Wunderlos heilig
Dies war der Inhalt einer Mitteilung des vatikanischen Presseamtes vom 5. Juli. Eine weitere Erklärung gab es nicht. Und das Wunder? Für Johannes Paul II. (1978-2005) gab das gleiche Bulletin bekannt, dass Rom ein "miracolo" anerkannt habe. Die Spekulationen begannen. Das Presseamt musste nachlegen: Franziskus habe für Johannes XXIII. von seiner päpstlichen Vollmacht Gebrauch gemacht und vom Nachweis eines Wunders dispensiert, erklärte Sprecher Federico Lombardi.
Ungeprüfte Fälle wurden kürzlich bekannt
Kurz vor der Heiligsprechung von Johannes XXIII. wurden nun vier ungeprüfte Fälle einer wunderbaren Heilung bekannt, die der Fürsprache des verstorbenen Papstes zugeschrieben wurden. Die italienische Tageszeitung "La Stampa" schilderte am Freitag vier wunderbare Heilungen aus den Prozessakten. Es handelt sich um eine Frau aus Neapel, die 2002 statt ihrer Medizin versehentlich das Gift Zyankali eingenommen habe. Im Krankenhaus soll ihr der Verstorbene gegen Mitternacht erschienen sein mit den Worten: "Sorge dich nicht! Du bist gerettet."
Weiter soll 2005 ein Mädchen im norditalienischen Como von einem Tumor geheilt worden sein. Das dritte Wunder geschah an einem Kind im Mutterleib, für das 2007 ein genetischer Defekt diagnostiziert wurde, das schließlich aber doch vollkommen gesund zur Welt kam. Zudem soll ein 87 Jahre alter Franzose 2008 auf seine Fürbitte hin von seiner Blindheit auf dem linken Auge und einem grauen Star im rechten Auge geheilt worden sein.
Was Franziskus letztlich bewogen hat, auf den Nachweis eines Wunders zu verzichten, lässt sich nur vermuten. Die Tageszeitung "Avvenire" nannte - offenbar auf Insiderwissen gestützt - zwei Hauptgründe.
Schon unmittelbar nach dem Tod von Johannes XXIII. hätten Konzilsväter dessen Heiligsprechung durch das Konzil selbst gefordert. Und ohnehin sei Johannes XXIII. schon in etlichen Diözesen in aller Welt verehrt worden, und zwar mit offizieller Genehmigung des Vatikan - was sonst nur Heiligen zustehe.
Vorgehen ist nicht gänzlich ungewöhnlich
Grundsätzlich ist das Vorgehen von Franziskus nicht ganz neu. Auch Johannes Paul II. verfuhr im Jahr 2000 so, als er einen chinesischen Märtyrer und seine 114 Gefährten ohne Wundernachweis heiligsprach.
Auffällig ist jedoch, dass unter Franziskus bislang für fünf von insgesamt acht neuen Heiligen ebenfalls der amtliche Nachweis eines Wunders entfiel. Allerdings waren diese Fälle noch etwas anders gelagert. Der Vatikan wählte hier ein besonderes Verfahren, das für Persönlichkeiten, die schon seit langem verehrt werden und im Ruf der Heiligkeit stehen, eine Ausweitung ihrer Verehrung auf die gesamte Kirche vorsieht. Ohne Zeremonie, auf dem Verwaltungsweg. Seine Vorgänger Benedikt XVI. und Johannes Paul II. hatten dieses Verfahren jeweils nur einmal gewählt.
Es gab auch Kritik
Die meisten Beobachter sind sich darin einig, dass Franziskus auf jeden Fall beide Päpste gemeinsam heiligsprechen wollte. Die Kanonisierung von Johannes Paul II. ließ sich nach der Anerkennung eines Wunders nicht mehr allzu lang aufschieben. Das Verfahren für Johannes XXIII. dagegen hätte wohl noch um Einiges länger gedauert, wenn Ärzte und Theologen erst noch medizinisch unerklärliche Heilungen begutachtet hätten.
Nicht für alle war eine wunderlose Heiligsprechung so selbstverständlich wie für Loris Francesco Capovilla, den früheren Privatsekretär von Johannes XXIII. Er habe sofort die Heiligkeit dieses Papstes gespürt, sagte der 98-jährige Neu-Kardinal in einem Interview. In manchen konservativen Kreisen, die ohnehin lieber Pius XII. selig als Johannes XXIII. heilig gesehen hätten, nahm man den Wunderverzicht nicht so leicht. Es sei sehr bedenklich, wenn ein bloßer Verweis auf den Ruf der Heiligkeit ein kirchenrechtlich anerkanntes Wunder ersetze, so die Argumentation.
Von Thomas Jansen (KNA)