Notfallseelsorger: Habe noch nie so oft das Wort "Danke" gehört
"Keiner von uns – auch von uns Notfallseelsorgern – hat jemals so einen großen Einsatz gehabt und so viel Leid, so viele Schäden und so viele Menschen gesehen, die Hilfe brauchen", sagt Guntram Lohmann. Der hauptberufliche Softwareentwickler arbeitet ehrenamtlich in der Notfallseelsorge. Als Notfallseelsorger ist er seit der Flutkatastrophe vor drei Wochen in verschiedenen betroffenen Gebieten unterwegs. Im Interview spricht er darüber, wie er es schafft, dass ihn die Gespräche und Eindrücke nicht im Alltag verfolgen.
Frage: Herr Lohmann, wo und wie arbeiten Notfallseelsorger gerade in den Flutgebieten?
Lohmann: Wir sind zwischen Sinzig, Kreis Euskirchen und Swisstal eingesetzt. Wir sprechen mit Betroffenen und Helfern, hören zu, versuchen zu stabilisieren und zu begleiten.
Frage: Wie arbeiten Sie konkret?
Lohmann: Normalerweise läuft Notfallseelsorge so ab, dass man sich vorstellt und für jemanden da ist. Ein großer Teil der Arbeit besteht aus Zuhören. Wir erklären die Auswirkungen von traumatischen Ereignissen auf das Erleben und Verhalten der Betroffenen. Das ist dann hilfreich, wenn es konkret und einfach den Leuten an die Hand gegeben wird. Wenn die Menschen mit dem Erzählen beginnen, ist das eigentlich schon der erste Schritt zur Bewältigung der Ereignisse. Ob das jetzt der Verlust einer geliebten Person, das zerstörte Haus oder der Stress der Unterbringung der eigenen Familie ist. Das Hochwasser kam so plötzlich, dass es für alle wie ein Schock ist, wenn man jetzt auf einmal vor dem Nichts steht. Da ist sehr viel Bedarf, diese Menschen auch weiterhin zu unterstützen. Als Notfallseelsorger höre ich zu und halte alles mit aus. Bei solchen Verlusten kann ich nicht mehr trösten oder es besser machen. Das Schlimme ist schon passiert und ich versuche, den Menschen dabei zu helfen, wieder nach vorne zu schauen.
Frage: Welche Bedeutung spielt Religion bei Ihren Einsätzen?
Lohmann: Religiöse Fragen werden in der akuten Situation nur selten gestellt. Warum sollte ich mit jemandem das Vaterunser beten, wenn er das nicht möchte? Ich weiß ja nicht, wie die Menschen religiös aufgestellt sind. Es gibt immer wieder Fälle, wo Menschen sich wünschen, dass jemand eine Verabschiedung von einem Toten begleitet oder dass man ein gemeinsames Gebet spricht. Aber auch das kann man sehr individuell gestalten, indem beispielsweise jeder sagt, was ihn gerade bewegt, wenn er an den Verstorbenen denkt. Daraus kann dann ein freies Gebet werden. Aber ich dränge mich nicht auf, es geht nur um die Hilfe und um nichts sonst.
Frage: Im Moment spricht man häufig darüber, dass die Hilfsbereitschaft in den Flutgebieten riesengroß ist. Wie erleben Sie das?
Lohmann: So erlebe ich das auch. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass so viele, vor allem junge Leute, ohne zu zögern so viel Hilfe zur Verfügung stellen – ohne etwas dafür zu erwarten. Das ist einfach überwältigend. Sie müssen sich vorstellen: Überall liegen Trümmer, Schlamm und Dreck und dann kommen Gruppen von ehrenamtlichen Helfern, die fragen, wo sie anpacken können und dann auch anpacken. Oder Menschen, die ihr Auto mit Getränken vollpacken und herkommen und den Menschen hier anbieten. Oder in den ersten Tagen die Versorgungspunkte mit Lebensmitteln, das waren auch Privatinitiativen. Da kamen Leute, die gekocht haben und damit die Menschen versorgten, die nichts zu essen hatten. Ich habe gesehen, wie technisches Gerät wie Notstromaggregate oder Pumpen von Anhängern geladen wurden und die Menschen gesagt haben: Hier, das kannst du mitnehmen, das kannst du bestimmt gebrauchen.
Frage: Viele wollen sicherlich so sehr helfen, dass sie auch an ihre eigenen Grenzen stoßen…
Lohmann: Die Gefahr besteht! Keiner von uns – auch von uns Notfallseelsorgern – hat jemals so einen großen Einsatz gehabt und so viel Leid, so viele Schäden und so viele Menschen gesehen, die Hilfe brauchen. Für alle, auch die Helfenden, ist das ein Bild, das man nicht einfach so abschüttelt.
Frage: Es gibt Berichte darüber, dass es teilweise sogar Angriffe auf Helfende gibt, gerade wenn sie erkennbar sind. Haben Sie das auch mitbekommen?
Lohmann: Ich selbst habe das nicht mitbekommen, aber ich habe darüber gelesen.
Frage: Welche Reaktionen auf die Hilfe bekommen Sie mit?
Lohmann: Vor allem riesengroße Dankbarkeit. Ich habe noch nie so oft das Wort "Danke" gehört. Und zwar auch von Menschen, die ich nicht kenne und mit denen ich gar nicht gesprochen habe. Wir laufen mit unseren violetten Westen herum und viele sagen dann: "Gut, dass ihr hier seid." Notfallseelsorge spielt sich sonst meistens im Hintergrund ab. Hier ist das anders: Wir sind als Ansprechpartner erkennbar und das wird sehr oft in Anspruch genommen – was gut und nötig ist.
Frage: Wie sind Sie als Softwareentwickler überhaupt dazu gekommen, ehrenamtlich Notfallseelsorge zu leisten?
Lohmann: Notfallseelsorge machen zu einem großen Teil Ehrenamtliche. Ich bin vor ein paar Jahren zur Notfallseelsorge gekommen, weil ich bei einem Todesfall einen Notfallseelsorger kennengelernt habe. Die Notfallseelsorge war mir bis dahin nicht bekannt. Wir haben uns danach noch ein paar Mal getroffen und irgendwann hat er mich gefragt, ob das ein Bereich wäre, in dem ich mich engagieren könnte. Dann habe ich eine Ausbildung gemacht und als Notfallseelsorger angefangen.
Frage: Was motiviert Sie, sich als Notfallseelsorger zu engagieren?
Lohmann: Es ist eine sehr unmittelbare Möglichkeit Menschen zu helfen! Für mich ist das eine christliche Tätigkeit, die mir besonders wichtig geworden ist und die ich als sehr bereichernd empfinde.
Frage: Verfolgen Sie die Gespräche in den Alltag?
Lohmann: Die Gespräche sind natürlich belastend. Am Ende eines Seelsorgegespräch muss man versuchen innerlich einen Schlussstrich zu ziehen. Wenn ich zuhause angekommen bin, wechsele ich zum Beispiel meine Kleider, gehe unter die Dusche oder mit dem Hund spazieren. Und natürlich haben wir Supervision und Gespräche. Auch wir brauchen Unterstützung und können nicht alles allein machen.