Görlitzer Verwaltungschef engagiert sich für Pilger auf dem Jakobsweg

Warum Generalvikar Hoffmann im August im Beichtstuhl in Santiago sitzt

Veröffentlicht am 27.07.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Görlitz/Santiago de Compostela ‐ Während andere Geistliche im Sommer eher die Einsamkeit suchen, reist der Görlitzer Generalvikar Alfred Hoffmann in wenigen Tagen ins normalerweise ziemliche wuselige Santiago de Compostela. Dort engagiert er sich als Pilgerseelsorger. Im Interview spricht er über seine Beweggründe und das Pilgern in Zeiten von Corona.

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Normalerweise findet man Alfred Hoffmann meist im Ordinariat des Bistums Görlitz, wo der 62-Jährige seit vielen Jahren als Generalvikar tätig ist. Doch in wenigen Tagen verlässt Hoffmann seinen Schreibtisch in Deutschlands östlichster Diözese, um sich im August zwei Wochen lang ehrenamtlich als Pilgerseelsorger im spanischen Santiago de Compostela zu engagieren. Im Interview mit katholisch.de spricht Hoffmann über den Reiz dieser Tätigkeit, seine konkrete Aufgabe in Santiago und die Bedürfnisse der Pilger nach ihrer Ankunft am Grab des heiligen Jakobus. Außerdem äußert er sich zu den Folgen der Corona-Pandemie für das Pilgerwesen und zur Gefahr der wieder ansteigenden Infektionszahlen.

Frage: Herr Generalvikar, während viele Bischöfe und Generalvikare im Sommerurlaub traditionell die Einsamkeit suchen, fahren Sie Anfang August für zwei Wochen ins – jedenfalls normalerweise – ziemliche wuselige Santiago de Compostela, um dort als Pilgerseelsorger zu arbeiten. Was reizt Sie daran?

Hoffmann: Ich bin selbst leidenschaftlicher Pilger und weiß deshalb, wie Pilger ticken. Wer nach einer langen Zeit des Unterwegsseins – allein oder in einer kleinen Gruppe – in Santiago ankommt, kann sich dort in der großen Menge der Pilger mitunter allein und fremd fühlen. Und genau für diese Menschen möchte ich gerne da sein und ihnen ein seelsorgliches Angebot machen.

Frage: Ist Ihr Engagement in Santiago auch ein bewusster Ausgleich zur eher Büro-lastigen Tätigkeit als Generalvikar?

Hoffmann: Das ist nicht meine eigentliche Motivation – aber objektiv ist es so, ja. Mein Herz schlägt für die Seelsorge und nicht für die Büroarbeit.

Frage: Wie oft waren Sie schon als Pilgerseelsorger in Santiago tätig?

Hoffmann: Dieses Jahr ist es das fünfte Mal. Zum ersten Mal war ich 2011 dort aktiv, kurz nachdem ich den damaligen Rottenburger Seelsorgeamtsleiter Rudolf Hagmann kennengelernt hatte. Er hat das deutschsprachige Seelsorgeangebot für Pilger in Santiago, das in dieser Form seit 2009 existiert, maßgeblich mitinitiiert. Und nachdem er mir 2010 davon erzählt hatte, hatte ich sofort Lust, mich als Seelsorger daran zu beteiligen.

Frage: Welche Erfahrungen haben Sie als Seelsorger in Santiago gemacht?

Hoffmann: Die Pilger, die zu uns kommen, sind in der Regel sehr dankbar für das seelsorgliche Angebot. Meine Aufgabe besteht vor allem darin, die Beichte abzunehmen. In der Regel sitze ich tagsüber mehrere Stunden in der Kathedrale im Beichtstuhl und stehe den Pilgern für Gespräche zur Verfügung. Und der Bedarf ist durchaus groß: Wer sich auf eine Pilgerreise begibt, wird oftmals ja ganz auf sich selbst zurückgeworfen und hat Zeit, sehr intensiv über sich und sein Leben nachzudenken. Und wer das tut, ist am Ende einer solchen Reise meist froh, wenn er seine Gedanken und Sorgen mit einem Seelsorger teilen kann.

„Wir wollen für alle Pilger da sein, die in Santiago ankommen – egal, wie viele oder wenige das in diesem Jahr auch sein mögen.“

—  Zitat: Generalvikar Alfred Hoffmann

Frage: Wegen der Corona-Pandemie ist die Situation in Santiago derzeit sicher nicht vergleichbar mit früheren Jahren. Was erwarten Sie für Ihren bevorstehenden Aufenthalt? Rechnen Sie überhaupt mit einer nennenswerten Zahl an Pilgern?

Hoffmann: Das lässt sich natürlich schwer vorhersagen. Das Seelsorgeangebot in Santiago wurde aufgrund der Pandemie in diesem Jahr aber bereits deutlich reduziert. Statt wie sonst Anfang Mai haben die ersten Seelsorger aus Deutschland erst Anfang Juli ihren Dienst aufgenommen. Die ersten Rückmeldungen von vor Ort zeigen, dass die Zahl ankommender Pilger aus dem Ausland bislang sehr gering ist. Wir müssen also abwarten, wie es in den kommenden Wochen weitergeht. Wir haben als Seelsorger aber entschieden: Wir wollen für alle Pilger da sein, die in Santiago ankommen – egal, wie viele oder wenige das in diesem Jahr auch sein mögen.

Frage: Auch in Spanien steigen die Corona-Zahlen derzeit wieder deutlich an. Bereitet Ihnen das mit Blick auf Ihre Reisepläne Sorgen?

Hoffmann: Nein, ich bin aber ohnehin niemand, der sich schnell Sorgen macht – schon gar nicht um mich selbst. Hinzu kommt, dass ich im vergangenen Herbst ja bereits an Corona erkrankt war – ziemlich heftig sogar – und inzwischen auch geimpft bin. Vor Ort in Santiago werde ich mich aber natürlich trotzdem an alle Corona-Schutzmaßnahmen halten. Die sind in Spanien derzeit übrigens viel strenger als bei uns.

Frage: Der Jakobsweg in Spanien hat seit der Jahrtausendwende einen regelrechten Pilgerboom erlebt. Wie erklären Sie sich die Faszination speziell für diesen Pilgerweg? Hängt das nur mit dem berühmten Buch von Hape Kerkeling zusammen?

Hoffmann: Das glaube ich nicht. Ich denke eher, dass das Buch in seiner Wirkung bis heute ziemlich überschätzt wird. Schließlich war der Jakobsweg schon vor Hape Kerkeling ein ziemlich beliebter Pilgerweg. Ich denke vielmehr, dass der Boom auf dem Jakobsweg und auch auf anderen Pilgerwegen ein Stück weit ein Spiegel unserer Zeit ist. Viele Menschen haben heute das Gefühl, dass ihnen in ihrem Leben etwas fehlt und dass sie im Hamsterrad des Alltags das Wesentliche aus den Augen verlieren. Da kann es helfen, einmal aus dem gewohnten Trott auszubrechen und unterwegs – zurückgeworfen auf sich selbst – über das eigene Dasein nachzudenken.

Die Kathedrale von Santiago de Compostela.
Bild: ©musuraca/Fotolia.com

Das Ziel der Pilger auf dem Jakobsweg: Die Kathedrale von Santiago de Compostela.

Frage: Wie oft sind Sie selbst schon auf dem Jakobsweg in Spanien gepilgert?

Hoffmann: Das kann ich aus dem Kopf nicht genau sagen. Ich weiß aber, dass ich 1998 das erste Mal auf dem Jakobsweg unterwegs war und danach mehrere Jahre lang regelmäßig dort gepilgert bin. Später habe ich auch Gruppen eingeladen, mit denen ich zusammen gelaufen bin – meist zwei Wochen lang. Ich pilgere allerdings nicht nur auf dem spanischen Jakobsweg: Wenn ich nicht so viel Zeit habe, bin ich gerne ein paar Tage in Deutschland oder unserem Nachbarland Polen unterwegs. Als nächstes möchte ich zum Beispiel von Regensburg nach Eichstätt pilgern.

Frage: Das Pilgern – nicht nur auf dem Jakobsweg – war wegen der Pandemie in den vergangenen eineinhalb Jahren kaum möglich. Was denken Sie: Welche langfristigen Auswirkungen wird Corona auf die Tradition des Pilgerns haben?

Hoffmann: Das lässt sich noch schwer abschätzen, zumal die Pandemie ja noch nicht vorbei ist. Grundsätzlich bin ich aber sehr optimistisch, dass die Tradition des Pilgerns nicht abbrechen wird. Ich könnte mir im Gegenteil sogar vorstellen, dass sich in den nächsten Jahren noch deutlich mehr Menschen auf den Weg machen werden als vor der Pandemie. Wir sehen ja jetzt schon, wie die Menschen nach dem Ende der meisten Beschränkungen nach Draußen drängen und sich nach neuen Sinneseindrücken sehnen. Hinzu kommt, dass Corona viele existenzielle Fragen aufgeworfen hat – und die lassen sich auf einer Pilgerreise ideal "bearbeiten".

Frage: Wenn Gläubige – auch wegen Corona – derzeit nicht auf dem spanischen Jakobsweg pilgern können oder wollen: Welchen Pilgerweg in Deutschland würden Sie als lohnende Alternative empfehlen?

Hoffmann: Da fällt mir natürlich sofort der Ökumenische Pilgerweg ein, der hier in Görlitz beginnt und über Bautzen, Leipzig, Erfurt und Eisenach bis nach Vacha führt. Auf diesem Weg kann man das Pilgern – ähnlich wie auf dem spanischen Jakobsweg – in seiner ursprünglichen Form sehr schön erleben.

Von Steffen Zimmermann