Anlaufstelle für Frauen mit Gewalterfahrungen: Bode zieht erste Bilanz
Sie haben sexuelle Übergriffe erlebt oder Seelsorger, die ihre schwierige Lebenssituation ausnutzten: Frauen, die als Erwachsene Gewalt im kirchlichen Raum erfahren haben, können sich seit Januar 2021 an eine zentrale bundesweite Anlaufstelle wenden. Sie wird getragen von der Arbeitsstelle für Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz. Der Vorsitzende der Unterkommission "Frauen in Kirche und Gesellschaft", Osnabrücks Bischof Franz-Josef Bode, zieht im Interview eine Bilanz des ersten halben Jahres.
Frage: Bischof Bode, zu der Eröffnung der Anlaufstelle im Januar dieses Jahres sagten Sie, dass eine Lücke geschlossen wird. Ist es dazu gekommen?
Bode: Ja. Natürlich vergeht Zeit, weil Frauen, die körperlichen oder geistlichen Missbrauch erfahren haben, sich nicht sofort melden. Die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz zum Umgang mit sexuellem Missbrauch beziehen sich sehr stark auf Kinder und Jugendliche. Es gab insofern eine Lücke, als dass wir Erwachsene nicht mit in diese Leitlinien einbeziehen konnten.
Frage: Und deswegen wurde die Anlaufstelle eingerichtet?
Bode: Mit Zustimmung der Bischofskonferenz bei der Arbeitsstelle für Frauenseelsorge, in Trägerschaft des Vereins "Frauenseelsorge in den deutschen Diözesen". Bisher haben rund 10.900 Menschen das Angebot im Internet zumindest angeklickt. Es gab etwa 300 E-Mail-Kontakte und 30 bis 50 anonymisierte Beratungen. Das ist in einem so sensiblen Feld nicht wenig.
Frage: Wie bewerten Sie diese Entwicklung nach einem halben Jahr?
Bode: Das Ganze ist ja völlig neu. Man darf das nicht so sehr an Zahlen festmachen, sondern sollte schauen, wie intensiv diese Beratungen sind - und dass Menschen die Möglichkeit haben, sich in dieser Weise an kompetente und erfahrene Frauen und Männer zu wenden. Ich bin froh, dass wir die Stelle eingerichtet haben, sehe aber auch, dass sie noch bekannter werden muss.
Unter den betroffenen Erwachsenen sind häufig Ordensfrauen, auch viele ehemalige. Es ist in diesen Fällen oft so, dass sie sich schämen oder eine vermeintliche Schuld bei sich selbst suchen. Und wenn sich Frauen dann entscheiden, sich zu melden, bin ich froh. Wir haben es mitunter mit schwierigen Lebensverläufen zu tun, die Gehör finden müssen. Die Betroffenen werden selten ernstgenommen und wahrgenommen.
Frage: Mit welchen Nöten melden sich denn die Frauen?
Bode: Es geht sehr oft um geistlichen Missbrauch. In der Seelsorge herrschen Abhängigkeiten, die manche Seelsorger ausnutzen: Sie verfolgen eigene Interessen und entlassen einen Menschen nicht in die Freiheit. Wir müssen viel stärker über geistlichen Missbrauch aufklären und ihn zu verhindern suchen. Der kann auch zu sexuellen Übergriffen führen - auch das berichten Frauen in den Online-Beratungen. Es erschüttert mich, dass solche Abhängigkeiten manchmal über lange Zeit andauern.
Frage: Wie meinen Sie das?
Bode: Man kann sich fragen, warum ein Erwachsener sich so lange in einer Abhängigkeit befindet. Aber das ist es ja eben: Es zeigen sich in solchen Fällen ganz subtile Mechanismen. Wir können gar nicht deutlich genug machen, welche geistliche Macht ein Seelsorger über einen Menschen haben kann.
Frage: Welche Frauen melden sich?
Bode: Da sind Ordensfrauen und Frauen, die sich an Priester gewandt haben, meistens eher in mittlerem oder höherem Alter. Es kann sein, dass sie in seelsorglichen Situationen sehr unsensibel behandelt wurden. Jeder Einzelfall ist aufwühlend und schwierig.
Frage: Bisher nehmen die Frauen digital und anonym Kontakt mit der Anlaufstelle auf. Sind künftig auch persönliche Begegnungen geplant?
Bode: Die Anonymität erleichtert den Start. Ich denke, dass es auch persönliche Beratungen geben muss, wenn sie auf Dauer hilfreich sein sollen und Betroffene Vertrauen aufgebaut haben.
Frage: Auch erwachsene Männer haben Missbrauch erfahren. Ist künftig eine entsprechende Beratung für sie geplant?
Bode: Auch Männer sind davon betroffen, gerade junge Leute, die auf der Suche nach ihrem Beruf, ihrer Identität sind. Ich kenne das von geistlichen Gemeinschaften. Die Arbeitsstelle Männerseelsorge, die mit der Arbeitsstelle Frauenseelsorge in engem Kontakt ist, denkt über ein entsprechendes Angebot nach und organisiert im April 2022 eine Tagung zu dem Thema. Ich denke, es wäre ein nächster Schritt, die Online-Beratung für Männer zu öffnen.
Frage: Sie sagten, dass oft die Sprache für das Erlebte fehlt. Können Reformprozesse wie etwa der Synodale Weg Menschen ermutigen?
Bode: Ganz sicher, weil der Synodale Weg sich öffentlich mit den Themen Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt befasst. Ich habe erfahren, dass Leute zum Sprechen gekommen sind, weil sie über das Thema gelesen oder gehört haben und so Dinge bei ihnen hochgekommen sind. Dieses Hervorbrechen kann jedoch auch schwierige Folgen haben, weil Menschen zum Beispiel dachten, dass sie mit einem Thema abgeschlossen hätten. Es gibt Trigger.
Frage: Melden sich auch Frauen, die außerhalb der Kirche stehen?
Bode: Soweit ich es sehe, passiert das seltener. Bei einigen Frauen weiß man es nicht genau. Es melden sich insgesamt überwiegend Katholikinnen. Wir als Kirche können auch von Therapeutinnen und Therapeuten außerhalb der Kirche lernen - zum Beispiel, wenn wir Regeln und Kriterien für den Umgang mit Missbrauch erstellen. Das Beratungsteam der Anlaufstelle hat ohnehin Kontakte zu Personen außerhalb der Kirche.
Frage: Was folgt aus der Evaluation ein halbes Jahr nach Einrichtung der Anlaufstelle?
Bode: Ich habe der Bischofskonferenz vorgetragen, dass die Anlaufstelle weitergeführt und ausgebaut werden soll. Aber man merkt, dass noch genauer dargestellt werden muss, was problematische Abhängigkeiten Erwachsener zu Seelsorgern ausmacht. Die Diözesen legen das unterschiedlich aus. Es muss jedenfalls von der Bischofskonferenz verbindliche Leitlinien für Seelsorgeverhältnisse geben, ähnlich wie beim Umgang mit Missbrauch an Minderjährigen. Das ist eine Aufgabe, die von der Frauenkommission, von der Bischofskonferenz aus weiter angegangen werden sollte. Das wird sich in der nächsten Zeit entwickeln. Betrachtet werden muss auch die Männerseite, die es ebenfalls betrifft.
Frage: Beschäftigen sich die Bischöfe mit dem Thema bei der nächsten Vollversammlung im Herbst in Fulda?
Bode: Das denke ich nicht. Es stehen jetzt einige personelle Wechsel in der Pastoral- und in der Frauenkommission an, da wäre es zu diesem Zeitpunkt ungünstig, diese Frage einzubringen. Das würde der Sache nicht gerecht. Wir müssen weiter daran arbeiten, dass die Sensibilität für diese Thematik in den Bistümern und Orden zunimmt und dass das Leid der betroffenen Erwachsenen anerkannt wird.
Frage: Wissen Sie, ob es ein vergleichbares Angebot im Ausland gibt?
Bode: Das wüsste ich nicht und glaube das auch nicht, weil es auch um finanzielle und personelle Ressourcen geht, und da haben wir in Deutschland mehr Möglichkeiten. Es kann natürlich sein, dass unsere Leute mit Nachbarländern vernetzt sind.
Ich möchte betonen, wie fatal es ist, wenn Seelsorger die schwierige Lebenslage eines Menschen auf sehr subtile Weise ausnutzen, vor allem, wenn es sexuelle Übergriffe im geistlichen Raum der Kirche oder gar bei der Beichte gibt. Dafür kennt das Kirchenrecht die Exkommunikation von Tätern. Dieser ganze Themenkomplex darf nicht nur am Rande laufen.
Anlaufstelle für Frauen, die Gewalterfahrung in der Kirche gemacht haben
Über die Internetseite der Anlaufstelle für Frauen, die Gewalterfahrungen in der Kirche gemacht haben, können die Betroffenen Hilfe erhalten. Auch ein anonymer Kontakt ist möglich.