Synodale Söding und Norpoth kritisieren Voderholzer-Gruppe

Richtige Entscheidungen! Der Synodale Weg braucht einen klaren Kurs

Veröffentlicht am 05.09.2021 um 09:15 Uhr – Lesedauer: 

Bochum ‐ Der Voderholzer-Vorstoß redet die großen Aufgaben des Synodalen Wegs klein – das ist die Kritik der beiden Synodalen Thomas Söding und Johannes Norpoth: In einem Gastbeitrag betonen sie, dass der Reformprozess von Anfang an kontrovers und offen Auswege aus der Krise des Missbrauchs diskutiert hat.

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Der Vorstoß der Gruppe um den Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer mit Grundsatzkritik an den Entscheidungsstrukturen und Inhalten des Synodalen Wegs sorgt für Diskussionen: Der Bischof und seine Mitstreiter beklagen zu wenig Beteiligung, zu schlechte Theologie und eine Abkehr von der Lehre der Kirche. Dagegen wenden sich der Bochumer Theologieprofessor Thomas Söding und Johannes Norpoth, Mitglied des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), in einem Gastbeitrag für katholisch.de.

Der Synodale Weg, zu dem die katholische Kirche in Deutschland aufgebrochen ist, muss zwei wesentliche Aufgaben erfüllen: Die Kirche muss zum einen Lehren aus der wissenschaftlichen Studie über die systemischen Ursachen des sexuellen Missbrauchs und zahlloser einschlägiger Straftaten ziehen, um Kriminalität, Übergriffigkeit und Vertuschung zu bekämpfen, die unter dem Deckmantel der Heiligkeit begangen werden, und die Kirche braucht zum anderen eine Neubesinnung auf das Evangelium der Freiheit, das dem Glauben Kraft gibt und unter den Bedingungen der heutigen Zeit neu entdeckt werden muss. Beide Aufgaben hängen untrennbar zusammen. Wenn es gelingt, aus einer ehrlichen Situationsanalyse und mit einer aufgeschlossenen Theologie die richtigen Reformanstöße zu geben, ist die gegenwärtige Krise die Chance einer echten Erneuerung.

Die Autoren

Johannes Norpoth, ZdK-Mitglied, Betroffener sexualisierter Gewalt und als Mitglied im Betroffenenbeirat bei der DBK Gast in Synodalversammlung und Synodalforum 1.

Thomas Söding, Professor für Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum, Mitglied im ZdK, in der Synodalversammlung und in Forum 1, Berater der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz.

Den Synodalen Weg gehen die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken zusammen mit vielen weiteren Engagierten aus den Orden, den Berufsverbänden und der Wissenschaft, alle mit dem Mandat ihres Amtes oder ihrer Wahl. Sie haben in der Weltkirche, die jetzt als ganze einen synodalen Weg anbahnen will, eine besondere Verantwortung. Ende September beginnt die Zweite Synodalversammlung mit der konkreten Arbeit; gleichzeitig startet der römische Prozess: eine große Chance der Vernetzung und der weltweiten Verstärkung der Reformkräfte.

Eingehend beraten, kontrovers diskutiert

Das Forum, das sich mit Macht- und Gewaltenteilung in der Kirche befasst, bringt eine ganze Reihe von Beschlussvorlagen für eine erste Lesung ein: Es gibt einen programmatischen Grundtext, der die Machtverteilung in der katholischen Kirche kritisch auf systemische Mängel hin prüft und in der Tradition katholischer Theologie Vorschläge für ein neues Miteinander, eine geteilte Verantwortung, eine gemeinsame Anstrengung macht, die der Kirche helfen sollen, sich auf Gott und die Nächsten zu besinnen. Es gibt eine ganze Serie von konkreten Handlungsvorschlägen, die Macht kontrollieren, Transparenz erhöhen und Partizipation sichern wollen: von Finanzplanungen und Haushaltsrecht bis zur Garantie von Rechtswegen, von verlässlichen Prozessen der Entscheidungsfindung bei pastoralen Zukunftsplanungen bis zur Rechenschaftspflicht von Amtsträgern gegenüber den Gemeindemitgliedern und Diözesanen, von Beteiligungsrechten bei der Besetzung von Bischofsstühlen und der Bestimmung von Pfarreienleitungen bis zur Etablierung dauerhafter synodaler Strukturen. Jede Vorlage ist im Forum 1 eingehend beraten, sorgfältig, auch kontrovers diskutiert, aber immer mit überwältigenden Mehrheiten beschlossen worden.

Unzufriedenheit über Synodalen Weg: Voderholzer startet neue Homepage

"Die Zusammensetzung der Foren der Synode und ihre Diskussionskultur erschweren einen angemessenen Dialog": Aus Unzufriedenheit über den Synodalen Weg startet der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer eine neue Webseite – mit Alternativvorschlägen.

Das von Bischof Rudolf Voderholzer organisierte Internetforum zum Synodalen Weg, das mit dem Copyright der Diözese Regensburg frisch freigeschaltet worden ist, zeigt, welche Grundkonflikte auszutragen sind. Hier sammeln sich einige von denjenigen Mitgliedern, die in der klaren Minderheit sind. Wenn sie als Opposition Einfluss auf den Gang der Beratungen nehmen wollen, dürfen sie allerdings nicht nur mit sich selbst im Gespräch sein, sondern müssen sich in den Entscheidungsprozess konstruktiv einbringen, einschließlich der Beachtung von Fristen, von Redezeiten und Abstimmungsverfahren.

Große Aufgaben kleingeredet

Auf der Homepage publizieren vier Mitglieder (von 35) aus Forum 1 einen Gegenentwurf zum „Grundtext“, der bereits im Februar bei der digitalen Sondersitzung der Synodalversammlung vorgestellt worden war und weit über Deutschland hinaus ein starkes Echo ausgelöst hat. Beide Aufgaben, an deren Lösung die Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland hängt, werden in diesem Statement kleingeredet. Zwar wird die wissenschaftliche Qualität der MHG-Studie, die Bischof Rudolf Voderholzer bei der ersten Synodalversammlung noch in Zweifel gezogen hatte, nun vorausgesetzt (16): Es gibt in der katholischen Kirche keineswegs nur persönliches Versagen, sondern systemische Problemursachen. Aber bei der Anamnese, der Diagnose und der Therapie bleibt der Alternativtext an der Oberfläche. Demokratie „(in puncto Gewaltenteilung)“ ist offenbar ein Schreckgespenst für die katholische Kirche, so als die abgehobenen Entscheidungszirkel nicht ein Teil des Problems, sondern der Lösung wären. Der Mangel an Geschlechtergerechtigkeit in den Diensten und Ämtern habe nicht „gesichert“ mit dem Missbrauchssystem zu tun, so als ob es keine Männerbünde in der katholischen Kirche gäbe. Das Weiheamt müsse seine sakrale Aura behalten, so als ob nicht gerade sie in Versuchung geführt hat und zum Fundament des Organisationsversagens geworden ist, das in jahrzehntelanger Vertuschung gipfelt. An eine „tiefgreifende Umgestaltung der kirchlichen Sexualmoral“ dürfe keinesfalls gedacht werden – obwohl ihr Mangel an anthropologischer Fundierung offenkundig ist und zu starken Verklemmungen geführt hat (17). Es wird so getan, als ob die in der MHG-Studie formulierten Fragen zu den Kausalitäten von sexualisierter Gewalt und Sexualmoral einschließlich des Umgangs mit Sexualität im Klerus nicht existent seien und damit auch keiner Beantwortung bedürfen. Dem Grundtext des Forums wird denunziatorisch vorgeworfen, nicht mehr katholisch zu sein, weil angeblich das Weiheamt ausgehöhlt werde, wenn von geteilter Leitungsverantwortung, effektiver Machtkontrolle und notwendiger Rechenschaft gesprochen wird.

Papst Paul VI. sitzt auf dem Papstthron im Petersdom beim II. Vatikanischen Konzil in Rom im Jahr 1965.
Bild: ©KNA (Archivbild)

Das Zweite Vatikanische Konzil wird von allen Seiten in der Debatte in Anspruch genommen – die Frage, was seine Impulse heute für die Reformdebatte in der Kirche bedeutet, wird kontrovers diskutiert.

Der Ansatz folgt einem Kirchenbild, das zwar das Zweite Vatikanische Konzil für sich reklamiert, aber eine klerikalistische Deutung vertritt und dadurch in erhebliche Schieflage gerät. Charakteristisch ist schon der Titel. Die Überschrift: „Vollmacht und Verantwortung“ zeigt an, dass der Text im Wesentlichen nur an den Rechten und Pflichten der Bischöfe und allenfalls noch der Pfarrer interessiert ist, die angeblich auf dem Synodalen Weg angegriffen würden, nicht aber die gemeinsame Verantwortung aller für das Wachsen der Kirche stärken will. Während das Zweite Vatikanische Konzil die Kirche vom Geheimnis des dreieinen Gottes her sieht und deshalb zuerst vom Volk Gottes, dann von seinen „Hirten“ spricht, fokussiert der als „Alternative“ vorgestellte Text die Trinitätstheologie auf die Christusrepräsentanz durch den Priester (3-6). Das ist eine Engführung, die weder dem Konzil noch der Bibel entspricht; sie tut auch den Priestern und Bischöfen nicht gut, die nicht auf‘s Podest gestellt werden dürfen, sondern mitten im Volk Gottes ihren Dienst tun sollen.

Ökumenische Aspekte fehlen

Die Folgen sind weitreichend. Es drängt sich der Eindruck auf, als beziehe sich die katholische Kirche im wesentlichen nur auf sich selbst. Ökumenische Aspekte fehlen. Die Bibel und die Kirchenväter werden einseitig so zitiert, als ob die katholische Amtskirche das Ende der Heilsgeschichte wäre. Dass die Kirche von der Welt, in der sie lebt, etwas lernen könnte, wird ausgeblendet. Die Charismen, die Geistesgaben der Gläubigen, werden nur mit päpstlichen Lehrtexten aus der Zeit von Johannes Paul II. zitiert, die den Klerikern die Kontrolle geben wollten, nicht mit neueren Ansätzen von Papst Franziskus, der die Vielfalt der Gaben betonen und die amtlichen Dienste in die Verantwortung stellt, sie nicht zur beherrschen, sondern zu fördern (Evangelii gaudium 130–131), übrigens nach dem Vorbild des Apostels Paulus.

 Rudolf Voderholzer bei Synodalversammlung
Bild: ©KNA/Harald Oppitz (Archivbild)

Rudolf Voderholzer, Bischof von Regensburg, spricht bei den Beratungen der Synodalversammlung am 1. Februar 2020 im Dominikanerkloster in Frankfurt.

Bei den Konkretionen zeigt sich, wohin die Reise gehen soll. Teils werden Selbstverständlichkeiten aufgezählt: entschlossene Strafverfolgung, Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden, unabhängige Entscheidungsgremien zur Aufarbeitung und Klärung von Entschädigungsleistungen. Dabei wird vollständig negiert, dass sexualisierte Gewalt auch heute noch in unserer Kirche existiert und das, obwohl die vorgenannten Konkretionen bereits in diversen Ordnungen und Prozessbeschreibungen fixiert und durch die Bischöfe umgesetzt werden. Es wird weiter negiert, dass mit dem aktuellen System zur Anerkennung des Leids, beschlossen durch die Bischofskonferenz in der Herbstvollversammlung 2020, erhebliche Probleme bestehen, die in zahlreichen Retraumatisierungen von Betroffenen münden. Auf Initiative des Betroffenenbeirats bei der DBK werden in den kommenden Wochen Bischöfe, die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) und Betroffene gemeinsam beraten, wie es hier zeitnah zu einer Lösung kommen kann. Davon, dass im wesentlichen schon alles gut geregelt sei, kann keine Rede sein.

Es bleibt bei kosmetischen Korrekturen

Im Übrigen bleibt es bei kosmetischen Korrekturen. Zwar sollen in Beratungen auch „Laien“ stärker einbezogen werden; aber die Entscheidung müsse allein bei den Klerikern liegen. Zwar sollen die sich um Verständlichkeit bemühen und ihre Entscheidungsprozesse offenlegen; aber von Kontrolle und Rechenschaftslegung einschließlich der Übernahme von Konsequenzen ist keine Rede. Immerhin wird kooperative Leitung nicht ausgeschlossen – wozu das Frauenforum einen konstruktiven Vorschlag gemacht hat, der bis zur zweiten Lesung noch mit dem Macht- und Priesterforum weiterentwickelt werden kann. Auch der Alternativtext schlägt vor, kirchliche Räte stärker bei der Bestellung von Bischöfen und der Ernennung von Pfarrern zu berücksichtigen. Einschlägige Handlungstexte, die das Verfahren operationalisieren, sind vom Forum 1 eingebracht worden. Die Zustimmung steht frei.

Der Bochumer Theologieprofessor Thomas Söding.
Bild: ©Boente/Kirchensite (Archivbild)

Der Bochumer Theologieprofessor Thomas Söding engagiert sich im Synodalen Weg. Auch in seiner wissenschaftlichen Arbeit als Neutestamentler befasst er sich mit Fragen der Synodalität.

Der Text auf der Regensburger Homepage macht deutlich, wie eine Minderheit denkt, die auch noch in der jetzigen Krise die Deutungshoheit bei denen belassen will, die vom herrschenden System geprägt sind. Mit Blick auf den Ausgangspunkt des Synodalen Wegs, nämlich die Straftaten sexualisierter Gewalt gegen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, das damit einhergehende Organisationsversagen unserer Kirche, den langanhaltenden Reformstau, die ungenutzten Ressourcen von Schrift und Tradition vermag der Text wegen der oberflächlichen Problemanalyse und der verkürzten Theologie keine Alternative zu den im Grundlagentext des Synodalforums I niedergelegten Ansätze zur Macht und Gewaltenteilung und damit zur Verhinderung von sexualisierter Gewalt in unserer Kirche zu sein.

Worum dreht sich der Konflikt im Kern? Nicht um das Amt, nicht um die Weihe, nicht um das Sakrament – sondern um die Macht. Der Grundtext „Macht und Gewaltenteilung“ stärkt das Bischofs- wie das Pfarramt, indem er es stärker in das Volk Gottes einbezieht und deutlicher auf seine geistliche Vollmacht konzentriert. Der Alternativtext schwächt das Bischofsamt, weil er an Führungsmodellen aus der Vergangenheit hängt, an klerikalen Privilegien, die als sakrosankt gelten sollen, und den Ton einer Kommunikation von oben herab nicht ablegen kann.

Stärkere Beteiligung als entscheidende Führungsaufgabe

Eine stärkere Beteiligung des Kirchenvolkes an allen wesentlichen Entscheidungen der Kirche zu fördern, ist die entscheidende Führungsaufgabe in der katholischen Kirche. Ein Bischof, der das Vertrauen der Menschen verliert, ist ein König ohne Land. Der schleichende Exodus derer, die sich in der katholischen Kirche wegen ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres demokratischen Ethos nicht ernstgenommen sehen, ist eine verheerende Entwicklung. Die Unfähigkeit zur wirklichen und nachhaltigen Aufarbeitung, zur ehrlichen und gegenüber den Betroffenen eine innere Haltung zeigenden Anerkennung des durch die sexualisierte Gewalt und Vertuschung entstandenen Leids verstärkt die vorgenannten Aspekte immer stärker und deutlicher. Bei allen Problemen, die es in unserer Kirche zu lösen gilt, muss allen immer die hässliche Fratze der sexualisierten Gewalt vor Augen stehen. Die lässt sich nicht mit ein wenig Make-up überschminken – dann kommt sie immer wieder zurück!

Sind mit einer solchen Reform schon die Glaubensfragen gelöst? Keineswegs. Aber dass die Gottesfrage aufbricht, weil die Kirche in ihrem Machtgefüge das Bild Gottes selbst verdunkelt – diese Krise ist so tief, dass Schönheitskorrekturen es nicht reichen. Dass die Kirche irreformabel sei, ist zwar der Eindruck, den manche Kritiker des Synodalen Weges erwecken wollen. Aber es gilt, den Beweis des Gegenteils anzutreten. Nicht nur Rom und die Bischöfe sind in der Pflicht.

Von Johannes Norpoth und Thomas Söding