Emeritierter Papst warnt vor "Flucht in die reine Lehre"

Benedikt XVI. blickt selbstkritisch auf Begriff der "Entweltlichung"

Veröffentlicht am 26.07.2021 um 11:50 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/Freiburg ‐ Mit seiner Forderung nach einer "Entweltlichung" der Kirche in Deutschland sorgte Papst Benedikt XVI. 2011 für Diskussionen. Jetzt hat sich der 94-Jährige selbstkritisch zu dem Begriff geäußert. Seine grundsätzliche Kritik nimmt er aber nicht zurück.

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Der emeritierte Papst Benedikt XVI. (2005-2013) hat sich selbstkritisch zu dem von ihm 2011 in seiner viel beachteten Freiburger Rede verwendeten Begriff der "Entweltlichung" geäußert. "Ob das Wort 'Entweltlichung', das aus dem von Heidegger gebildeten Wortschatz stammt, in Freiburg als abschließendes Stichwort von mir klug gewählt war, weiß ich nicht", schreibt der 94-Jährige in einem Beitrag in der "Herder Korrespondenz" (August). Der Begriff deute den negativen Teil der Bewegung an, um die es ihm gehe, "nämlich das Heraustreten aus der Rede und den Sachzwängen einer Zeit ins Freie des Glaubens". Allerdings sei diese Seite, das Positive, mit dem Wort "Entweltlichung" nicht genügend ausgedrückt.

Kritik an mangelhaftem Zeugnis kirchlicher Mitarbeiter

Bei einer Rede im Freiburger Konzerthaus hatte Benedikt XVI. im Rahmen seines Deutschlandbesuchs im September 2011 die katholische Kirche in Deutschland mit dem unscharf gebliebenen Wort von der "Entweltlichung" ermahnt, nicht auf weltliche Privilegien zu setzen und ihren Auftrag in der Welt konsequenter zu erfüllen. Zugleich hatte er die Frage aufgeworfen, ob die deutsche Kirche in ihren Strukturen und Organisationen nicht stärker sei als in ihrem Glauben.

In seinem Beitrag in der "Herder Korrespondenz", für den der emeritierte Papst nach Angaben der Zeitschrift schriftlich auf Fragen geantwortet hat, beklagt Benedikt XVI. im Kontext seiner Ausführungen zur "Entweltlichung" ein aus seiner Sicht mangelhaftes Glaubenszeugnis kirchlicher Mitarbeiter in Deutschland: "In den kirchlichen Einrichtungen – Krankenhäusern, Schulen, Caritas – wirken viele Personen an entscheidenden Stellen mit, die den inneren Auftrag der Kirche nicht mittragen und damit das Zeugnis dieser Einrichtung vielfach verdunkeln." Dies wirke sich vor allem auch in Verlautbarungen und öffentlichen Stellungnahmen aus. "Man hat das Wort von der Amtskirche gebildet, um den Gegensatz zwischen dem amtlich Geforderten und dem persönlich Geglaubten auszudrücken. Das Wort Amtskirche insinuiert einen inneren Widerspruch zwischen dem, was der Glaube eigentlich will und bedeutet, und seiner Entpersönlichung", so Benedikt.

Warnung vor einer "Flucht in die reine Lehre"

Leider sei es inzwischen so, dass die amtlichen Texte der Kirche in Deutschland weitgehend von Leuten geformt würden, für die der Glaube nur amtlich sei. "In diesem Sinn muss ich zugeben, dass für einen Großteil kirchenamtlicher Texte in Deutschland in der Tat das Wort Amtskirche zutrifft", so der 94-Jährige weiter. Solange bei kirchenamtlichen Texten nur das Amt, aber nicht das Herz und der Geist sprächen, so lange werde der Auszug aus der Welt des Glaubens anhalten. "Deswegen schien es mir damals wie heute wichtig, die Person aus der Deckung des Amts herauszuholen und ein wirkliches persönliches Glaubenszeugnis von den Sprechern der Kirche zu erwarten", schreibt der emeritierte Papst.

An anderer Stelle in dem Text schlägt der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation dagegen einen überraschend vermittelnden Ton an. So warnt er die Kirche vor einer "Flucht in die reine Lehre", die aus seiner Sicht "völlig unrealistisch" sei. "Eine Lehre, die wie ein Naturschutzpark abgetrennt von der täglichen Welt des Glaubens und seiner Nöte bestehen würde, wäre zugleich ein Verzicht auf den Glauben selbst", so Benedikt wörtlich. Die Lehre müsse sich in und aus dem Glauben entwickeln, nicht neben ihm stehen. (stz)