Theologin Werner: Schuld an Flutkatastrophe sorgsam untersuchen
Die Grazer Theologin Gunda Werner hat sich dagegen ausgesprochen, im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe in Teilen Deutschlands die Schuld vorschnell Einzelnen oder einem System zuzuschreiben. Die Ursachen seien vielfältig und in Wechselwirkung, sie müssten sorgsam betrachtet werden, sagte sie der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in einem am Sonntag veröffentlichten Interview.
Werner erklärte, es gebe ein "zutiefst menschliches Bedürfnis, der Katastrophe ein Gesicht der Schuld zu geben". Dies sei aber bei den komplexen Ursachen der Flut weder möglich noch wünschenswert. "Denn einen einzelnen Schuldigen zu finden, oder ein System, verleitet dazu, die Ursachen nicht mehr sorgsam anzuschauen, die eben sehr viele sind und miteinander wirken." Man müsse "die vielen Puzzlesteine der Verursachung einzeln und in ihrem Gefüge anschauen, ohne zu schnell "die Schuldigen" zu benennen.
Der menschengemachte Klimawandel, der extreme Wetterlagen begünstige, sei ein "übergenerationelles und globales Phänomen". Insofern bedeute eine solche Katastrophe einen "Ruf in die Verantwortung", wie dies der Moraltheologe Walter Schaupp formuliert habe. Die Verantwortung, klimagefährdende Verhaltensweisen zu verändern, bestehe bei jedem einzelnen Menschen. Da, wo es - etwa im Katastrophenschutz - einzelne, klar benennbare Verantwortungen für Fehler gebe, müsse jeder "Verantwortung für den Bereich übernehmen, für den ich Verantwortung übernehmen oder in Zukunft etwas verändern kann."
Werner betonte, für Menschen, denen Gott ein wichtiges Gegenüber in ihrem Leben ist, sei es sinnvoll, sich in Katastrophen an Gott zu wenden. "In der religiösen Tradition gibt es die Anklage Gottes, das Verzweifeln an Gott und den Wunsch, eine Antwort von Gott auf das Leid zu bekommen", erklärte die Theologie-Professorin. "Für religiöse Menschen ist Gott jemand, dem Leid geklagt werden kann und dem es nicht egal ist." Dazu gehöre auch die Frage, ob nicht bei solchen Katastrophen "Gott eingreifen müsste".
Der Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler, Jörg Meyrer, berichtete, momentan viele Gespräche mit traumatisierten Menschen zu führen. Wer bei der Flutkatastrophe vor gut einer Woche Todesangst oder Todeskampf erlebt habe, wolle nun davon erzählen, sagte Meyrer im Interview der "Bild am Sonntag". Die Menschen suchten bei ihm keinen Rat, "sondern um sich die Sorgen von der Seele zu sprechen". Der Pfarrer hilft seit Beginn der Katastrophe vor Ort in der Einsatzzentrale des Deutschen Roten Kreuzes mit.
Auch mehrere Kirchen seien geflutet worden, Gottesdienste seien wegen Einsturzgefahr derzeit nicht möglich. Ohnehin gelte aber: "Die Menschen haben anderes zu tun." Er habe den Eindruck, dass jetzt mehr Leute daran glaubten, "dass es etwas über uns gibt". Er selbst habe indes mit Kirche zurzeit "nichts am Hut. Das Allerletzte, woran ich gerade denke, ist das System Kirche." Auch für das Gebet finde er momentan keine Worte: "Die Worte, die ich sonst gebraucht habe, passen nicht." Ebenso habe er weder Kraft noch Zeit für die Frage nach dem Warum.
Zu den mehr als 180 Todesopfern, die die Flut in Deutschland gefordert hat, sagte Meyrer, die Leichen seien derzeit noch nicht freigegeben; entsprechend könnten keine Beerdigungen stattfinden. "Die Menschen können sich noch nicht mal von ihren Liebsten verabschieden." Hoffnung gebe die große Hilfsbereitschaft: "Der Zusammenhalt, das ist das hellste Licht. Ohne das gegenseitige Helfen hätten wir uns alle doch schon längst die Kugel gegeben.
"Alles ist weg - die Erinnerungen an ein ganzes Leben"
Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki berichtete von Mitgefühl und Solidarität, aber auch von Verzweiflung in den Flutregionen. Die Orte, die er in den vergangenen Tagen besucht habe, seien "Orte der tiefen Erfahrung, wie es ist, gemeinsam eine Not durchzustehen", sagte der Kardinal am Sonntag dem Kölner Internetportal domradio.de. Angesichts der Katastrophe lägen sich verfeindete Nachbarn, die seit Jahren nur noch per Gericht miteinander umgegangen seien, jetzt in den Armen und hülfen einander. Wildfremde Menschen sprächen sich mit Vornamen an, Hilfskräfte leisteten Übermenschliches.
Er habe auch mit einer Seniorin gesprochen, die einen Großteil ihres Hab und Guts im Hochwasser verloren habe, so Woelki. "Alles ist weg - die Erinnerungen an ein ganzes Leben." Viele Menschen in den Flutregionen zeigten großes Mitgefühl. "Immer wieder höre ich, dass es anderen ja noch viel schlimmer geht. Und keiner ist sich zu irgendwas zu schade." Die Kirchen seien offen für Ruhe und Stille, auch wenn sie keinen Strom hätten und noch feucht seien. Der Erzbischof rief dazu auf, weiterhin zu helfen, zu spenden und zu beten. "Für die Retter, die Hilfskräfte, für die Toten und für die Überlebenden."
Der Münchner Kardinal Reinhard Marx mahnte angesichts der Flutkatastrophe Lernprozesse zur Prävention künftiger Katastrophen an. Dabei zog er am Samstag im Liebfrauendom auch eine Parallele zur Kirche. Für sie sei es wichtig, "die Augen aufzuhalten, das Herz wachzuhalten, das Evangelium ernst zu nehmen", um zu erkennen, "was jetzt wirklich getan werden muss und welche Dinge und Verhaltensweisen nicht wirksam sind".
Das Ermöglichen von Veränderung sei oft "ein schmerzhafter, mühsamer Weg", weil dabei auch "Entscheidungen gefällt werden, die vielleicht nicht allen gefallen", so der Kardinal weiter. Zu schnell werde deshalb, wenn die Bilder der Katastrophen vorübergezogen seien, "der Weg in die alten Bahnen gegangen". Marx predigte aus Anlass des 45. Todestages des früheren Münchner Kardinals Julius Döpfner.
In der Kirche sei die Notwendigkeit des Lernens im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) auf den Punkt gebracht worden. Davor habe die Kirche in ihrem Selbstverständnis "gemeint, sie ist die Lehrerin". Das Konzil hat laut Marx die Vorstellung einer "lernenden Kirche" verdeutlicht: "Sie lernt auch aus der Geschichte, den Krisen, den Irrtümern, den Sünden." Döpfner war einer der vier Moderatoren des Konzils. "Wir können ihn nicht verstehen ohne dieses Konzil und diesen Lernweg, den er selbst beschritten hat." Der Kardinal sei daher ein "guter Wegbegleiter" mit Blick auf den Pfad, "der nicht zu Ende ist, den wir weiter beschreiten".
Die Fähigkeit zu Geduld und dazu, "Schwierigkeiten auszuhalten", sei auch bei einem Synodalen Weg der ganzen Kirche nötig, zu dem Papst Franziskus aufgerufen habe, betonte Marx. Dabei könne "niemand einfach seine Meinung durchsetzen", sondern es gelte, "das zu finden, was uns der Geist Gottes in dieser Zeitstunde sagen will" und dies "in der Bereitschaft zu lernen und nicht stehen zu bleiben".
Bistum Würzburg gibt 50.000 Euro Soforthilfe
Unterdessen kündigte das Bistum Würzburg an, den Flutopfern mit 50.000 Euro Soforthilfe unter die Arme zu greifen. Das Geld stammt aus Mitteln des diözesanen Katastrophenfonds. Außerdem wurde am Sonntag ein Spendenaufruf von Bischof Franz Jung in allen Gottesdiensten im Bistum verlesen. Darin erinnerte er an die Bilder aus Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Oberfranken und Oberbayern, aber auch aus einigen Gemeinden der eigenen Diözese. "Wir haben Menschen erzählen hören, wie in wenigen Stunden ihre Häuser, ihre Wohnungseinrichtung, ihr Hab und Gut in den Fluten versunken sind." Nun versuchten diese Menschen mit dem Wenigen, das ihnen geblieben sei, den Neuanfang.
Der Bischof dankte allen Helfern und Spendern. Gleichzeitig rief er dazu auf, in der Hilfsbereitschaft nicht nachzulassen. Jeder noch so kleine Beitrag helfe. "Haben Sie Vertrauen in unsere Caritas, die Ihre Spende gezielt dorthin lenkt, wo die Not am größten ist." (rom/KNA)