ist Hintereder nur, dass die Angebote nachhaltig sind.
Das sieht auch Tourismusforscher Harald Pechlaner so. Aus den Begegnungen im Urlaub könne man im besten Fall viel in den Alltag mitnehmen. "Der Urlaub soll ja auch dazu dienen, Ideen mit nach Hause zu nehmen – für die Zeit, wenn wir wieder in unseren Alltag zurückkehren." Die Tourismuspartner würden ebenfalls bemerken, dass die kirchlichen und spirituellen Angebote den Menschen guttun – auch langfristig und nachhaltig, sagt Hintereder. "Ein Wellnessanbieter kann das nicht."