Mit schmutzigen Händen – und reinem Herzen
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Impuls von Pater Philipp König
Wenn ich heute ein Lokal betrete, dann gehören Händedesinfektion und das Tragen einer medizinischen Maske ganz automatisch dazu. Hygienekonzepte sind zu einem festen Bestandteil unseres Alltags geworden. Bei aller Zustimmung zu diesen Maßnahmen gibt es doch viele, die von ihnen genervt sind oder die Sinnhaftigkeit einzelner Vorschriften kritisch hinterfragen.
Reinheit: mehr als Hygiene
Bei den jüdischen Speise- und Reinheitsgeboten, die im Evangelium von den Pharisäern und Schriftgelehrten vertreten werden, ging es nicht so sehr um medizinische Sauberkeit. Vielmehr begegnet hier ein Verständnis von kultischer Reinheit, die alle Lebensbereiche umfasst: von der Nahrung über die Körperhygiene bis hin zur Sexualität.
Mich fasziniert diese bis heute existierende Welt der koscheren Speisen, rituellen Waschungen und vielfältigen Traditionen, auch wenn sie mir als Nicht-Juden am Ende doch irgendwie fremd bleibt. Hinter alldem steckt doch ein tiefer und ernsthafter Wunsch: Das ganze Leben soll mit all seinen Bereichen ganz und gar der Weisung Gottes entsprechen. So nimmt die Treue zu Gott konkret Gestalt an und drückt sich in vielen einzelnen Riten und Vollzügen aus. Gleichzeitig wird dadurch die tiefe Verwurzelung im Volk der Juden sichtbar, die jüdische Identität.
Die Pharisäer: besser als ihr Ruf!
Ich bin daher überzeugt, dass die Pharisäer viel besser waren, als ihr Ruf vermuten lässt. Es wäre ziemlich selbstgerecht, würde man sie einfach als herzlos und engstirnig abstempeln. Die Pharisäer und Schriftgelehrten nahmen Gottes Gebot jedenfalls nicht auf die leichte Schulter, sondern wollten damit ernst machen, und das verdient Respekt. Jesus befand sich zwar oft im Streit mit ihnen, aber er stand ihnen nach heutiger Forschung vermutlich näher als lange angenommen. Offenbar war die Interpretation dessen, was rein und unrein ist, schon im damaligen Judentum umstritten und noch nicht endgültig entschieden. Die Pharisäer vertraten da eine bestimmte Auffassung, Jesus offenbar eine andere.
Äußere Zeichen sind etwas Wertvolles, wenn sie eine innere Haltung ausdrücken oder sie in Erinnerung halten. Gerade gläubige Menschen suchen oft nach konkreten Formen, um ihren Glauben sinnenfältig ausdrücken, denken wir nur an religiöse Bilder, Prozessionen oder Lieder. Gleichzeitig besteht jedoch immer die Gefahr, dass äußere Zeichen sich verselbständigen, hohl werden und das, worum es geht, eher überlagern, anstatt es zum Strahlen zu bringen.
Erkenne dich selbst!
Jesus führt in die Frage nach Reinheit und Unreinheit die Kategorie des Herzens ein und er lenkt den Blick damit ins Innere: "Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken…" Das Herz ist für die Bibel ja weniger der Sitz der Gefühle, sondern vielmehr der Ort der Personenmitte, der Gedanken und Entscheidungen.
Jesus ist da sehr realistisch: Am Anfang steht die (Selbst-)Erkenntnis, dass es in mir sowohl Gutes gibt als auch Böses. "Erkenne dich selbst!" – so stand es schon am Eingang des Heiligtums von Delphi. Ich bin als Mensch zu den wunderbarsten Dingen fähig, aber leider entdecke ich bisweilen auch tiefe Abgründe in mir. Beides kommt von innen, aus dem Herzen, und die Verantwortung für das, was ich tue, liegt erst einmal bei mir. Was für mich gilt, das gilt ebenso für Gemeinschaften, Familien, Nationen und für unsere Kirche. Aber zuerst gilt es für mich.
Mein Herz ist rein…?
Ich will mir das Wort Jesu daher wirklich zu Herzen nehmen. Die Erkenntnis, dass aus dem eigenen Innern auch manches Dunkle hervorgehen kann, ist schmerzhaft, aber sie ist nötig und heilsam. Denn nur aufgrund dieser Erkenntnis kann ich Jesus bitten, in mir zu wirken und mein Herz zu heilen.
Was meint Reinheit im Sinne Jesu? Vielleicht ist es manchmal gar nicht möglich (und nötig), immer und überall vollkommen "rein" zu bleiben – "abgesondert", was der Name der Pharisäer dem Wortsinn nach bedeutet - und sich unter allen Umständen eine weiße Weste und saubere Hände zu bewahren. Wer zu sich selbst und zu anderen wahrhaftig ist, sich für die Schwachen einsetzt, Unrecht klar beim Namen nennt, sich um Kranke und Ausgegrenzte kümmert, der (oder die) macht sich vielleicht die Hände schmutzig, wird aber sicher in seinem Herzen reiner: Vielleicht sind wir der Reinheit im Sinne Jesu damit schon ein ganzes Stück näher.
Aus dem Evangelium nach Markus (Mk 7,1–8.14–15.21–23)
In jener Zeit versammelten sich die Pharisäer und einige Schriftgelehrte, die aus Jerusalem gekommen waren, bei Jesus. Sie sahen, dass einige seiner Jünger ihr Brot mit unreinen, das heißt mit ungewaschenen Händen aßen.
Die Pharisäer essen nämlich wie alle Juden nur, wenn sie vorher mit einer Handvoll Wasser die Hände gewaschen haben; so halten sie an der Überlieferung der Alten fest. Auch wenn sie vom Markt kommen, essen sie nicht, ohne sich vorher zu waschen. Noch viele andere überlieferte Vorschriften halten sie ein, wie das Abspülen von Bechern, Krügen und Kesseln.
Die Pharisäer und die Schriftgelehrten fragten ihn also: Warum halten sich deine Jünger nicht an die Überlieferung der Alten, sondern essen ihr Brot mit unreinen Händen?
Er antwortete ihnen: Der Prophet Jesaja hatte Recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte, wie geschrieben steht: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Vergeblich verehren sie mich; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen. Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen.
Dann rief er die Leute wieder zu sich und sagte: Hört mir alle zu und begreift, was ich sage! Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.
Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein.
Der Autor
Pater Philipp König gehört dem Dominikanerorden an und arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Patristik und Antikes Christentum an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt/Main. Außerdem ist er als Postulatsleiter in der Ordensausbildung tätig.