Der "treueste Hirte" stand der vatikanischen Ostpolitik im Weg

Ungarns Kardinalprimas Mindszenty ging vor 50 Jahren ins Exil

Veröffentlicht am 28.09.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Budapest ‐ Jozsef Mindszenty war niemandem bequem: nicht den Nazis, nicht Ungarns Kommunisten und auch nicht dem Vatikan. Der suchte mit seiner "Ostpolitik" Verhandlungen mit den Regimen von Moskaus Gnaden. Dabei störte der Kardinal.

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Er gehörte zu den zentralen Gestalten der katholischen Kirche Mitteleuropas in kommunistischer Zeit. Und doch ist sein Name heute nur noch wenig bekannt: Kardinal Jozsef Mindszenty. In einem Schauprozess des ungarischen Volksgerichts wurde er 1949 wegen Landesverrats zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch damit fingen die Stationen seiner Exile erst an.

Als Josef Pehm wurde Mindszenty am 29. März 1892 im Dorf Csehimindszent in der westungarischen Martinsdiözese Szombathely geboren. Mit 23 Jahren zum Priester geweiht, legte er 1941 unter dem Eindruck des ungarischen Kriegseintritts auf Seiten Hitlers seinen deutschen Familiennamen ab – und nannte sich fortan nach seinem Geburtsort "Mindszenty".

1944 ernannte ihn Pius XII. zum Bischof von Veszprem. Gemeinsam mit anderen Bischöfen protestierte Mindszenty gegen den sinnlosen Krieg und die Judenverfolgung. Die ungarischen Faschisten ("Pfeilkreuzler") verhafteten ihn und kerkerten ihn im berüchtigten Zuchthaus von Sopronköhida (dt. Steinambrückl) ein.

Ein Kontrast zu den Kommunisten

Im September 1945 machte der Papst Mindszenty zum Erzbischof von Esztergom und Primas von Ungarn und im Februar 1946 zum Kardinal. Sein unerschrockenes Eintreten für die Rechte der Kirche brachte ihn in immer stärkeren Gegensatz zu den Kommunisten. Das neue Regime entfesselte eine Kampagne wegen angeblicher "Konspiration gegen den Staat".

An Weihnachten 1948 wurde der Primas verhaftet und nach einem unter Folter erzwungenen Geständnis im Februar 1949 zu lebenslanger Haft verurteilt. Beim Volksaufstand 1956 kam Mindszenty zunächst frei und fand dann nach der Niederschlagung der Revolution durch sowjetische Truppen Zuflucht in der US-Gesandtschaft in Budapest, wo er Asyl erhielt. Für die kommenden 15 Jahre lebte er dort.

Die Einigung mit dem Vatikan

Im Zuge seiner Tauwetterpolitik versuchte Papst Johannes XXIII. (1958-1963), den Primas nach Rom zu holen. Im Gegenzug war der Vatikan bereit, Bedingungen der Kommunisten zu erfüllen. 1963 lehnte Mindszenty ein Ausreiseangebot noch ab; erst Jahre später kam die Übereinkunft zustande. Rom garantierte Budapest dafür nicht nur politische Enthaltsamkeit des Primas, sondern willigte auch ein, ihn binnen zwei Jahren zum Amtsverzicht zu bewegen.

Der Petersdom und der Petersplatz im Vatikan.
Bild: ©stock.adobe.com/a_medvedkov (Symbolbild)

Der Versuch, die Seelsorge in kommunistischen Ländern am Leben zu erhalten oder eine gescheiterte Anbiederung? Die "Ostpolitik" des Vatikan war ein strittiges Thema.

Die "Ostpolitik" des Vatikan gehört zu den viel diskutierten kirchenpolitischen Themen des 20. Jahrhunderts. War sie ein nötiger Versuch der Kirche, den Kontakt mit den Kommunisten aufrecht und die Seelsorge durch Verständigung auf gangbare Bischofskandidaten am Leben zu erhalten? Oder eine gescheiterte Anbiederung an den ideologischen Gegner zum Nachteil der Kirche; ein Verrat gar an jenen, die vor Ort teils unter Einsatz ihres Lebens Widerstand leisteten?

1964 gelang dem päpstlichen Unterhändler Agostino Casaroli immerhin, dass in einem Teilabkommen mit Ungarn fünf von sieben seit langem vakanten Bischofsstühle neu besetzt wurden. Freilich mit staatlich genehmen Kandidaten – von denen mindestens drei nach Erkenntnis von Kirchenhistorikern für den Staatssicherheitsdienst arbeiteten.

Als Mindszenty ins Exil ging

Tatsächlich änderte sich nur wenig an der verzweifelten Lage der Kirche in Ungarn. Weiter wurden Priester, Ordensleute und Laien bespitzelt und zu langer Haft verurteilt, Religionsunterricht und kirchliche Verwaltungen nahezu lahmgelegt. Budapest hielt seine Zusagen schlicht nicht ein.

Am 28. September 1971, vor 50 Jahren, verließ Mindszenty Ungarn schweren Herzens und ließ sich nach kurzem Rom-Aufenthalt mit 79 Jahren in Wien nieder, um seiner Heimat zumindest nahe zu sein. Vergeblich bemühte sich Paul VI. (1963-1978), ihn zum Amtsverzicht zu bewegen. Im Februar 1974 entband er Mindszenty "aus pastoralen Erwägungen", ohne einen Nachfolger zu ernennen. Der Primas erklärte schonungslos, die Entscheidung sei "vom Heiligen Stuhl allein getroffen" worden.

Mindszenty starb am 6. Mai 1975 mit 83 Jahren im Wiener Exil. Er hatte festgelegt, dass er in der Basilika Mariazell beigesetzt, aber nach einem Sturz des Kommunismus in die Heimat überführt werden solle. 1991 wurde der Leichnam in Esztergom neu beigesetzt – und 1993 der Seligsprechungsprozess eröffnet. Die Akte dafür wurde 2013 abgeschlossen. Der ungarische Staat rehabilitierte Mindszenty 1990 de facto und 2012 vollständig.

Geradlinigkeit, Würde und Standfestigkeit

Eine historische Bewertung bleibt schwierig: Die Parallelwelten des "freien Westens" und der hermetisch abgeriegelten, unterdrückten Kirche hinter dem Eisernen Vorhang führten zu einer geistigen Abkoppelung voneinander – und zu einer grundverschiedenen Wahrnehmung: Hier die "Verhandler" im Vatikan, denen Bekenner mit der Zeit als "Reaktionäre" und "Hindernisse" erscheinen konnten. Dort die "Bekenner", die – selbst oft isoliert und handlungsunfähig – in den Verhandlungen Roms und der Einsetzung systemkonformer Bischöfe einen Verrat an der Sache ihrer Kirche ausmachten.

Mindszentys 2003 gestorbener Sekretär Tibor Meszaros äußerte Verehrung für die Geradlinigkeit, Würde und Standfestigkeit des Kardinals. Durch die plastische Beschreibung von dessen schlechter Menschenkenntnis, Sturheit und regelrechten Fixierung auf das Ungarntum wird die Betonung seiner positiven Eigenschaften glaubwürdig.

Von Alexander Brüggemann (KNA)