Der Sempachersee machte seinen Geist weit

Vier Monate nach seinem Tod: Ökumenische Gedenkfeier für Hans Küng

Veröffentlicht am 23.08.2021 um 11:26 Uhr – Lesedauer: 

Sursee ‐ Am 6. April starb der Theologe Hans Küng. Nun fand mehr als vier Monate später in seiner Heimatstadt eine ökumenische Gedenkfeier statt. Kirche, Stadt, Freunde und Verwandte ließen ihren Erinnerungen freien Lauf.

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Die Glocken rufen, und die Leute strömen zur katholischen Kirche St. Georg. Claudio Tomassini, Seelsorger und Gemeindeleiter von Sursee, kann eine stattliche Zahl an Besuchern von nah und fern begrüßen. Sie sind wegen Hans Küng gekommen, der unweit dieses Gotteshauses aufgewachsen und am 6. April in Tübingen gestorben ist. Wegen der Corona-Pandemie konnte die öffentliche Würdigung erst jetzt stattfinden.

Tomassini begrüßt an diesem Samstag Bekannte, Freunde und Familienangehörige des großen Schweizer Theologen. Der sonnige Sommertag passe ganz gut zu Hans Küng, meint er. "Es sind diese Sommertage im August, an denen er über viele Jahre immer wieder in seine Heimat zurückkehrte."

Sabine Beck, Stadtpräsidentin von Sursee, sagte: "Rom, Paris und New York - da sind nur einige der Wirkungsorte von Hans Küng. Und immer war es auch Sursee." Auch wenn er Wirkungsorte auf der ganzen Welt gehabt habe, sei er mit seiner Heimatstadt und mit seiner Heimatpfarrei verbunden geblieben; jener Stadt, die ihn 1998 zum Ehrenbürger gemacht habe. Mit dem künftigen Hans-Küng-Platz werde die Stadt ein sichtbares Zeichen zu Ehren seines visionären ökumenischen Werkes setzen.

"Hervorragender Promoter des Zweiten Vatikanischen Konzils"

Auch für den Priester Josef Mahnig war Küng früh prägend. Sein Buch "Was ist ein Christ?" sei für ihn Pflichtlektüre gewesen. Wie viele Surseer sei auch er betroffen gewesen, als Küng zu Weihnachten 1979 die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde: "Ausgerechnet ihm, der für eine neuzeitliche und moderne Gestalt dieser Kirche gekämpft hat." Es sei zuletzt ruhiger geworden um Menschen, die sich für die Erneuerung der Kirche einsetzten. Aber, mahnt Mahnig, es brauche Leute mit einem langen Atem, die der Kirche neue Impulse gäben.

Gerold Beck, Kaplan von Mariazell, ist ein Jugendfreund Küngs. Er erinnert an das Jungmannschafts-Lokal unweit der Kirche. Dort sei es in den 40er Jahren mit Küng immer "spannend und manchmal auch lustig" zugegangen. Der Kaplan würdigt Küng als "hervorragenden Promoter des Zweiten Vatikanischen Konzils". Und er erinnert an den Wunsch von Papst Johannes XXIII. nach einem frischen Wind in der Kirche, der auch Küng begeisterte.

Bild: ©stock.adobe.com/ Adrian

Blick über Sursee, den Geburtsort des Theologen Hans Küng.

Küng habe ihm und vielen anderen die Devise mitgegeben, dass die Kirche über ihren Tellerrand hinausblicken müsse. In diesem Sinne, so Beck, habe Küng auch das Projekt Weltethos ins Leben gerufen. "Für die Kirche und die Gesellschaft sind dies großartige Impulse für Frieden, Versöhnung und Verständigung."

Dann tritt Sibylle Frey ans Mikrofon, die Nichte Küngs. Schon als kleines Kind, erzählt sie, habe sie realisiert, dass ihr Onkel ein besonderer Mensch sein muss. "Das wurde uns besonders bewusst, wenn er jeden Sommer zwei Monate in seinem Haus am Sempachersee verbrachte", sagt sie. Bevor er anreiste, habe immer emsiges Treiben geherrscht. "Die Handwerker kamen, das Haus wurde geputzt und der Kühlschrank mit Weinflaschen gefüllt. Wir dachten", erzählt sie, "dass dieser Mann ein ganz anderes Leben führt als wir." Alle Wünsche seien ihm von den Lippen gelesen worden, so dass er sich voll und ganz auf seine Arbeit habe konzentrieren können.

"Als wir ihn erstmals am Fernsehen sahen, dachte ich: Mein Onkel ist berühmt", so Frey. Dennoch beschreibt sie ihren Onkel als bodenständigen Mann, der mit den Kindern im Garten auf der Schaukel gespielt habe. Und auch die Autofahrten mit ihm vergisst sie nicht. "So schnell sind wir noch nie durch den Wald gefahren!"

"Bei einem Glas blieb es nie"

Lebhaft erinnert sich die junge Frau an die Abende im Seehaus, die ihr Onkel gerne mit Gästen bei einem Glas Wein ausklingen ließ: "Bei einem Glas blieb es nie, und spät wurde es auch. Mein Onkel brauchte nur fünf Stunden Schlaf und war der letzte, der sich schlafen legte." Zum Start in den Tag, erinnert sie sich, sei er jeweils weit in den See hinausgeschwommen, um sich danach in die Arbeit zu stürzen. Den 1. August habe die Familie immer gemeinsam im Seehaus gefeiert. Alle Kinder hätten einen Lampionumzug veranstaltet. Bei diesen Feiern sei ihr Onkel sichtlich berührt gewesen. Sibylle Frey weiß: "Den Rückhalt seiner Familie zu spüren, bedeutete ihm vor allem im hohen Alter viel."

Was der Familie bleibe, betont sie, sei sein geliebtes Seehaus mit seinen Büchern. Und jener Raum, in dem Hans Küng viel Zeit mit Schreiben verbrachte. "Der Blick auf den See erzeugte in ihm eine großzügige und weitsichtige Lebenshaltung, für die er für uns Vorbild bleiben wird."

Kirchenratspräsident Anton Kaufmann betont, der Charakter der Menschen von Sursee habe den großen Theologen geprägt und somit auch sein Werk. Er beschreibt sie als "weltoffen, ausgestattet mit einem robusten Selbstbewusstsein". Diese Wesenszüge hätten ihm erlaubt, nach dem Entzug seiner Lehrerlaubnis 1979 wieder aufzustehen und neu durchzustarten mit dem Projekt "Weltethos" - fern von den Machtkreisen Roms.

Von Vera Rüttimann